Von Emanuel Osmund an Paul Emile Thieriot. Hof und Bayreuth, 1. und 4. August 1826, Dienstag und Freitag

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Hof, am 1ten August 1826.

Mein Thieriot! "Für Thieriots" schreib' ich fort und fort.Deine Eva soll mit uns die wenigen Jahre, welche sie uns vorausgegangen, in uns, hier fortleben.

Eben hab' ich ihr herrliches Testament , ihren letzten Willen, ihre Yverdoner Verse abermals und wieder gelesen.

Wohl dem im Leben, wer so über dessen hiesiges Ende denkt und spricht; wohl diesem nach dem hiesigen Leben!

Mir hat der Herr Striche durch meine Sterbe-Rechnung gemacht, durch die kleinen Wesen, für die ich nun mit zu rechnen habe und mir diese Aufgabe, diese natürliche erschweret, da der Brüche so viele hervorgehen.

Und doch stimm' ich mit unserer himmlischen Eva ein: "Ein Esel ist's, dem dafür graut."

Wenn's hoch kommt: so bringens wir's also am Ende – zum Esel.

Es thut mir wohl, daß die Heimgegangne |2 meine vorjährigen und auch meine jüngsten Worte noch erreicht haben und erfreut.

Ja, mein Thieriot, dort will und werde ich sie Gottwohl erfragen und mich ihr durch Deinen Namen zu erkennen geben.

Unterdessen komm bald, Du Alleinstehender, zu uns, bring Deine vielen Briefe selber und erzähle mir, und laß Dir erzählen.Meine schönste Erzählung siehest Du dann und sie führt sich Dir in leibhaften und lieblichen Personen selber auf.Meine mehr weibliche Gelehrte, als Menschen scheuende, ehrliche, einfache Flora kennt Dich so ziemlich und, so genau, als sie Dich faßen kann, so liebt sie Dich auch und Du wirst ihr Liebe nicht schuldig bleiben, sondern sie gewiß nach Verdienst lieben.Laß uns nun nicht zu lange mehr auf Dich warten, besonders die Kinder nicht, diese unkünstlichen, diese kindlich natürlichen.

|3 Glaub mir's, daß mir die Zeit lange wird, mich Dir als Familienvater vorstellen und Dein Urtheil über diesen, auch als Gatte und Erzieher hören zu können.

Im Voraus sag' ich Dir, daß es mir mit diesen Stellen gerade so geht, wie mit meinem Menschen: ich bleibe im Vergleich mit andern nicht zurück; aber ich kann es beim besten Willen nicht weiter, nicht weit bringen.

Seit gestern bin ich hier, wo ich eben eine freie, frühe Stunde für Dich d. h. für mich benütze, um blos auf einige nach Döhlau zu gehen, dessen Erdentheile ich noch besitze.Die Herrschaft, die Dominicalrenten, hab' ich unserm König abgetreten und also einen Tropfen ins Meer gegossen.

Im nächsten Winter bekomm' ich einen neuen "Rechnungsstrich", da hat nämlich meine Flora ausgerechnet ; komm also früher.

Jetzt ist die Großmutter und viel Lust und Freude da!

|4 Nur gut, daß Dein braver Bruder meinen Brief noch aufgefunden und Dir schicken konnte. So wenigen Werth ein Brief auch haben mag: so ist mir sein Verlust, bevor er zu seinem Eigenthümer gelangt, immer unangenehm.

Auch Deinen guten Bruder möcht' ich einmal wiedersehen.

Baireuth, 4ten.

Gestern gesund hier angekommen und Alles Gottlob! auch so gefunden, will ich mein Blatt endigen und – wenn anders das der guten Richter – die mir's versprochen – fertig ist , Dir es zulangen.Förster ist vorgestern auf die Schweiz und Italien zugegangen.Vielleicht trift er Dich.

Er geht nach München, um da der Kunst mehr zu seyn, mehr zu werden, mehr zu leben.

N. S.So wie mir die Mutter Richter sagte, kömmt er nicht auf Dich zu.Komm Du, mein alter Thieriot zu meinen Jungen und zu ihrem und Deinem alten

Emanuel

Zitierhinweis

Von Emanuel Osmund an Paul Emile Thieriot. Hof und Bayreuth, 1. und 4. August 1826, Dienstag und Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1716


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin V, 138
1 Dbl. 8°, 4 S.

Überlieferung

Hk: ehemals Slg. Apelt,
1 Dbl. 8°, 4 S.


Korrespondenz

B: Von Paul Emile Thieriot an Emanuel Osmund. Wiesbaden, nach dem 2. und am 16. Juli 1826
A: Von Paul Emile Thieriot an Emanuel Osmund. Wiesbaden, 26. September 1826