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Der Brief sollte vorgestern auf die Post gehn, da hörte ich ein Gemunkel aus Tiedemanns Hause, das mich noch einen Tag zu warten zwang. [...] Endlich ist gestern Morgen ein Söhnlein geboren, und Mutter und Kind sind sehr gesund, wie Tiedemann mir sagte, da ich gestern Abend mit ihm und unzählichen andern bei Creuzer in Gesellschaft war. Alle Collegen sind mit meinem Diplom zufrieden, wie ich aus aller Mund' habe, nur Langsdorf nicht, der noch immer an Jean Pauls Christentum zweifelt. Jean Paul hat sich ganz unmäßig gefreut; er wollte gar nicht aufhören mich zu küssen, als ich gestern um 12 Uhr zu ihm kam, und die Deputirten ihn eben verlassen hatten, aber sprechen konnte er nicht; die paar Laute, die er herstammelte, lösten sich in eine Thräne auf, die in sein seelenvolles Auge trat. Die Studenten haben einen Jubel, daß ihr Liebling so gefeiert wird. Muncke kann sich nicht satt wundern über Jean Paul, und will ihn durchaus auch bei sich haben. So alle. Es ward gestern Abend viel über Maschinen gesprochen, und ich hatte meine Freude daß J. P. bei der Gelegenheit Muncke genauer kennen lernte. Jean Paul meinte, da jezt über alles Maschinen wären, sollte man auch eine Maschine erfinden machen , die neue Maschinen [...] erfände . Als wir auseinander gingen tranken wir Jean Pauls Gesundheit feierlich und laut. – Die Noblesse sammelt an Jean Pauls Wiz, und alles wird aufgehoben, es mag noch so falsch und unecht sein. Und wenn sies bekucken, dann rufen sie: "Ach! wie scheen! wie scheen!" Ich fabrizirte neulich vor dem Zubettgehn etwa dreißig brillante Gedanken, die ich mit absichtlich verstellter Hand bei den Adlichen eingeschwärzt habe. Hören Sie nur: "Die Liebe des Menschen ist ein Eden, das von Thaubächen durchschlängelt wird, drin der Mond sein Nachtschmetterlingsantliz badet; die Thiere des Waldes eilen herbei, ihren brennenden Durst zu löschen; der Mensch aber trinckt in sein Gemüt hinein das Vorgefühl der Unendlichkeit, die sich wie ein leuchtender Faunpalast seinem innern Aug‘ erschließt." – "Jugend ist Veilchenblüte der Gottheit; Tugend ihre Melonenreife." – "Des Herzens Donnergeroll ist der Nachtrab der glühenden Empfindungen, die wie Blizzucken ihm entströmen". – Es |2 war auch Wiz darunter, z. B. folgender: "Nichts fehlt dem paradiesischen Heidelberg, als die Sehnsucht nach der Sehnsucht." – das wird dem lieben Jean Paul Freude machen, wenn ers erfährt, denn solche Späße sind ihm viel werth. Schwarz, Hegel und Creuzer wollen ihn gern auf einige Tage mit nach Baden nehmen, da jezt Ferien sind. Sie drangen in mich auch von der Partie zu sein. Allein manches hält mich ab, vor allem das Haus, das ich nicht allein stehn lassen mag. Ich zweifle auch sehr, ob Jean Paul mitgeht. [...] Nach Weinheim will er, um meine Zusage nicht zu brechen. Ich kann überhaupt alles mit ihm machen. Keinen Besuch, keinen Spazirgang schlägt er mir ab, er mag gerade bei der Arbeit sizen, es mag gerade regnen, es mag was da will als Störung eintreten. – Dienstag sind wir bei [...] Emilie, wo klein und groß sich schon im Voraus freut. Auch den Harschern werd‘ ich ihn noch zuführen, wiewohl mir etwas vor dem Geschwäze graut. – Was Jean Paul wohl alles über Heidelberg in die Welt schreiben wird! Dichtung und Wahrheit, doch in andern Sinn als Göthe. Er hält sich ein tüchtiges Tagebuch . An seine Frau und Kinder scheint er unaufhörlich zu denken. Es entspann sich gestern unter den Theologen ein unnüzer Streit, ob heilig mehr sei oder selig u. dabei war viel vom Pabst die Rede. Jean Paul, der entscheiden sollte, half sich durch einen guten gesellschaftlichen Einfall. Er sagte: "Der Pabst ist heilig; Ich aber bin selig, weil ich eine so liebe Frau, und so liebe Kinder habe. Weil ich selig bin, kann ich nicht heilig werden, der Pabst kann aber auch nicht zu meiner Seeligkeit gelangen." Obgleich dies nun nichts entschied, so erhob sich doch ein allgemeines Gelächter über die drollige Anmut mit der ers vorbrachte, und der Streit war zu Ende, zu Abeggs kleinem Ärger. Nun lebt wohl, liebe Eltern.

Euer

Heinrich

Zitierhinweis

Von Heinrich Voß an Johann Heinrich und Ernestine Voß. Heidelberg, 19. Juli 1817, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1683


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Textgrundlage

H: Universitäts- und Landesbibliothek Münster, N. Bäte, 1,10
1 Bl. 4°, 2 S.


Korrespondenz

Zur Datierung: Friedrich Otto Tiedemann wurde am 18. Juli geboren, der Brief also einen Tag später, am 19. Juli 1817 abgefasst. Mit dem Brief vom 16. Juli 1817 verschickt.