Von Heinrich Voß an Bernhard Rudolf Abeken. Heidelberg, 1. und 21. Juli 1817, Dienstag und Montag

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Sorge ja, daß keiner aus diesem Briefe auch nur eine Periode abschreibe. Mir ist schon zweimal dergleichen passiert, daß ich Stellen aus persönlichen Briefen gedruckt gelesen habe. –
d. 1 Jul. 1817.

Deinen herzlichen Brief , guter Abeken, beantworte ich sogleich, um nicht ins Aufschieben zu kommen, was jezt, da ich Morgens heiß über dem Aristofanes size, Nachmittags noch heißer über dem Shakspeare , leicht möglich wäre. Und somit ertheile ich Dir gleich voran die verlangten Nachrichten. Brockhaus beginnt den Druck (bei Fröbel) gleich nach Michaelis, und zu Ostern erscheinen zwei Bände , im ersten der Sturm, Romeo, Somernachtstraum, und Gleiches mit gleichem, im zweiten, Was ihr wollt, Wie es euch gefällt, Viel Lärm um Nichts, und der lieben Müh' umsonst. Dann wird in Einem fort gedruckt bis zum seligen Schluß, der wohl in 2½ Jahren erfolgt. Brockhaus zahlt 6 Friedrichsdor, und druckt dafür 2000 Exemplare, auf jeder Seite 32 Zeilen, die Anmerkungen mit eingerechnet, die aber in kleinerer Schrift gedruckt werden. Anmerkungen müßen dabei sein; denn wem ist zuzumuten, daß ihm alles gegenwärtig sei, worauf angespielt wird? Das können wir beide nicht leisten, geschweige der Troß von gewöhnlichen Lesern. Glaubst Du nun nicht auch, daß dies ein herliches Unternehmen ist? Die Cottasche Ausgabe stockt. [...] Wir herlich, daß uns Cotta so wenig zahlte! Nun darf er nicht klagen, wenn wir mit den Stücken von Neuem kommen, denn wir können ihm nachrechnen, daß er stark an den drei Bänden gewonnen hat, Frommann mit seinem Lear u. Othello wird nun vollends nicht gefragt. Wie schwach sind doch diese beiden Stücke, wie schwach noch mein Macbeth, und das Wintermährchen, wiewohl ich beiden Stücken schon völlig auf der rechten Fährte bin. Die lustigen Weiber halte ich auch für mein Bestes; aber es soll Dir noch ganz anders gefallen, wenn es von Neuem erscheint, und zwar hinter Heinrich IV, den ich jezt mit Macht überseze. Ich bringe täglich 3 Seiten der Leipziger Ausgabe vor mich, es geht langsam, aber sicher. Ich fühle, daß ich jezt den rechten Ausdruck und die gehörige Gewandtheit errungen habe. Mit Schlegel treffe ich selten zusammen, was auch nicht möglich ist, da ich in Rücksicht |2 der Begrifstellung beinahe sein Widerspiel bin, und die Kürze weit mehr libe, als er. Im ganzen loves labour lost hab' ich keine Zeile mehr, als Shakspeare. Die einzige Stelle, wo ich vor zwei Jahren verzweifelte, und vier Zeilen aus zwei machte (Leipz. Ausg. p. 86) habe ich so gegeben:

Den Knaben störtet ihr. Geht Schäferlein!
Sterbt wann ihr wollt, ein Fraunhemd kleid' euch ein.

Es freut mich, daß Du dies verschrieene Stück so lieb hast. Mir ist es unsäglich lieb, und ich habe ein vollkommenes Bild in der Fantasie jeder Stelle, und da fehlt mir auch nie ein Baum, oder ein Stein, so oft ichs hervorrufe, mich daran zu laben. Was ist Armado für ein prächtiger Kerl, eine männliche Frau von Beulwiz , der immer Göttersprache spricht! Ein wahres Studium ist mir gewesen S. 28 Leipz. seq. Wie prächtig gleich der Antrag, der bei mir so lautet : "Gieb Erlaß dem Schäfer, bring' ihn endelich hieher". – Dann:

Ich also ein Rohr, Er Kugel, der Kauz.
Dich schieß' ich zum Schäfer.Motte.Drückt los denn, und Bauz!
Arm. Ein spizig Blizknäblein, anmutig, behend! –
Mit Erlaubnis, dir seufz' ich ins Gesicht, Firmament.
O Schwermut, du machst der Beherztheit ein End.

