Von Friedrich Benedikt von Oertel an Amöne Herold. Leipzig, 26. Dezember 1796 bis 3. Januar 1797, Montag bis Dienstag
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Ich heiligte gestern den ersten Feiertag durch eine absolute Einsamkeit, die mich ganz mir gab und meinen getrennten Geliebten, und der Vergangenheit und der Zukunft, und endlich der Ewigkeit und der Wonne einer endlosen Liebe.
Wenn ich Ihnen sage, dieß sei der erste Tag in diesem nun verrinnenden Jahre gewesen an dem ich so ganz ungestört mir selbst überlaßen blieb, so befürchten Sie doch nicht darum, daß ich zu wenig mich sammle, zu sehr zerstreut lebe. Außer den Meßen (in denen ich jezt doch auch immer freier meiner Zeit gebiete) seh' ich keine einzige Gesellschaft (da ich aus Grundsatz allen grosen Zirkeln entsagt habe) in der ich mich selbst verlör, aber doch alle Tage Menschen. Ich habe mich kennengelernt. In Keinem ist der Hang zur Einsamkeit stärker, keinem ist er aber auch gefährlicher. Menschen sehen ist mir nöthig, mit ihnen sprechen, nicht so. Auch sprech' ich nur mit solchen, die irgend ein wechselseitiges Interesse mit mir verbindet, und mit den andern schwatz' ich blos. Nehmen Sie aber, daß ich die Stunden nach Tisch nirgends beßer zubringen kann, als im Museum unter Zeitschriften, daß ich einem guten Menschen, der Müller heißt , täglich Stunde im Englischen gebe, daß ich endlich zu meinen hiesigen geliebten Menschen nie oft genug gehen kann, weil sie es immer zu selten finden, so werden Sie auf jeden Tag 4-5 Stunden vertheilt sehen, die ich nicht allein zubringen kann.
Ich kann Ihnen nicht anders schildern wie wohl der gestrige Tag mir that, als wenn ich Ihnen den wichtigen Antheil bekenne, den Ihr Bild, Ihre Briefe, alle Erinnerungen an Sie, alle hoffenden Wünsche Sie wieder, Sie recht glücklich wieder zu sehen, an meinen Spekulationen und Schwärmereien hatten. Denken Sie hinzu, daß Ihre liebende und in Liebe veredelte Gestalt meinem innern Auge in den schönsten Stunden mit den Gestalten meiner andern geliebten und liebenden Menschen entgegenkam, daß mein Herz sich durch seine eigne Liebe aller der fremden Werth fühlte, daß kein einziger trüber Gedanke eine Wolke in das reine Licht meiner Seele warf, daß ich mit der feurigsten Dankbarkeit mich zu dem Urquell aller Liebe emporschwang, aus dem mein Leben wie ein Kelch diese beseeligenden Nektartropfen geschöpft hatte, daß ich selbst in ein Tropfen mit den andern in ihm zerfloß, mich mit ihm vereinigte, daß alle diese starken und sanften Empfindungen durch die Vergleichung mit der Dürftigkeit an Liebe, unter der ich vor einem Jahre um diese Zeit noch geschmachtet hatte, versöhnt und verstärkt wurden – o, denken Sie das und Sie werden diesen Tag voll Himmelsfreuden noch einmal mit mir durchfühlen.
An diesem Tage hatt' ich vor einem Jahre zum erstenmal an Paul geschrieben Fixlein gelesen und heute ist's ein Jahr daß ich an Paul zum erstenmale schrieb. Es wurde ein Geburtsfest, ein Fest der Wiedergeburt, da mein geistiger Mensch mit Emil gestorben war.
Auch jezt holte ich mir Fixlein wieder, in dem ich zwar oft viel, aber den ich doch nicht in diesem Jahre gelesen hatte. So erneuerte ich alle Genüsse, so verdoppelt ich alle.
