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Bayreuth am Letzten im 1802.

Mein Thieriot!

Nicht nur die größte Freude des Nehmens, auch die des Gebens will ich durch Dich heute empfangen und dann recht gerne dem Jahr eine Gute Nacht sagen.

Mit Dir will ich das alte Jahr abschließen und das Neue beginnen.

Mein ganzes Leben will ich mit Dir verleben.

Du hast noch einen Brf v. mir bekommen und bleibst mir also doch eine Antw. in diesem Jahr schuldig ; ich will Dir aber mehr als eine Antw. in ihm schuldig bleiben und daher fang' ich heute noch an der meinigen an.

Thieriot, hör ja nicht auf mich zu lieben, lieber laß mich aufhören zu leben.

Mein "Es ist gewiß p" kann ich Dir nicht noch deutlicher schreiben ; mündlich sollst Du mehr haben.

Jetzt wissen wir alle, daß die Emma einen Brf. v. Dir erhalten hatte, weil wir auch alle froh über ihn waren u sind.

Ich habe nicht gewußt wie die Mutter das Nasenrümpfen auf nehmen wird, dieser wegen hab' ich Emmas Brf ganz verschwiegen.

Jeder Spas und jeder Witz wird gewichtiger und triftiger wenn er durch eine dritte Hand oder gar einen dritten Kopf / Mund geht – was besonders die Schwachen (die ohne dies selten Witz auf ihre Kosten gerne von der guten Seite nehmen mögen) |2 nicht leiden können; da ich also nicht haben wollte, dß die Caroline es wisse, daß ich den Emmas Brf gelesen hatte: so schrieb ich Dir jene Stelle und zum Brf . kein Wort.

Und nun reich' ich Dir das letzte Mal meine warme Hand in diesem Jahr. Gute Nacht!

1803

Guten Morgen, mein Thieriot!

Nimm ihn mit Liebe auf u an, diesen ersten Guten Morgen und den Bringer dessen!

Sei in diesem Jahr recht gesund, recht froh, sei beides immer und sei d.h. bleib mein.

Heute thut mir der Morgen des Jahrs eben so wohl, als der gute, den ich Dir in Leipzig reichte am Morgen und (für mich) am Sonnenaufgang unsers uns Findens.

So heiter und rein wie ich jetzt in diesem Augenblick denken kann, so rein dank' ich Dir, für Deinen Brf. v. 21 v. M. u v. J .

Durch Deine Elevengeschichte und durch die Beschreibung derselben hast Du mir sehr viel gegeben, mein Thieriot!

Könnt' ich Dich doch dafür jetzt an meine Brust drücken.

Du willst also, wie andere "durch Lehren lernen" durch Lernen lehren die Lehrer

Ich wollte lieber, Du hättest mir den prächtigen Einfall, der Dir zu spat kam, gar nicht geschrieben; weil es mich aergert, daß er unaus |3 gegeigt bleiben mußte.

Du solltest ihn aber doch nicht vergesßen nicht ein / entfallen und bei einer andern Gelegenheit, wo Du auch noch nicht genug gekannt bist, die himmlische Jacobsleiter als Engel besteigen.

Mit Göthes Tancred hab' ich heute schon vor 6 Uhr, mein neues Jahr, herrl. eingeweihet, dann hab' ich Deinen lieben Brf. zum vierten Male gelesen und so wirst Du es selbst wissen, welchen guten Gutenmorgen ich Dir reichen konnte.

Wer sich selbst erniedriget wird erhöhet werden, dacht' ich mir b. Deinem Diplom und werd' es noch oft b. Deiner Ehre denken.

Wir gewöhnliche Menschen gehen viel sicherer auf dem Weg der Bescheidenheit, als Ihr Gelehrten und (gar zugleich) Virtuosen, und so wie uns das Abweichen von demselben ein größeres Vergehen ist, so ist Euch das Gehen und Stehen auf demselben ein desto größeres Verdienst.

Ich will, ich muß Dirs noch Einmal sagen, daß Du mir sehr viel in Deiner Elevenschule gegeben hast.

Durchstreicht Rode auch (wie Du) Teutsch- um nach Rußland zu kommen?

