Von Heinrich Voß an Friedrich Freiherr de la Motte Fouqué. Heidelberg, 19. November 1819, Freitag

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Heidelberg, den 19. November 1819.

Den herzlichsten Dank, theurer Fouqué, sage ich Ihnen für die Recension des Wilhelmischen Werkes , die bald gedruckt erscheinen soll, und gut corrigirt, wie Sie das höchst billiger Weise fodern. Ob die vorgeschriebene Signatur darunter stehe, oder Ihr Name – beides möchte so ziemlich eins sein. Wer Ohr hat, wird den Vogel schon am Gesange erkennen, und wer kein Ohr hat, für den ist die Recension ohnehin nicht geschrieben. Daß Sie den herrlichen Wilhelmi so lieb haben würden, vermuthete ich; er ist in der That als ein glänzendes Gestirn an unserm poetischen Himmel erschienen, und jedes von Ihnen ausgesprochenen Lobes ist er vollkommen werth, wie auch des Tadels, mit dem man blos solche verschonen sollte, an denen nichts zu bessern und zu verderben ist. Mit neuen Bitten um Recensionen werde ich Sie bald heimsuchen, nur heute nicht, wo mir etwas andres im Kopf und im Herzen liegt.

Mein theurer Fouqué kennt die vossische Schrift über Stolberg nur vom Hörensagen, und nimmt schon Partei? Ich habe diesen Brief meinem Vater nicht zeigen mögen; er hätte ihm weh gethan. Daher sollen Sie auch meine Antwort als eine blos an Sie gerichtete nehmen, und schlechterdings nie in keinem Falle öffentlichen Gebrauch davon machen – was Sie auch ohnehin nicht gethan hätten. Ich bitte Sie dringend, lesen Sie mehrmals die Schrift, und vertrauen Sie nicht dem ersten Eindrucke. Es ist gar keine Befehdung einer einzelnen Person darin, sondern alles gegen Stolberg gesagte dient höheren Zwecken, und grade dem Zwecke, den unser Wilhelmi in "Wahl und Führung" ausgesprochen hat. Hätte mein Vater wehe thun wollen (wer den Herrlichen kennt, weiß, daß er dessen ganz unfähig ist) nicht hätte er wohl achtzehn Jahre und darüber gewartet, binnen welcher Zeit Stolberg einige Mal in der Kirchengeschichte mit höchst intoleranten Worten in angegriffen. Nur die volle Ueberzeugung, als Protestant noch ein gutes Werk thun zu können gegen die überhand nehmende Katholikerei hat ihn erwärmt und geleitet. "Ich könnte nicht ruhig sterben," sagte er einmal, "wenn ich bei der von Gott verliehenen Kraft zu reden, hier geschwiegen hätte, wo alle Theologen schweigen." Und vor wenigen Wochen war der Herrliche schwer krank. Ich dachte zwei Tage hindurch, er könnte sterben. Und in diesen zwei Tagen mit welcher freudigen Ueberzeugung sprach er von seiner letzten Schrift! Gewiß, wer dem Throne Gottes nahe ist, täuscht sich nicht mehr und verstockt sich nicht!