Meine Lieblingsschriften vertheilen sich für mich immer auf verschiedne Jahreszeiten. Im Winter |2 les' ich (englische) Philosophen und Geschichtschreiber, von deutschen Autoren Lessing, Herders philosophische Sachen, Garve, Mendelsson und die Geschichtsromane von Milbiller, dem Vf. des Walter von Montbarry, die alle das Nichtige der weiten, sanguinischen Plane, des Ehrgeitzes u. s. w. praktisch predigen, von Paul den Fixlein und nun auch die Frucht und Blumenstücke, der Frühling ist für Göthe, Herder als Dichter, Rousseau, Cazotte, Voß, St. Pierre, die biographischen Belustigungen pp, der Sommer für den Hesperus, einige Schriften Wielands, die Messiade und englische Romane, der Herbst für die Mumien, Ossian, die Lebensläufe, Zimmermanns Einsamkeit u. s. w. – es versteht sich, daß ich dieser Ordnung nicht pedantisch anhänge, mein Geschmack an diesen Werken ist dann nur verewigend, Pauls Sachen les ich z. B. immer, aber nur nach Sehnsucht und Bedürfniß des Augenblicks, wie ich denn überzeugt bin, daß für einen Geschäftsmann, der das Glück hat, Fantasie und Herz sich zu erhalten, Paul allein eine ganze Bibliothek aufstellen kann, und wenn ich nicht vermöge meiner Lage, mir Lesen und Schreiben zum Geschäft machen müßte, vielleicht kaum etwas ausser ihm lesen würde.
Dem berauschenden paulischen Geisteswerk gab ich als Temperirpulver ein paar Stunden komische Lektüre zu, und stellte dadurch die Harmonie meiner Seelenkräfte wieder her, die ich dem despotisen der Fantasie entzog. Ein Entlocker derselben war meine Violine, die mir meine innern Töne reputiren mußte und mit der ich in Intervallen musikalisch herumzog. Zum Ersten und zum Schluß mußte mich endlich ein neuerer Roman bereiten und stimmen, der nicht schlecht genug war, mir zu ekeln, aber nicht gut genug, um Ihnen ihn zu nennen.
So war ich sinnlich und geistig ein wahrer Epikuräer.
Und Sie? Waren Sie mit unsern Lieben? oder sind Sie es heut erst und blieben Sie gestern allein? in lezterm Falle haben Sie mir gewiß ein paar Minuten geschenkt. O Sie Gute, Sie entziehen sich mir ja nie, und der edle Zirkel, der sich um Sie schließt, wird ja selbst ein neues Verbindungsmittel unsrer Seelen. – Morgen erhalt' ich ein Brief von Ihnen? o nicht wahr?
Ich war im Freien. Schöner sah ich nie die Bäume kandirt und versilbert. Ich ging in den Alleen vor der Stadt, die nie nützlicher uns eingesperrten Städtern sind als im Winter, unter lauter durchbrochnen Schneegewölbern. Wahrhaftig, es war wie in einer Feenwelt. Nur ein anfallender Wiederschein fehlte noch, wie von einer Abendröthe, und das Schauspiel wär entzückend geworden.
Ich wollte, Sie währen heute zusammen in der Erkerstube der Geschwister Otto. Wie muß sich die Gegend heute herrlich dahinein ergiessen! Wie müßen die fernen Wälder majestätisch, wie Greise und Silberlocken, erscheinen! und dann wieder des Abends und aus den Schnee die heraufblickenden Lichter einzelner Stübchen, o könnt' ich doch mit da seyn. Aber du lieber Himmel! wenn ich mich dann gar umdrehte und säh in dem weiten, hohen, alten, warmen, traulichen Saale die besten, die geliebtesten meiner Menschen seelig wie Götter versammelt, und über alle die Liebe schwebe, die sie und mich lächelnd seegnet – o dann wär ja die Wonne zu gros für mich.
Eine kleinere Freude, aber doch eine sehr grose, erwartet mich heute in der Gesellschaft meines guten Fritzchens und der ihrigen. Diesen bin ich mehr, als ich Euch Reichen seyn kann, und das muß man auch für etwas nehmen. Ich thu' es, beim Himmel!
|3Allen guten Geistern von dem höchsten, unendlichen an bis zu dem der in menschlicher Bildung und Gestalt sich offenbart, danken wir das Entzücken, das sie uns geben, durch nichts als durch – das Entzücken. Ihnen zeigen, wie wir uns ihres Wohlthuns erfreuen, heißt ihnen die köstliche Frucht pflücken, von dem Baum den sie pflanzten.