Ist die Schlegel wirkl. Verfaßer v. Florentin, was man behauptet od. wenigstens gesagt hat?

Du hast sie nach ihrem Vater gefragt, Du kannst sie also nach ihrem Kinde auch fragen.

am 2ten

Mein blauer Rock hat seit gestern meinen Heinrich zum Futter; aber bis Du zu mir kommst hab' ich einen neuen blauen. Schicke mir doch ein Muster von |4 Deinem Tuch, blos meiner kindischen Freude wegen.

Heute hab' ich wieder Briefe v. Richter u Caroline (die jetzt die 2te Stiefmutter hat ) erhalten.

Entschuldige dieß mal unsr. Richter , er entschuldigt sich ganz. Die Caroline war sehr krank, da konnt' er nicht Briefe schreiben; sie ist aber wieder ganz gesund.

Er hat mir folgende gedruckte 2 Actenstücke geschickt.

"Unter dem milden Himmel Italiens bedurfte der päpstliche Grossvicar jüngst, im strengen Eifer f. die Sittlichkeit der Damenkleidung, seiner moralischen Declamationen, um sie den Schönen Roms zur Pflicht zu machen.

Bei unserm rauhen Himmel werden einige unserer hiesigen jungen Damen, welche ihre römischen Schwestern allzu treu zu copiren sich bemühen, wohl nicht zur Unzeit erinnert, wenn sie, nach den Erfahrungen, deren Zeugen sie gewesen sind, von den physisch-schädlichen Folgen u dem die Gesundheit zerstörenden Einfluß eines allzu leichten Anzugs noch immer nicht überzeugt haben, – v. ihrem Arzte sich deshalb belehren zu lassen.

Aus Freundschaft f. sie selbst aber u aus Achtung v. Sittsamkt, ohne darüber ebenfalls declamiren zu wollen, bitte ich dieselben, künftig weder allzu hüllenlos, noch allzu fesselnlos gekleidet zu erscheinen, u wenn sie den Hof besuchen, über die Grenzlinie der Decenz u Indecenz im Anzug, die Fr. Oberhofmeisterin v. Steube entscheiden zu lassen, um mir die Verlegenheit zu ersparen, ihre Gegenwart verbitten zu müssen.

Meiningen, den 3 Febr. 1801.

Georg, H. z. S. "

So eben seh' ich, daß ich wir eher in Meiningen als diese Actenstücke in Meinigen Bayreuth war ; ich sende Dir aber nun doch auch gar das 2te.

"Leider muß ich erfahren, daß meine gut gemeinte Absicht, b. Austheilung der gedruckten Erinnerung, zu Misdeutungen u Misverständnissen Anlaß gegeben hat. So sehr ich f. das Wohl meiner hiesigen Freundinnen unter der Noblesse, denn diesen Namen werden Sie mir doch wohl nicht versagen wollen – besorgt bin; so sehr bin ich überzeugt, daß die hiesige Noblesse eine der gesittesten ist, die ich kenne. Kein Misverständniß schleiche sich zwischen unsre Verhältnisse, sondern Aufrichtigkeit u Wahrheit!

M. d. 8ten Febr 1801.

G. H. z. S."

Wenn Du nicht mit mir lachst: so aerger' ich mich mit Dir.

Noch mehr würd' ich mich aergern, wenn Du diese kleine Kleinigkeiten schon in M. gelesen hättest.

Du giebst mir so viel u ich Dir so wenig.

Bleib gesund mein Thieriot, Du hast doch nur einen

Emanuel

Zitierhinweis

Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 31. Dezember 1802 bis 2. Januar 1803, Freitag bis Sonntag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1461


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin V, 138
1 Dbl. 8°, 4 S.


Korrespondenz

B: Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Paris, 21. Dezember 1802, Dienstag
A: Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Paris, 10. bis 12. Februar 1803, Donnerstag bis Sonnabend

Der Brief enthält Abschriften von Emanuels Hand zweier Bekanntmachungen, die der Herzog Georg I von Sachsen-Meiningen Anfang 1801 in gedruckter Form allen hoffähigen Frauen und Fräulein hatte vorlegen lassen.