Ich kam Ostern von meinem Jean Paul, von meinem Truchseß zurück, als die Schrift eben begonnen hatte. Sie schmerzte mich anfangs bei meiner grenzenlosen Liebe für Stolberg, die ich als Knabe schon hatte, nur nicht für Stolberg’s theologische Ueberzeugungen, und für seinen – wo er Gelegenheit hatte vorzubrechen – drückenden Aristokratismus. Meine Eltern verschwiegen mir auch sorgfältig alle Stürme, die Stolberg in unser Haus brachte. Sie wollten mir den Glauben an den Mann nicht nehmen, der so väterlich gegen mich war, der auch gegen meinen Vater gut war, wenn es die Leidenschaft ihm erlaubte. Mir war er durch die anziehende Kraft seiner Persönlichkeit manchmal ein Heiliger, zumal in der Zeit, als mein Vater 1796 sterbend lag. Ich müßte weinen, wollte ich weiter schreiben. – Stille davon! – Nun bekenne ich Ihnen, meine Neigung für Stolberg ist nicht mehr die selbige; oder vielmehr sie ist es noch, aber ich weiß, der Gegenstand ist nicht mehr das, wenn auch noch einer lebt, der Stolberg heißt. Ueber jenen Schmerz bin ich weg; die Wahrheit steht mir höher als der Freund. Ich wenigstens, in ganz anderen Ideen aufgewachsen als Sie, theurer Fouqué, erwarte viel Heil von dieser Schrift, sollte sie auch sehr viele, z. B. meinen Fouqué, zum Unmuth reizen. Ich unterschreibe Jean Pauls Worte an mich : "Deines Vaters Schrift wird als Congreve-Rakete durch Deutschland fahren, und glühend an dessen Schlechtigkeit zehren." – Ob Sie beistimmen werden, wenn Sie die Schrift werden gelesen haben, bezweifle ich. Aber den Wahrheitssinn des Verfassers werden auch Sie nicht verkennen. Auch Sie werden mitfühlen, wenn auch mit Schmerz, wie von Wahrheitseifer beseelt der alte Nestor Gleim seine Jünglingsfunken sprüht.

Ihren Thiodolf eigneten Sie Stolberg zu. Sagen muß ich's Ihnen, mich schmerzte diese Zueignung, wiewohl zu einer Zeit, wo ich fast schwärmerisch an Stolberg hing, und noch keine Zeile vom Briefwechsel mit Gleim gelesen hatte. Ein Protestant, dachte ich, darf den in dieser Hinsicht sündigen Apostaten nicht als Glaubenshelden (oder wie Ihr Ausdruck war) begrüßen. – Verargt mir der theure Fouqué diese Aeußerung? Gewiß nicht, sie ist ja mit nichts unreinem vermischt, und ja blos zu ihm gesagt, und Zeuge nur Einer, den wir Beide lieben. – Hinzufügen muß ich, daß ich Sie hätte an mein Herz pressen mögen, als ich Ihre herrliche Luthererzählung gelesen, die ich denn sogleich mit meiner lieben Mutter von neuem las.

Die Noth, in welcher der adliche Bund in Holstein den edlen Claudius ließ – doch laß ruhn. Einer sagte neulich, Claudius hätte schon büßen müssen, weil er kein Amt annehmen wollen. Da schwieg ich verachtend, und segnete zugleich im Herzen die wackeren Elberfelder, die Claudius kräftig unterstützten. Gottlob, daß mein Vater in der Lage war, auch noch für Claudius Söhne beitragen zu können! Das that er recht mit Liebe für den edlen Verklärten.

So hätte ich wenigstens angedeutet, was ich auf dem Herzen hatte. Ich sollte weniger flüchtig geschrieben haben, aber zwei Collegia drängen noch heut; und erst vor zwei Stunden etwa empfing ich Ihren Brief , und ich mußte mein Gefühl über ihn bald vom Herzen sprechen. Leider kann ich heut vom Vater keinen Gruß bringen; aber der Homer wird’s gethan haben, den Engelmann schon vor acht Wochen für Sie in Empfang genommen.

Unwandelbar Ihr Freund.

Heinrich Voß.

Claudius schreibt herrlich an seinen Sohn Hans: "Bleibe der Religion Deiner Väter getreu." So fühlte auch der edle Mendelssohn, der mehr Christ war, wie mancher Christ.

Zitierhinweis

Von Heinrich Voß an Friedrich Freiherr de la Motte Fouqué. Heidelberg, 19. November 1819, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1701


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Textgrundlage

D: Briefe an Friedrich Baron de la Motte Fouqué von Chamisso, Chezy, […] Voß, u. s. w. Mit einer Biographie Fouqué's von Jul. Ed. Hitzig und einem Vorwort und biographischen Notizen von H. Kletke hg. von Albertine de la Motte Fouqué, Berlin 1848, S. 532-536.