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Bayreuth, 22 Oct. 1805.

Mein Sohn Freund, vernimm und folge! Dein zu weit Umgegangener ist richtig ein gelaufen.

Drei Meilen-Weite ist noch weit nicht weit genug für Dich von Offenbach; Du mußt nicht erst nach Aschaffenburg, wenn Du nicht Dein Wort gegeben hättest dahin, sondern gleich weiter. "Du nimmst Alles zu poetisch" wollt' ich Dir schreiben, bis ich auf der letzten Seite Deines Briefs, Deine nur zu prosaische Frage gefunden hatte.

Werde nicht und mache nicht unglücklich, mein Thieriot, und sei ein Mann!

Du bist gefährlich krank und ich fürchte gefährlicher als Du es glaubst.

Aber glaube mir es da ich Dich besser verstehe und Deine Krankheit – als Du Dich selbst.

Vor einigen Tagen sprachen Richter und ich von Dir und über Dich, bei Gelegenheit Deines Manteufels Brief .

Unter anderm sagt' er: "Der Thieriot liebt Sie (mich) sehr; aber er würde Sie weniger lieben, wenn Sie weniger Witz hätten; ia er würde an Gott nicht glauben, wüßte er nicht, daß er die Quelle des Witzes selbst wäre."

"Sie könnten ihm das, setzte er hinzu, sogar einmal schreiben."

|2 Sollte Dich Deine Witz-Liebe nicht – (witzigen wollen, wollt' ich schreiben; aber ich mag wirklich nicht spaßen, auch nicht witzeln) sollte sie Dich nicht irreführen?

Laß Dir doch von der armen Hofmann meinen Brief geben, damit Du sehen kannst, wie ich sie, schon im Febr. vor Dir gewarnet habe.

Trenne Dich so bald wie möglich mit Kraft und Liebe von dem Mädchen – das Du nie glücklich machen kannst, weil Du – wie Du selbst sagst – es nicht liebest.

Lade Dir nicht das fürchterliche Unrecht und Vergehen auf – ein Mädchen – das Du nicht liebest – [...] f ür dessen Liebe Du kalter bist als Eis – länger zu täuschen, oder gar zu nehmen.

Eher dürfte mich ein "unordentliches Mädchen" nehmen, als Dich und eher ich eines nehmen, als Du!

Dein "Scheu" vor ihr und Ihr "Wasserscheu" (vor fremdes) sind Beweise genug, daß mein guter Rath, bei Dir, bis jetzt |3 wenig fruchtbaren Boden gefunden und dieser Saamen meistentheils in Wind gesäet wurde.

Es [...] wäre Schade um Dich, um Deine Jugend, um Deine Kraft – wenn Du Dich "kindischer Besessenheit" opfertest, mein guter Thieriot!

Das arme Mädchen, das, wie Du sagst – eher meine Braut – (oder Deine aelteste Schwester —) als Deine seyn könnte – wird leiden, wenn Du fortgehest; aber noch viel mehr wenn Du bleibest, und es ist bessersie / es leidet durch ihre / seine ächte – als durch Deine falsche, kalte Liebe.

Ich sehe es ganz ein, wie schwer es Dir jetzt schon seyn und noch werden wird – von Offbch. allein wegzugehen; aber es wird Dir noch viel schwerer, wenn Du später gehen – und Du unterliegst der Last, wenn Du gar bleiben willst.

Du würdest mich verkennen, ganz verkennen, wenn Du mir zutrauen könntest – daß ich Deine Dankbarkeit – Deine Zu A nhänglichkeit für und an das Mädchen nicht ganz zu schätzen wüßte oder daß ich nicht fühlte, wie schwer ich mir selbst – wäre ich an Deiner |4 Stelle – ich mir selbst zu helfen wüßte.

Allein ich meine es mit der Hofmann so gut und so ehrlich, wie mit Dir; sie sollte es einsehen, daß Du kein Mann für sie bist und sie kein Weib für Dich.

Da sie aber das nicht einsehen will: so mußt Du – alle Deine Fehler gut machen und – es noch zur rechten Zeit machen und dann nach besserer Einsicht handeln.

Ich sage Deine Fehler gut machen, weil alle vorausgegangne Fehler die Ursache sind, daß Du Dir selbst nicht mehr recht zu helfen weißt und dadurch noch unglücklich seyn und machen könntest.

Zieh mir keinen Kummer zu, mein Thieriot, laß michs nicht erleben, Dich und durch Dich, a A ndere unglücklich zu sehen, ich bitte Dich, um alles was mir und Dir heilig ist, schone Dein Wesen und Dein Seyn; handle männlich, vernünftig, ruhig und geh in ein Land, das der Herr Dir zeigen wird, in dem Du gesegnet seyn wirst.

Vernimm die Stimme des Freundes und befolge S s ie, denn sie kommt aus Deinem

Emanuel

Zitierhinweis

Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 22. Oktober 1805, Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1622


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