Sie sind das Wesen, Amöne, das mir stets noch mehr leistet, als ich erwartete. Und doch ist nichts so edel, nichts so gros, so erhaben, so gütereich, was ich von dem holdesten, reinsten, liebendsten, geistigsten weiblichen Wesen nicht erwartete, das mir auf meinem ganzen Lebenswege entgegen kam. O Sie, immer dieselbe und doch immer neu, mit nichts vergleichbar als mit sich selbst, immer vollendet erscheinend und doch immer sich selbst mehr vollendend, Theure, Himmlische, von Gott gegeben, ewig gehört Ihnen nun der beste Theil meines ganzen Selbsts, der beßre, der unsterbliche.
Geliebte! noch haben Sie kein Wort mir geschrieben, das nicht mit süßer Freude oder mit sanfter erhebender Trauer, das nicht mit Liebe und Wonne in mich gedrungen wär, noch hab' ich nie Sie denken können, ohne von der zauberischen Gestalt, die nur ein Engel annehmen konnte, gerührt, bewegt, entzückt zu werden, noch hatte ich keinen Augenblick, worinn es mir möglich schien, mehr durch Sie beglückt zu werden als ich es eben wurde, und doch fühl' ich jezt meine Seele durch Ihren lezten Zuruf über alles was ich bisher erfahren wundersam und nun erschüttert. Mir ist als wären alle meine Gedanken, alle meine Erinnerungen an Sie so viel Blumen aus Eden, und als bewege sie dieser Ihr Zuruf wie ein warmer Hauch, der jedem Blüthenkelch seine Düfte entlockt und ich weiß nicht in welche überirrdische Atmosphäre mich entrücket.
Diese erhebende und erhabne, stille, gleiche Freude an Ihnen ist gleich der zu an einem der Unsichtbaren, Himmlischen, der in Traum oder Vision sich zu uns herabläßt und uns leise zuwinkt mit der Friedenspalme in seiner Rechten, daß wir froh der seeligen Gewißheit einst ewig, ewig mit ihm und seinen Brüdern zu leben, nun fortan freudig unsre irdischen Pflichten erfüllen, duldend und heiter unsrer irrdischen Bestimmung folgen und das Leben zugleich verschmähen und genießen sollen. Diese Freude, ich vergleiche sie mit Nichts, ich verwechsle, ich beflecke sie mit Nichts, sie steht über meinem Leben, wie eine Sonne über ihren Planeten, und das Leben schwingt sich unter ihr in Harmonie und Regelmäßigkeit, beleuchtet von ihr und erwärmt, denn es ist ihr Planet. Mit einem frischen, zartem Grün schmücken sich durch sie die Auen dieses Lebens, und süßer duften alle seine Pflanzen, und reifer prangen alle seine Bäume, und wohlthätiger, Freudegebender wird es durch sie auch für alle andern Menschen.
So wird es mir immer deutlicher, daß der Gang, den meine Seele mit der Ihrigen geht, der Flug, den sie mit der Ihrigen fliegt, außer dieser Erde ist und diesem Leben, daß alles, was wir aus diesem darauf übertragen könnten, nichts werden könnte als Felsenstücken, Dornen, Stachelgewächs, daß unser Wechselgenuß immer heiliger, reiner, Wonnevoller werden wird, je fester wir ihn von allen den übrigen Genüßen, die uns das Leben als Leben darbietet, scheiden, während wir alle jene Genüße, die[...] wir einzig dieses Namens würdigen, alle die der seelischen, ewigen, unendlichen Liebe, die uns mit andern verbindet, auch mit ihm verbinden und |4 ihn immer mehr dadurch verstärken.
So befestigt sich unser Bund durch alles was einen gewöhnlichen zerreißt. Die Treue, die Standfestigkeit, das Vertrauen, alles was der vergängliche und veränderliche Mensch mit Mühe und Anstrengung behauptet, werden uns natürliche, nothwendige Eigenschaften, und unsre Liebe wird, gleich der Andacht, deren Theil sie ist, gleich diesem höchsten, innigsten Enthusiasmus für den Urquell alles Schönen und Guten, frei von aller Eifersucht, von aller Furcht, durch Theilung geschwächt zu werden. Diese Furcht, die Marter und das Elend selbst gebildeter Menschen, wie könnte sie uns etwas anhaben, uns die wir den höchsten Punkt der Erkenntniß der einzig wahren, höchsten Liebe erreichten, auf dem sie nicht mehr die trübe Flamme ist, die sich von verzehrbarem Erdenstoffe nährt, und bald zu verlöschen droht, sondern eine ewige Aetherflamme, immer gröser je mehr sie die überall verstreuten Feuertheilchen an sich zieht?