Dein Vorschlag mit Auflösung hab' ich dankbar angenommen. Die Fuchsverse lauten nun so:

Fuchs, Aff' und Hummel, frag' ich euch,
Wie wurden die Ungleichen gleich?

Als nun die Gans kam aus der Thür,
Ward ungleich gleich, denn drei ward vier.

Und dann geht mir nichts über den allerliebsten Schädel, dem ich alle Wortspiele wieder gegeben, die Eschenburg ihm so schändlich gestohlen hat, über Holofernes , und den mehr als über- überköstlichen Ehrn Nathaniel , den ich mit allen seinen Mienen vor mir sehe. Ich muß Dir doch einiges mittheilen. Leipz. Ausg. S. 44. Ehrn Nath. Ein großes Talent! Dümmlich. Heißt Talent eine Krazklaue, so krazt er sich mit einem großklauigen Talent. Ibid. Jakobine. Geb' euch Gott guten Morgen, Herr Pfarr.Holof. Herr Pfarr, Farr Far, id est Ochs. Und wär' ein Ochs hier, wer wär' es? Schädel. Ei, Herr Schulmeister, Er, der wie ein Oxhoft giebt aus dem Haupt ochsichte Gelahrtheit. (Stelle Dir diese Worte einmal vor mit der gehörigen Miene, mit dem rechten Accent eines wizbegeisterten Rüpels ausgesprochen) Holof. Ein Pfarr, wie ein Oxhoft! Ein guter Blizfunke von Fantasei pp |3 p. 62 : Holof. Novi hominem tamquam te. Sein Wesen ist hochfahrend, sein Gespräch abtrumfend, seine Zunge scharf, sein Aug' ehrsüchtig, sein Gang majestätisch, und all sein Thun eitel, lächerlich, und thrafonisch. Er ist gar zu geschniegelt, zu statisch, zu geziert, zu absonderlich gleichsam; zu fremdländisch, wenn ich so sagen darf. – – – Armado zu Motte. Pirschle. Holof. Quare Pirschle, und nicht Bürschelein? p. 64. Schädel. Und hätt' ich nur einen Pfennig auf der Naht, du solltest ihn haben, um Zuckermandeln zu kaufen. Halt! da ist noch die selbige Renumeration, die mir der Herr gab, du Pfennigsbüchse von Wiz, du Taubenei von Altklugheit. O, wenn der Himmel mir die Gnad' erwies, und du wärst mein Hurkind! welch ein fröhlicher Vater wollt' ich sein! Geh, du trafst es ad Unken, den Nagel auf den Kopf, wie man sagt.Hol. rieche da verdorben Latein pp S. 67. Dümml.

Ich will tanzen, eins so, oder machen trum, trum,
Daß zur Trommel die Recken mir tanzen rundum.

Holof. Bis sie tummeln und dummeln! Komm, ehrlicher Dumm!
S. 90 . O Herr , ihr habt gestürzt Allhexander, den Welteroberer! Man wird euch herauskrazen aus eurem gemalten Rock; euren Löwen, der, die Streitaxt haltend, auf dem Nachtstuhl sizt, wird man geben dem A – ä – jax: der wird sein der neunte Reck. Ein Welterobrer, und verblüft zu sprechen! Lauf weg vor Scham, Allhexander! – 'Sist, mit Erlaub, ein närrisch weicher Mann; ein ehrlicher Mann, seht ihr, und bald verduzt! Ein ungemein guter Nachbar, mein Treu, und ein sehr guter Boßeler etc.

