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Wien 30 Mai 04. (Antw. 30 Juni).

Ich muß Dir heute schreiben, Emanuel, obwohl dabei mehr für mein als Dein Bedürfniß gesorgt wird. Denn ich will mir blos heute Abend u Morgen nicht zu sorgen haben, daß ich das Postbestellen durch Verschieben u Porto-Würdigen wiederum versäumt. Ueberhaupt aber siehe doch immer mehr mit mir ein, welch' verfluchtes Fazit Correspondirtrieb und Zerstreuung in Compagnie zusammen hervorbringen. Entweder ich setze mich hin wie eben, mit Absicht und Gefühl der Absicht Dir mich zu schreiben (denn hab' ich blos etwas zu schreiben, so tritt die ganze Noth und Entschuldigung nicht ein) und dann wird nichts Gesundes. Oder ich verathme und verspringe ganze Morgen im Augarten (wie schon 2 mal) im Briefkonzipiren von Gedanken, die mich angehn und Dich auch – in süßen Lokalstimmungen (welches zumal etwas für Richtern wäre) – in Erinnerungen – in Ansichten des (und meines laufenden Lebens,) dummer Streiche die ich gemacht, oder erst zu machen gesonnen bin etc – dann aber fehlt mir die Feder (die gute, so wie die sel. Bleifeder, ohnehin schon längst) und später die Memoria.

Crescentinis wegen (von dem ich Dir schrieb) und der Kaiserinn, vor der ich spielen wollte u. sollte, die aber erst wiederkommen will – bin ich noch hier. Hier noch bleib' ich Crescentini's wegen, ferner des alten Haydn (der mich hören will) und des Fürsten Esterhazy, bis Ende Juny u gehe dann vielleicht (Nicht leicht sag' ich mehr "Vielleicht") über Prag und Carlsbadfür Regensburg ist noch meine Hoffnung – zu Dir.

Könnt' ich mich nur noch einmal 3 Jahr lang so vernünftig einrichten, daß ich täglich bei meinen Büchern und Noten und mir, unter 2 Augen wäre, und dabei etwas thäte, 3 mal an Tag aber als Frühst. Mitt. u. Abendbrot Dich, alle 3 Tage Einmal aber Richtern sozusagen genöße und zu mir nähme – es müßten andre Bedürfniße noch kommen: sonst seh' ich für jetzt nichts, als daß ich den besten Universitätskursus (den ich noch nicht gemacht) für solche 3 Jahre unbesehen hingäbe.

Von Richter las ich hier im Titan, im Sibenkäs, in den Mumien mehr also wo, unter weniger strengen Zensuren. Immer bescheidner u furchtsamer fand ich mich aber geworden – Du kannst's ihm sagen – zu Feldzügen wie ich sonst machte, gegen Einzelnheiten seines Styls. – Denn immer unverbeßerlicher (unkorrigibler) fand ich ihn – er mag sich aber sein Lob aus dem Comparatio heraus suchen. – Unterdeßen wünscht' ich und bitt' ich auf den Sommer darum, förmlich zu seinem Schreibschüler aufgenommen zu werden auf eine Zeit, schon um nur einmal aus dem dilettantischen Nachäffen seiner Wendungen loszukommen – und noch um andere Gründe.

Lebe recht lebefroh, Emanuel.

Th.

Zitierhinweis

Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Wien, 30. Mai 1804, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1543


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Textgrundlage

h: BJK, Berlin V, 138
Briefkopierbuch der Briefe Thieriots an Emanuel, H. 1, S. [30]–[32].


Korrespondenz

A: Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Regensburg und Bayreuth, 23. und 30. Juni 1804