Sie können nun nie wieder, was ich auch für andre Verbindungen treffe – und es wird mir immer nicht wahrscheinlicher, sondern gewißer, daß ich nicht blos aus Wahl, sondern aus Pflicht mich einer ihrer Arten nicht werde entziehen können und dürfen – den leichtesten Zweifel äußern, die entfernteste Frage aufwerfen, ob ich Sie ausschließend liebe? Wie die Liebe allein es ist, welche den niedrigem Geist dem höchsten ähnlich macht, wodurch der Mensch das Ebenbild Gottes wieder an sich herstellt, so wird er auch in seiner tiefen Sphäre diesem Allliebenden Gotte darinn ähnlich, daß er alles lieben kann, was Liebe verdient, in dem Grade, als es sie verdient, aber doch jedes ausschliessend je nach diesem jedesmal einzigen, ausschliessenden Grade. Obgleich stets nur die Liebe selbst, also das Herz es ist, was Liebe verdient, also in so fern die Liebe eine einzige, gleiche ist, so werden doch ihm Grade durch den Geist, durch die Fantasie bestimmt, die sich mit dem Herzen vereinigen, und wechseln nach der unendlichen Mannichfaltigkeit dieser beiden. Es giebt eine Gattung irrdischer Verbindung für das Leben, deren Glück, deren Seegen beinah nur vom Herzen abhängt, in denen Geist und Fantasie nur ein weicher Schmuck, nicht Grundstoff sind, in denen diese beiden, die irrdisch entfernten Menschen nur noch mehr vereinen, noch dazu leicht Trennungsmittel werden, weil sie den Charakteren eine Eigenheit aufprägen, die zugleich deren Werth macht, aber das dann nothwendige Uebereinstimmen selbst in Kleinigkeiten hindern, kurz in denen es beßer und gerathner ist, daß der eine Theil nichts sei als – weich und bildsam und einsichtsvoll genug, die Kraft des andern vertrauend zu schätzen und ihr sich zu überlaßen. Ich hoffe, ja ich weiß, Sie denken wie ich, daß es ausser der Vollendung der geistigen Menschen, die hier immer nur befördert aber in einer andern Welt erst geschlossen wird, auch eine des Erdenmenschen giebt, und diese ist hier nach meinen Idéen schlechterdings nicht anders als durch jene Art der Verbindung zu erreichen. Also schon darum, und wenn auch nicht der Plan des Universums uns darauf hinwieß, würde es Pflicht seyn, sich zu bemühen sie zu schliessen. Ich werde Ihnen alles offenherzig sagen, was ich etwan in dieser Hinsicht künftig unternehmen könnte, denn es kann keine Begebenheit in meinem Leben vorkommen, keine Begebenheit, in der ich als ein thätiges Wesen erscheine, wobei ich nicht Sie, wie meinen Genius anrufe.
Alles schweigt um mich, aber höher klopft mein Herz in dem allgemeinen Schweigen, und mächtiger schwingt sich mein Geist empor über Erde und Leben.
Einzelne Lichter flimmern noch in den Zimmern. O daß in jedem Menschen wären, beschäftigt wie ich, glücklich wie ich, mit den Geliebten, durch sie. O daß Keiner ein ödes Herz hätte, keiner eine vergebne Sehnsucht! Daß Jeden die Liebe erhöb und durchglühte, daß Viele mit Hoffnungen, alle mit Wünschen, keiner in trostloser Erwartung der Seele in das neue Jahr |5 hinüberschaute!
Es steiget herauf aus der Ewigkeit unerschöpflichem Schoose, es steiget herauf mit langen, kalten Winternächten, und mit langen sengenden Sommertagen, mit dem belebenden Frühling und dem tödtenden Herbste, und es hält eine Waage immer schwankend, in deren einer Schale das Leben liegt und in der anderen der Tod, Blumen sprossen unter seinen Tritten und seine Tritte zerknicken die Blumen, das Horn des Ueberflußes glänzt in seiner Rechten, aber die schönsten Früchte, die es verstreut, sind vom Wurm gestochen, ihre süße Reife hat einen Moment nur, und dann werden sie zu Asche.