Den großen Herkules stellt dar der Knirps,
Deß Keule Cerbrus schlug den Dreikopf-canus;
Und als er war ein Kind, klein wie ein Kürbs,
Würgt' er die Schlangen so in seiner manus.
Quoniam er kommt noch minorenn allhie,
Ergo komm' Ich mit der Apologie. –
Gieb Würde dir beim Abgehn, und verschwinde.

Holof. Judas bin Ich, – || Dum. Ein Judas! || Hol. Nicht Ischariot, Herr. –
Judas bin ich, benamset Makkabäus.
Dum. Bewamster Makkabäus; doch ein Judas.
Bir. Ein küssender Verräther; wie wards du das?
Hol. Judas bin Ich Dum Um so mehr Schmach dir, Judas.
Holof. Was wollt ihr, Herr? Boy. Daß Judas sich erhenke.
Holof. Beginnt das Werk, mein Holder.
Bir. Recht! Judas henkte sich an einen Holder
Hol. Mein Kopf hier kommt nicht aus der Faßung leicht.
Bir. Denn du hast keinen Kopf. Hol. Was ist denn dies?

|4 Das folgende ist noch nicht rund genug zum mittheilen. Denn Jud'-as zwing ich noch mit Es'lein und Judäslein. Es gehört aber alle Anstellung, bis es natürlich wird.

Armado .
Der Wehrobwalter Mars, im Lanzensturm allmächtig,
Gab Hektorn ein Geschenk, Erbherrn von Ilion;
Muthathmend, ja fürwahr, zerfocht er im Gefecht sich
Von Morgen bis zur Nacht, vor seinem Pavillon.

S. 94. Arm. Beim Morgenstern, ich fodre dich! Schädel. Ich fechte nicht mit dem Morgenstern, wie ein Nachtwächter; einhaun will ich; mit dem Schwert will ichs thun. pp.
S. 40. Schädel. Poz Welt, das ging lustig! wie hübsch das Geäf da!
Mar. Gut schossen sie beid': o ein Wundergetref da!
Boy. Ein Loch ist gebort: Steckt eilig den Pfropf ein!
Mit dem tüchtigsten Pfropf muß das Loch da verstopft sein.
Mar. Ihr scheint für die Scheib' ein gar treflicher Schüz.
Boy. Scharf ziel' ich ins Schwarz, u. mein Bolzen ist spiz.
Schäd. Ist euch wohl zu anderem Treffen noch nüz.
Mar. Fort, Schlingel, halt ein mit dem täppischen Wiz!
Schäd. Herr, wechselt das Ziel; seid ein Kerl auf dem Plaz!
Boy. Das Getref wird zu kizlich; leb' wohl lieber Spaz.
Schädel. Mein Sixchen, ein Laff', ein gar simpler Gesell!
Wie gerbten die Fräuleins, u. ich ihm das Fell.
Bliz, herliche Späß'! o ein artliches Ding,
Gehts so glatt von der Zunge, so zotig, so flink!
Armado auf der rechten, o ein zierlicher Herr!
Wenn er so vor dem Fräulein den Fächer trägt her,
Und so nett sich die Hand küßt! u. wie niedlich er schwört!
Und sein Bub' auf der linken, ein Wizelchen so!
Ach, Himmel, ein kleiner pathetischer Floh!
S. 68. Rosal. Gebt Licht, mein Mäuschen, was meint euer Leicht?
Kath. Leicht Herz, das lichterloh im Dunkeln brennt!
Ros. Mehr Licht muß uns beleuchten was ihr meint.
Kath. Zu grell beleuchtend, macht' es euch vergrellt.
Drum will ich dunkel endigen den Stof.
Ros. Ja, was ihr thut, thut ihr im Dunkel stets.
Kath. Ihr scheut kein Licht; denn ihr seid los' und leicht.
Ros. Ich wiege nicht, was ihr; drum bin ich leicht.
Kath. Gern wiegt ihr sonst was. – Weg die Wiege mir!
Ros. Denn ungern wiegtet ihr ein Äfchen drin.
S. 77. Kath. Wie? eure Larv' ist völlig zungenlos?
Long. Weshalb ihr fragt, Fräulein, ich weiß den Grund.
K. O euren Grund! schnell gebt den Grund mir bloß.
Long. Zwei Zungen hat ja eurer Larve Mund.
Wo, wo? Gebt meiner stummen Mask' ein Halb.
|5 Kath. Wo? sagt der Franzmann. Ist nicht veau ein Kalb?
Long. Ein Kalb, schön Fräulein? Kath. Nein, ein schön Lord-Kalb.
Long. Hab Part denn! Kath. Nein, ich will von euch nichts halb;
Nehmts ganz, entwöhnts; vielleicht wirds noch ein Ochs.
Long. Da ward eur Spott euch selbst ein derber Knocks!
Ihr gebt mir Hörner, Keusche? Laßt das fern!
Kath. So sterbt als Kalb, bevor euch wächst Gehörn.
Long. Ach! eh' ich sterb', ein Wort mit euch allein.
Kath. Blöckt leise denn; der Mezger hört euch schrein.

