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Off. 21. Aug. 7

Emanuel. Ich schreibe Dir so oft, daß ich an Dich gar nicht mehr schreibe, daß mir kein Brief gut genug, daß mir ist als wäre der vorige beßer gewesen. In der That, ich muß suchen, seltner Briefe Dir zu geben.

Seit 3 ¾ Woche ist er in Offenbach, der Briefschreiber, ruhig wenn Du ihn sähest und des Sporns gern entbehrend, nicht als bedürfe seine Ruhe der Anregung nicht, aber weil der Sporn sein Fleisch zerreißt, ihn wohl Luftsprünge machen und Querbewegungen, aber nicht fort gehn schreiten läßt.

Wie Du es sagst, Dein "Handle!" müßte einer ein Ochs seyn, wer nicht es aus Deinem Herzen faßte und Dich darum mehr liebte, aber Verdienst erwirbt sich um den zu dem er sagt: Handle, wenig, der es sagt. Der also gewekte, |2 der mit "Steh auf und steh doch auf"-gewekte wird wenn er ein leicht gereiztes Gemüth vollends sein nennt, gleich denken: Halt – der Mensch hält Dich für unthätig – Du mußt warten bis Dein Aufstehn Dein Entschluß ihm scheint und auch ist; Dir selber scheint – denn schon hältst Du Dich selber für unthätig; und mit Unlust, mit Stichen auf Dein eigen Herz, willst Du kannst Du nichts thun, an den Tag nicht gehn.

Ich erfahre (Du mußt mir verzeihen ich rede [...] [...] von meiner Ansicht) wie Du es mit mir machst, daran wie ich es mit der Hofmann, und ich thu ihr dann keinen Nutzen. Ja die Hofmann macht es glaub ich – macht es vielleicht – so mit ihr untergebenen, und sie nützt ihnen wenn sie so thut weniger.

|3 Ich rede von vergangenen Dingen. Predige von vergangenen Dingen! Da sind [...] Schultern breit. Was man sich selber in einem fort vorwirft, sich noch mit dem Werfen entkräftet, wie gern überläßt man Andern die Mühe es uns vorzuwerfen u geduldig steigt man hinüber, wo man selbst die Steine eingebrokt, hinüber. Nur den Luftraum braucht man frei, das gegenwärtige und das künftige Licht müßen einem die Steine nicht verfinstern.

Also lustige Moral aus den Begebenheiten des Tages, keine Warnung aus vorigen Unglücksfällen, die auch an das Vorliegende mit Mistrauen nachsändte; aber kluge Beschneidung ohne Lust und Liebe, die einzigen Vollbringerinnen jeder stolzen Hofnung – doch, weil mans nicht immer weiß, wo solche Blüthen nisten, das einzige Gartenmeßer sey Nichtnährung solcher Reben. –

|4 Als ein Ichz- und Erzkamerad von mir, (dem Duz- vielleicht bekannter) vor Jahren ein wenig Zahnweh hatte, mußte der Chrirurgus eben hier in Offenbach, weil der Schmerz langsam nachließ, seiner Ungeduld nur eine ganz kleine spanische Mücke hinters Ohr oder in Naken setzen – da er wohl wußte daß er seines Vaters unheilbare Haut habe. Daher konnte es ihn schlecht wundern, als er 6 – 12 – 14 Tage, 3 Wochen an der Cur zu heilen bekam; Balbier u Chirurg wechselten regelmäßig, Verband, Bandagen; und er hätte sich mit Unrecht geärgert, als ihn nach Verlauf eines Vierteljahrs eine Rechnung an Bemühung u. Pflaster erinnerte.

Wenn einer (das Gleichniß ist zwar nicht edel) Nachts vom Rausche an der Eck' erwacht – in einer fremden Stadt, wo er kaum angekommen – den Weg nach seinem Quartiere sucht; aus Gäßchen in Sakgäßchen sich verläuft, zu Recommandationen deren Häuser er erkennt, Zuflucht nimmt, sich beschreiben läßt da bleiben soll, Flucht nimmt – es ergreift ihn einer, der ihn beobachtet, führt ihn mit Freundschaft und Gewalt in das ähnlichsehende Haus, was er auch erst für seines gehalten, hineingangen, geläutet, Leute gewekt u. drin daß es nicht seines nicht sey, erfahren hat: muß er da nicht – kann er anders als – den ewigen Sternen selber zu schwanken scheinen, die doch das was ihn treibt nicht sehen – da er doch jezt wacher ist, den Weg ins Aug gefaßter, als vorher als er grad, jedem abschüßigern folgend, vor sich hintaumelte.

Thieriot

Zitierhinweis

Von Paul Emile Thieriot an Emanuel. Offenbach, 21. August 1807, Freitag . In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1772


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Textgrundlage

H: ehemals Slg. Apelt,
1 Dbl. 8°, 4 S.

Überlieferung

D: Abend-Zeitung, Nr. 37, 13. Februar 1843, Sp. 292f. Dem Brief ist irrtümlich der Brief Thieriots an Emanuel vom 22. Oktober 1807 als Nachsatz zugeordnet.


Korrespondenz

A: Von Emanuel an Paul Emile Thieriot. Bayreuth, 14. Oktober 1807, Mittwoch

Über dem Brief Beantwortungsvermerk von Emanuels Hand: 14 Oct. 7 beantw.