Die Mitternacht verhüllt seinen Anfang, aber auf den schwarzen Grund reisset der Mensch bunte Landschaften aus Eden und beleuchtet sie mit dem Schimmer seiner Fantasie. Wohl ihm, wenn sie kein jüngstes Gericht, keine Dantes Hölle hineinmahlt!
Und unter den Starrenden, Zweifelnden, Hoffenden stehet der höhere Mensch aufgerichtet und ruhig; sein Ich und seine Liebe tragen ihn in die Ewigkeit; seine dunkle Gestalt aus Erde drängt sich umsonst dazwischen, umsonst will sie ihn zum Sklaven der Zeit machen und der Nothwendigkeit, die nur über sie herrschen. Er schaut empor zu Gott und zu dem Himmel, in dem die Liebe wohnet und herab in seine Brust, in der sie auch wohnet, und freut sich des Himmels über sich und in sich, und unterwirft dem Schicksal was Erde an ihm ist und entzieht ihm seinen Geist, sein Gefühl, die freien.
So sondert er sein freies Wesen von seiner knechtischen Erscheinung und, so lang er sie nicht verwechselt, vermag das Schicksal nichts über ihn. Ach! aber kann es ihm nicht die Geliebte nehmen? Kann der Mensch sich nicht mit dem Troste begnügen, daß es ihm auch dann seine Liebe nicht nehmen könne? Dieser Schmerz ist, aber die Liebe selbst heiligt ihn, sie veredelt, sie versüßt ihn, denn sie belebt die entrißnen, sie beseelt die gestorbnen, sie verbindet die geschiednen und da die Liebenden ja, auch wenn sie sichtbar bei einander blieben, nur auf einer unsichtbaren glücklichen Insel zusammen lebten, führt sie die scheidenden und den geschiednen an der Hand der Fantasie auf ewig in diese Insel ein.
Sie denken jezt an mich, wie ich an Sie, Amöne! Was wir uns wünschen könnten, wär es nicht immer etwas Kleineres, als was wir haben, was wir uns schon gaben? ja, wär es nicht etwas so Kleines, daß wir's uns nicht einmal wünschen möchten? Selbst die Dauer unsrer Liebe und der unsrer geliebten Menschen können wir nicht wünschen, weil wir ihrer gewiß sind. Alle Liebe ist unsterblich, alle Unterbrechungen derselben, diese Bedingungen gleichsam unter denen Sterbliche es wagen dürfen ein ewiges Gefühl zu nähren, sind nur scheinbar, und wem es gelingt, ganz das Wesen der Liebe zu kennen, dem verschwinden sie ganz, der glaubt sie nicht.
Aber ich bete für Sie und ich wünsche Ihnen. Möge das Schicksal, das Ihr Herz, Ihre Liebe, Ihr Wesen uns nie mehr rauben kann, möge es auch Ihre Erscheinung uns noch lange laßen! Mögen Sie nicht blos eine heitre, freie Seele, sondern auch diese Seele wie in dem schönsten, so auch in dem gesundesten Körper haben! Möge endlich kein rauhes Betasten einer fremden groben Hand, kein Verdruß eines fühllosen Unmenschen Ihnen mehr kosten als einen flüchtigen Seufzer, und auch dieser Seufzer, möge er mehr der des Mitleidens mit dem Unglücklichen, Verblendeten, Thörichten, als der der Kränkung seyn, die ja Ihre erhabene Seele nicht treffen kann!
Gute Nacht Theuerste! Schöner verknüpften sich mir noch ein zwei Jahre.
|6Ich kann ihnen nicht sagen, Theuerste! wie schwermüthig ich eben jezt von einer dreistündigen Durchsuchung von Papieren, Briefschaften und Tagebüchern komme. In solchen Augenblicken will die Zeit, will die Wirklichkeit drohend sich zwischen uns und die Ewigkeit, die Wahrheit stellen, der Schatten der Vergänglichkeit bekleidet sich mit einem Körper, aber der Körper ist blos ein Todtengeripp, an dem die grinsende Larve uns höhnen will, uns und unsre Hoffnungen.