So hab' ich jeden Blizfunken der Fantasie zu übertragen gesucht – freilich nicht immer mit Gleichem Glück, aber wer kann auch das Unmögliche? – sogar in der verfluchten Stelle p. 69 hab' ich jezt etwas auf der Spur. Nur kann ich den Reim, der ein aufstellender sein muß, noch nicht finden. Er muß mit "Anfangsbuchstab im Vorschriftbuch" gezwungen werden, u. dem "rothe Sonntagsbuchstaben im Kalender"

Wär' dein Gesicht nur nicht so voller O!
Kath. Glatwangig Ding, mit Grübchen lächl' ich so.

Auch vom Schlußliede hab' ich eine neue Übersezung gemacht, die einzige Arbeit auf der Bettenburg. Ich wollte anfangs Deine Übersezung aufnehmen. Aber ich fand sie doch nicht treu genug, u. vermißte einiges ganz, z. B. das Ausdrucksvolle, u ganz aus der Natur gegriffen:

Die Turtel trabt, die Dohl' u. Kräh'
das sich doch erzwingen läßt durch:
Wenn Hirten froh schalmein am See.
Auch bekenn' ich, daß mir die Zeilen:
Des Pflügers Uhr, die Lerche steigt

wegen der Begriffstellung
nicht zutraf. Ich habe es umgekehrt:
Die Lerche steigt, des Pflügers Uhr
und Flur [...]. Auch in der ersten Zeile Strophe hatt' ich allerlei auszusezen. Die lautet bei mir:

Wenn Tausendschön u. Veilchen blau,
u. Osterblum in weißer P T racht,
Und Iris gelb u. silbergrau,
Schmückt Feld u. Wies' in holder Pracht;
Dann neckt der Kukuk her vom Wald
den Ehmann u. sein Lied erschallt pp.

Doch ich will das Lied nächstens in die elegante Zeitung einrücken , u. breche daher ab. Dein Schuhu! Kliwit! mag gut sein, es beruht auch auf einer Volkssage. Aber musikalischer dünkt mir doch Tuwit, Tohu, das ich mir doch nicht nehmen lassen will. Übrigens gefällt mir die Übersezung immer noch sehr, u. ich halte sie theilweis für besser als die meine, da der Zwang des Reims wehrt, alles Gute Einem zu vereinigen. – Nun, traust Du mir wohl zu, daß ich Heinrich IV gut bezwingen werde? Wenigstens werde ich ihm noch andere Seiten abgewinnen, als |6 Schlegel u. Eschenburg, u. so dem Vorwurf entgehn, etwas Neues Unnöthiges gethan zu haben. Mit großer Sorgfalt behalte ich jeden Ausdruck meiner Vorgänger bei, wo ich glaube, sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen; aber das ist an gar sehr vielen Stellen, me judice , nicht geschehen. Auch nach mir wird ein Nachfolger noch zu thun finden. Shakspear, wer kann dich erreichen? Aber werth bist du es, daß man die schönsten Stunden des Lebens deinem Dienste weiht. Meine "Der Liebe Müh' umsonst" ist mir, da es fertig ist viel werth. Ich habe behmlich die Überzeugung, hier etwas geleistet zu haben, das ganz besonders mir vom Schicksal aufgespart war. Ich mag ohnehin nichts mit Arbeiten zu schaffen haben, die ohne mich tausend andre eben so gut gemacht hätten. – Ich muß einmal abbrechen.Meine Eltern sind vor acht Tagen verreist, u. kommen erst nach 10 Monate Wochen zurück. Nun kann ich auch die Abendstunden auf den Shaksp. wenden. Sie sind wohl jezt in Göttingen. Dann gehts nach dem lieben Holstein. – Jean Paul – mit dem ich längere Zeit schon correspondire – kömmt in diesen Tagen. Ich habe ihm ein Logis gemietet; vier Wochen will er bleiben. Da werd' ich einen Satansmäßigen Punsch geben. Auch gebischoft , und geweint soll werden, und die Gäste: Schwarz, Tiedemann, Creuzer, Conradi, Hegel etc. sind schon von mir geladen. Mit Hegel u. Schwarz werd' ich, als dritter, Jean Paul nach Weinheim führen, wo mein Freund Grimm, einen großen Saz stoßen wird, so auch die gastfreie Räthin Falk. Die Damen besonders freuen sich auf Jean Paul, u. auf seine schönen Sentiments. Daß viel Weg wird in Curs gesezt werden, kannst Du glauben, u. das thut noth in dieser theuren Zeit. Meine Specialkollegen, wenigstens mehrere unter ihnen, wollen auch, daß Jean Paul zu Doctor [...] werde. Eine geistreiche Witwe mit zwei schönen Töchtern wollte ihn in Kost, Bett u Logis nehmen, u ihm ihren ganzen Garten einräumen, dem juten edlen Mann / (sie ist eine Berlinerin), sagte sie. Ich dachte aber, nicht so, liebe Frau, wo Wiz zu Wiz kömmt u Geist zu Geist, da sezt es electrische Schläge, u. es könnte am Ende gar ein zärtliches Verhältnis werden. Wenn Jean Paul nur einigermaßen erträglich aussieht, und nicht wie Hinz u Kunz, so werden auch mehrere Verliebungen Statt finden. Die Damen haben dafür ein gar schönes u einladentes Wort: platonische Liebe. Ich freue mich ganz außerordentlich zu dem Mann, aber das ewige Lauern u Harren verdrießt. Schon drei Abende bin ich ihm halbe Meilen weit entgegengegangen.

|7 d. 21 Jul.