"Du kleines, erbleichendes Gebild aus Staube – spottet das Geripp – erkenne mich, erkenne dich und zittre! Jeder deiner Momente ist ein Tod, und du träumst von einer Unsterblichkeit; jeder deiner Pulsschläge ist das Picken eines sich zerreibenden Uhrwerks, deßen Zeiger auf nichts deutet als auf Untergang und Verlust, und du träumst von einem ewigen Genuße; ein Sturm umwirbelt dich, reißt dich fort von Nacht zu Nacht schwerer Wolken, aber du blickst in Sehnsucht nach dem Rande des Horizonts, von dem ein Regenbogen sich aufschwingt, und die Farben entzücken dich, und du siehst nicht, daß der schwarze Grund, auf dem sie schimmern, die Wolke deiner lezten ewigen Nacht ist. Dich umwehet die Asche verblühter Freuden, eingesenkter Hoffnungen, entrißner Geliebten, aber gedankenlos und irrend beseelst du die Asche und formest sie in neue Gestalten, die deine trügende Fantasie anstrahlt und vergoldet, und dann glaubst du an eine unsterbliche Freude, und trägst deine Hoffnungen auf eine Ewigkeit hinüber, und sammelst neue Geliebte zu den alten, neue, die du nun nie wieder verlieren willst. So zerrinnt in leerer Täuschung dein irrdisch Leben und du hast nicht einmal genoßen, was du genießen konntest, und nur die Vernichtung rettet dich vor der späten vergebnen Reue."
Den Donnerworten will der arme, zerknickte Mensch erliegen. Das Verhängniß, die Nothwendigkeit steht über dem Hingeworfnen in einem Triumphwagen, die Räder des Wagens laufen mit scharfer Schneide über lauter Menschenherzen und reisset lauter blutige Wunden hinein. Oft streifet sie gewaltig durchzwischen zwei Herzen die sich lieben, und beider Blut fließet dann in einander.
Aber das Verhängniß ist eine gebietende, eine tyrannische Gottheit nur für die, welche feig, ermattet, knechtisch sich ihr unterwerfen, eine Dienerin selbst ist es nur dem erhabnen, grosen Menschen, der von dem Hauche der höchsten Gottheit beseelt nun durch ihn mit Macht gerüstet, die Larve angemaaster Majestät ihm abreißt und im Vertrauen, im Glauben, in der heroischen Ergebung ihm gebietet.
"Immer frohlocke – so ruft er – immer triumphire, du Despotin der sichtbaren Welt, du hast keine Macht über die Unsichtbaren, über die Geister. Es ist ein Geist in mir, und dieser verschmäht dich. Immerhin schlage du Wunden, trenne du blutende Herzen, die Menschheit hat einen waltenden Genius, der die Wunden heilt, die Herzen wieder verbindet. Was ist diese Asche, die du mir höhnend zeigst? aus aufgelösten Körpern steigt sie empor, aber der Geist lebt ewig, der die Körper bewohnte, ewig bleibt er mir nah, ewig verlier' ich ihn nicht mehr. Was ist dieser Sturm, der mich wirbelt und fortreißt,? nur die Gestalt, nur die Erscheinung ergreift er, mein Ich soll er nicht erschüttern. Diese nächtlichen Wolken über mir sind vorüberziehende Dünste, hinter ihnen lacht ein ewig heitrer, heller Himmel, bald schwingt mein Geist sich in diese und sieht tief unter sich die Sturmnacht. Dem Regenbogen am Rande des Horizonts lächl' ich entgegen, denn er ist der Widerschein einer ewigen Sonne. Siehe, schon jezt dringt sie durch und trocknet die Schwingen meiner Psyche, die du umsonst mit deinen Strömen übergossest, und kühner, freier hebt sie schon jezt sich empor. Was du mir nimmst, war nie mein, was mein ist, behalt' ich immer. Nimm mir Gott, die Liebe, mein Ich, und dann zerknirsche mich mit deinem Hohne, aber sie stehen mit mir auf einem Thabor, wohin du nicht dringst, du raubender Geier. Dein matter Flügelschlag erlahmt an dieser Höhe der Verklärung, nur in den trüben Thälern der Erde, unter ihren Gräbern und Öden findest und haschest du deine Beute. Von meiner Höhe seh' ich hinab zu dir und zu den Gestalten der Menschen und zu meiner eignen, die, ein Gespenst unter Gespenstern, dort herumwankt und dir gehört gleich ihnen. Thränen magst du ihr entlocken und Blut und Seufzer, ihr der vergänglichen, verwehenden, deiner Sklavin, aber dann wenn sie deiner vergänglichen Gewalt, sie die vergängliche, gehuldigt, wenn sie dir den Tribut ihrer Nichtigkeit bezahlt hat, dann zieh' ich wieder ein in sie und belebe und erhebe sie, daß sie nicht zerfalle, bis Er es will, dein Gebieter und der meinige. Diese ihre Brust kannst du zertrüm- |7 mern, aber fest stehen die Säulen des Tempels, den die Tugend sich in ihr erbaute, und du kannst nur die knöcherne Decke davon abheben, die ihn hier von dir schied und vor dir schützte. Gott bewohnt ihn und die Liebe und unerschütterlich, ewig bleibt er dann ihnen geheiligt."