Nach drei Wochen knüpf' ich meinen Brief wieder an. Gestern vor 14 Tagen, abends um 6 Uhr, als ich im tiefsten Negligee heiß am Shakspeare size, kommt ein armer Student zu mir, der für seine ausgetrocknete Reisekasse eine milde Gabe begehrt. Ich sehe ihn mit Staunen an; denn der Student ist circa 50 Jahr alt; da fällt er mir um den Hals, und küßt mich, als wenn er mich ersticken wollte: Jean Paul wars, der heißersehnte, der – o Wonne, daß ichs sagen kann! – der heißgeliebte herliche Jean Paul. Er ist von Gestalt vollkommen wie Göthe, vielleicht etwas stärker, sein Gesicht ist nicht ganz so ausdrucksvolle, aber sein Auge – nein, das konnte Gott nur in der höchsten Begeisterung schaffen! und welch ein Ausdruck von Rechtlichkeit und Biederkeit, und freundlicher Gutmüthigkeit ruht auf seinen Zügen, wo manchmal ein Lächeln sichtbar wird, um das ihn die Engel im Himmel beneiden könnten. Was der ein Leben unter uns Heidelberger gebracht hat! Selbst die Leblosen glühn für ihn, sogar die kalten Hunde der hiesigen Adelschaft. Mein Punschabend ist ganz herlich ausgefallen. Zwanzig Gäste waren seelenfroh, da habe ich Truchseß, und Dich, und Abraham herbei gewünscht. Bis nach 12 Uhr blieben wir zusammen, und mancher ging selig zu Haus. Du hast diesen Mann einmal in Weimar besucht, aber schwerlich recht kennen gelernt; denn so freundlich er auch gegen Besuchende ist, hingebend find' ich ihn nur gegen sehr wenige. Wo er es aber ist, da ist ers ganz, wie nur Truchseß es sein kann. Preise mich daher glücklich, daß eine so herliche Constellation mich ihm nahe gebracht hat. Den ersten Abend brachten wir ganz unter uns zu – er wollte nicht anders – lustig beim Junggesellenmahl, das aus Brot, Käse und Bier bestand; denn den Wein verbat er. Glaube mir, ich konnte nicht einschlafen vor Freude, und wenn ich schlummerte, so stand Jean Paul vor mir mit seinen gütigen, gar zu freundlichen Gesicht, und dem sanften Ton seiner Stimme, der mir auch jezt noch immer wie Musik im Ohre klingt. Mehrere Tage hab' ich gebraucht, um mich wieder zurück zu finden. Daß Jean Paul auch ein großes Stück auf mich hält, liegt in der Natur der Sache – denn nirgends ist Liebe ohne GegenLiebe, nach des Schöpfers wohlthätiger Einrichtung; – aber sieh es aus folgendem. Vor 8 Tagen hatten wir eine wunderherliche Schiffahrt auf dem Neckar, 90 Menschen in einem langen Schiffe. Als wir uns zu Tische sezten, oder vielmehr, als die Unermeßliche Menge von Speisen u. Wein, die wir mitgebracht hatten, ausgekramt worden war, sagte mir Jean Paul: "Höre, Voß, ich hab' dich so herzlich lieb, aber ein störendes ist zwischen uns, das lästige Sie, empfange mit diesem Kusse mein ganzes Bruderherz". Seitdem ist meine Liebe zu dem Mann noch inniger, noch herzlicher, und meine Ehrfurcht, die jedes höhere Wesen fodert, ist um nichts vermindert. Täglich bereiten wir dem theuren Mann neueFeste. Vor drei Tagen foderten einige meiner Special-Collegen, ich sollte als Dekan schnell eine Sizung berufen. In dieser ward einmütig beschlossen, unserm Jean Paul sollte ein Ehrendiplom überreicht werden. Wer war |8 froher als Ich? Da ich nichts von Jean Pauls Titeln u. Würden wußte, die auf dem Diplom aufgezählt werden müssen, suchte ich Jean Paul sogleich auf, und fragte ihn mit komischer Neugierde, die, wie ich vorgab, mich oft bei ganz unbedeutenden Dingen plagte, ob er nicht etwa Mitglied einer Akademie der Wissenschaften sei. – "Nein". – Ob auch nicht Theilnehmer einer Gesellschaft? – "Nein; ich bin nichts als ein lumpiger Legationsrath und ich selbst. Aber, was Kukuk, hast Du zu examiniren?" – Ich versicherte, wenn ich dies nicht erfahren hätte, würde ich nicht schlafen können, ging zu Hause, und sezte folgendes auf: Sub Auspiciis Augustissimi ...... etc.

Nos Decanus. Senior. Reliquique. Professores.
Ordinis. Philosophorum.
In Academia. Ruperto-Carola.
In. virum. Clarissimum. nobilissimum. generosissimum.
Joannem. Paulum. Fridericum. Richter.
Curio – Variscum.
(Hof heißt, nach Büsching, curia variscorum.)
Serenissimo. Hilperhusano. Duci. a. legationum. consiliis.
Poetam. immortalem. Lumen. et. ornamentum. Seculi.
Decus. Virtutum. Principem. Ingenii. Doctrinae. Sapientiae.
Germanorum. libertatis. assertorem. acerrimum.
Debellatorem. fortissimum. Pravitatis. Mediocritatis. Superbiae.
Virum. qualem. non. candidiorem. terra tulit.
Ut. dotibus. ejus. omni. concenta. consensuque. laudis. nostrae sublimioribus tribueremus
Amorem. Pietatem. Reverentiam.
Doctoris Philosophiae. et. liberalium. artium. magistri.
Nomen. Privilegia. et. Jura.
Rite. Honorisque. causa
contulimus.
collataque. hoc diplomate. Sigillo. Ordinis. nostri. munito. promulgavimus.

Der Drucker war so geschäftig, und desgleichen der Buchbinder, daß den andern Morgen um 10 Uhr das Diplom, auf Pergament gedruckt, versiegelt, von mir unterschrieben, in einer schönen saffianen Kapsel stak. Da ich dem Mann unmöglich meine laudes so in den Bart werfen konnte, hatte ich Creuzer und Hegel, die auch ein wenig ehrwürdiger aussehn als das alte Ehrwürdige, zu Deputirten ernannt, und um 11 Uhr ward das Diplom, das ein Pedell den beiden Deputirten vortrug, übergeben. Hegel sagte mir, Jean Paul habe vor Freuden kaum sprechen können; und so ohngefähr fand ich ihn um 12 Uhr, wo ich meinen täglichen Besuch abzulegen pflege. "Alter, Alter", rief er mir entgegen, "was macht ihr, wollt ihr mich denn ganz ersticken mit Liebe?" und eine volle Thräne trat in sein wunderschönes Auge. Er wollte gar nicht aufhören, mich zu küssen, und an sein warmes Herz zu drücken. Nun sind ihm schon Doktorschmause gegeben, und was weiß ich all; und wie viel steht noch bevor! Nein, so ist noch kein Sterblicher in Heidelberg geehrt worden. Alles jubelt über den Mann, vor allem die Studenten. Meine Magd fragte mich neulich, ob das etwa ein Graf wäre, weil wir so viel Wesens mit ihm trieben. ich sagte ihr, es sei der berühmteste Mann auf der ganzen Welt, und das Mensch kann |9 nun gar nicht satt sich wundern und freuen, daß der berühmteste Mann mich zuerst aufgesucht habe, und wenn ich ihr jezt ein Billet an den berühmtesten Mann gebe, da bittet sie um Erlaubnis, es selbst überreichen zu dürfen. – An meinem Shakspear hat Jean Paul große Freude, besonders an Heinrich IV. Ich stellte ihn endlich zu Rede, wie er Schlegeln als Sprachkünstler so stark hätte loben können ; ich bewies ihm an etwa hundert Stellen, wie Schlegel die plastischen Redensarten, selbst wenn sie am Wege liegen, immer vorbeigelassen, und nur das allergemeinste aufgegriffen habe. Er mußte mir eingestehn, daß er Schlegeln bei weitem überschäzt habe, und ich tröstete ihn mit mir selbst, der ehemals die Schlegelschen Übersezungen eben so wie seine eigenen, für unverbesserlich gehalten. Mein loves labour lost hat Jean Paul von Anfang bis zu Ende mit dem Original verglichen, und mir darüber die schäzbarsten Bemerkungen gemacht. An der Prosa hat er, zwei oder drei Kleinigkeiten abgerechnet, nichts auszusezen. In den Versen sind seine Grundsäze wo möglich noch viel strenger als die meinigen. Wenn nur ein Wort nicht an der Stelle steht, wo im Englischen fühlt er sich beleidigt, und da fodert er freilich manchmal das unmögliche. Die dritte Zeile von des Königs pathetischer Anfangsrede (S. 1) lautete bei mir:

Und sei ein Schmuck uns im Unschmuck des Todes.