Auch wenn Ihr theurer Brief , geliebte Schwester, nicht so schön, so überaus schön und rührend geschloßen hätte, daß ich nur mit einem Eindruck reiner Wonne davon gehe, auch wenn Ihre sanfte, liebende Seele nicht bald den Wahn unterdrückt hätte, mit dem Sie auf den ersten Blättern wenn nicht mich, doch durch mich veranlaßt, mein Geschlecht einer Ungerechtigkeit und Feindseeligkeit gegen das Ihrige beschuldigen – so würd' ich doch, Ewig theure! nur einen Moment lang haben zittern können, meine Amöne möge mich zu den niedrigen, feigen Tyrannen gesellen, die den Menschenwerth in eine grobe Organisation und in eine eiserne Nerventextur setzen, weil sie nichts haben als das, und ein Geschlecht mißhandeln, über das sie keine andere Ueberlegenheit haben als eine brutale, physische. Denn meine Amöne kennt mich und liebt mich, wie könnt' ich ihr so nahe stehn und doch so tief?
Es ist aber doch bei alle dem etwas ärgerliches um das Schreiben, wenigstens um schriftliche Urtheile. Es kömmt alles so hart und schneidend heraus, und nur daß die Schreibenden sich recht genau kennen, giebt ihnen die Hoffnung, daß alles gehörig gedeutet werde. Ich habe einen Gedanken, der beinah für den Reichsanzeiger reif wird – den, daß eine Art von Zeichen erfunden würde, um den Ton und die Gemüthslage zu bestimmen, in denen etwas geschrieben wird. Das nehmliche kann Ernst seyn und Scherz, leicht hingeworfen oder fest appüyirt, sanft oder streng. Ein spitzer Winkel könnte das lezte, eine Schlangenlinie das erste bezeichnen u. s. w. und so wär allen Mißdeutungen ausgewichen. Indeßen, da ich wie Sie wißen nun einmal unter Freunden und Liebenden alle réelle Mißdeutung läugne, so mögen andre, die mehr als ich mit Gleichgültigen korrespondiren, den für mich unnöthigen Gedanken ausführen.
Ich, der ich öffentlich zu erklären erböthig bin, daß ich alle meine Höchste und erhabenste, reinste Freuden von Ihrem Geschlecht empfangen, Freuden, die mir blos dessen Eigenthümlichkeit gewähren konnte, daß ich alle die Eigenschaften, die nach meiner Ueberzeugung den wahren Werth dem Menschen geben, Milde, Sanftheit, Liebe, Herz mit einem Wort, bei ihm in gröserm Maase angetroffen habe, als bei dem meinigen, daß mir die Frauen als die einzigen Wesen erscheinen, die unser Geschlecht humanisiren und beglücken und veredeln können, der ich sogar auf alle Arten zu beweisen mir getraue, daß die Tugend und der Adel einer männlichen Seele nicht sichrer und beßer gewürdigt werden können, als aus ihrer Achtung und Liebe nicht – für die Ausnahmen des weiblichen Geschlechts, sondern für das Geschlecht selbst, der ich nie mit einem Worte, mit einem Gedanken, mit einem Buchstaben dieser Ueberzeugung entgegen handelte, nein nie kann ich einer erniedrigenden Meynung über die Weiber beschuldigt werden. Selbst wenn ich einige verachtete, einige zürnte, einige verdammte, selbst dort, als ich alle floh, wankte doch mein System über sie nicht, und ich schaute, ich verdammte sie nicht deswegen weil sie Weiber, sondern weil sie nicht weiblich waren.