Er hatte nichts einzuwenden, nur foderte er Zier und Unzier, und ich hatte Mühe, ihm begreiflich zu machen, daß der Vers das nicht erlaube. Endlich zählte er an den Fingern ab, und sagte sagte mit der lustigsten Naivetät: "Nein, es geht doch wohl nicht." In meinen Garten ist er ganz verliebt, besonders in eine kühle Grotte daselbst. Da sizen wir manchmal ganze Nachmittage, und lesen Aristofanes , wobei ich ihm als lebendiger Commentar diene. Die Vögel sind sein Leibstück. Bald werden wir an die Lysistrata gehn, die er noch gar nicht kennt. Ich habe ihm im Voraus schon gesagt, er würde allerlei Tolles darin finden, aber das Ganze habe nichts weniger als einen unsittlichen, vielmehr einen höchst moralischen Zweck, nemlich dem Kriege, der die Freuden des häuslichen Herdes störe, ein Ende zu machen. – Es wäre endlich einmal Zeit, auf was andres zu kommen; und zwar auf Deinen |10 lieben, langen Brief , die Antwort auf meinen Mordbrief , von dem ein detto, Jean Paul betreffend, so eben in Truchseß Händen ist , ohne die mindeste Dichtung. Lachen machte michs, daß Du Enderly in meiner Schilderung erkannt hast. Ich habe keinen des Namens kennen gelernt, besinne mich aber dunkel, den Namen gehört zu haben. Was ich über ihn mag geschrieben haben, weiß ich nicht mehr, Göttling und mein Bruder mögen mir die Züge zu dem Bilde beigebracht haben. Überhaupt war das tolles Zeug, das ich zusammenlog, um mir ein paar lustige Halbstündchen zu machen, und bei Tisch sind wir drob fast nie aus dem Lachen gekommen. Auf meine Briefe wende ich ohnehin nie kaum Fleiß, und die wenigste Zeit, weil ich die Briefzeit andern Arbeiten abstehle, wobei mir eine unbegreiflich schelle Hand zu statten kommt. Ich schrieb einmal auf der Bettenburg einen Brief an Fouqué von 14 ziemlich engen Quartseiten, von denen Truchseß etwa 6 dictirte , in etwas mehr als anderthalb Stunden. Da that mir freilich auch die Hand weh. – Da kommt so eben mein lieber Jean Paul. Er will durchaus lesen, was ich über ihn an Dich geschrieben habe, und – ich gebs ihm, und schreibe unterdessen fort. Sein Lesen ist doch wohl ein Beweis, daß hirin keine Dichtung ist, wenn Du mich auch manchmal einer Dichtung wegen in Verdacht haben magst! – Da brummt er vor sich hin, er muß gerade an jener Stelle sein, wo ich ihn lobe. Ach! er ist ein einzig herlicher Mensch. Man möchte, seinem Herzen nah, sich einen Feind wünschen, um die Wollust zu haben, ihm von ganzer Seele zu vergeben. Ich fühle mich durch und durch erwärmt, und zu allem Guten u Schönen begeistert in seiner Nähe. Nun verstehe ich Dichtungen, wie die Neujahrsnacht eines Unglücklichen, und ähnliche, die mich schon vor 17 Jahren so wunderbar ergriffen. Wie hätte ichs geahndet, als mich ehemals Schüchternheit aufh abhielt, ihn einmal in Giebichenstein, das andre mal in Weimar aufzusuchen, daß ich ihm einmal so nahe stehen würde, daß ich sein promotor ligitime constitutor sein würde. – Guter Abeken, heut fodre nicht mehr von mir. Jean Paul sagt: "Das muß ein treflicher Mensch sein, dem Du in diesem Tone schreibst". – "Ja", antworte ich ihm, "es sind aber auch nur sehr wenige, denen ich schreibe wie ihm, und Truchseß, und künftig mein lieber Jean Paul". – Mehr zu schreiben will er mir nicht erlauben. Kaum einen herzlichen Gruß an die lieben Idens. Und nun fügt er auch noch einen herzlichen Gruß an die Freunde seines Heinrich hinzu. Leb wohl, liebster Abeken, und Sie; theure Christel. Ganz der Eurige

Heinrich V.

NS. Das letzte Blatt hat J. P. gelesen. Die Probe genügte ihm.

Zitierhinweis

Von Heinrich Voß an Bernhard Rudolf Abeken. Heidelberg, 1. und 21. Juli 1817, Dienstag und Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1682


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Textgrundlage

H: SLUB, Briefe Voß an Abeken, Mscr.Dresd.e.97,II,Nr.81
2 Dbl., 1 Bl. 8°, 10 S.