Meine ganze Kritik in meinem lezten bestätigt dieß. Mein Tadel war ja eben so das gröste Lob der Weiber als mein Tadel der Unmenschlichkeit das gröste Lob der Menschheit ist.
Nicht die Ausbildung des Geistes tadelt' ich als unweiblich, so wenig wie ich sie als unmenschlich tadeln könnte, aber ich tadle sie hier wie dort, wenn sie selbst zum Zweck gemacht und nicht für das, was sie ist, für das Mittel zu der des Herzens angesehn wird. Die moralische Kultur ist die, deren wir alle, Männer und Weiber, für diese Welt eigentlich bedürfen, die blos sinnliche ist unter, die blos geistige |8 über uns; ich bin den Kantianern eben so entgegen als den Helontianern und erkenne nur eine wahrhaft menschliche Weisheit, die des Sokrates, Jesus und ähnlicher Menschen.
Der Individuelleigne der Weiblichkeit ist, nach diesem Grundsatze (den nur der zu widerlegen versuchen kann, der kein Gemüth, kein Herz hat) zugleich das was ihr einen so hohen Werth sichert. Denn ihr Charakter ist Herz, Gefühl, Liebe. Bestimmt in jedem Umriße wird der weibliche Geist nicht in einem formlosen Raum allgemeiner Idéen hinaufgezogen, in den männlichen, er ergreift nur das Nahe, aber umfaßt es ganz, der Gedanke wird in ihm zur Empfindung, so wirkt er voll, kräftig, wohlthuend und ist immer in jedem Augenblicke ein gerundetes Ganzes. In den Regionen, in denen der männliche Geist umherschweift, verirrt er sich immer, verwirrt er sich oft, verliert er sich nicht selten, und treibt ein gefährliches, vernichtendes, träumerisches Gedankenspiel, worinn er selbst zu einem blos leeren, unwirksamen Gedanken wird. Aber selbst wenn er so glücklich ist, von seiner Jagd nach allgemeinen Idéen eine Ausbeute davon zu tragen, bleiben diese unthätig, sind weder anzuwenden noch auszuführen, wenn sich nicht ein Verbindungsmittel zwischen der Wahrheit, die er gefunden, und der Wirklichkeit zeigt, die er verlaßen.
Dieses Verbindungsmittel – Sie sehen, worauf ich komme – kann in einem Zeitalter, wo wir keinen Patriotismus haben, weil wir ohne Vaterland sind, weil wir an Staatsverfaßungen keinen ernstlichen Theil nehmen können, die weder unsre Vernunft noch unser Herz billigt, wo uns also das eine Werkzeug mangelt, das im Alterthum die Spekulation mit der Wirsamkeit aussöhnte, und deßen Stelle die allgemeine Menschenliebe nicht ersetzt, weil sie selbst so lange nur Idée bleibt, als sie nicht durch die Liebe Gottes, und als diese wieder nicht durch die Liebe des Werthes und Adels einzelner Menschen belebt und entzündet wird, es kann sag' ich nur in dem oben angeführten Charakter der Weiblichkeit gegeben seyn. Denn obgleich die Freundschaft zwischen Männern auch schon ein glühendes Gefühl für Werth und Adel des Menschen ist, so verbindet sie doch nur wieder Gleiches mit gleichen Anlagen und Neigungen, die also nur jezt zusammen in eben die Abirrungen von der moralischen Kultur zu einer blos geistigen fallen, worein sie zuvor einzeln fielen.
Es ist also wohl wie das wohlthuendste, so das würdigste, heiligste Amt, was ich nach diesen Sätzen, Ihrem Geschlechte beilege; es ist das einzige, wodurch eine menschliche, moralische Kultur möglich wird, ohne seine Einwirkung herrscht nichts als Rohheit, Barbarei, Lieblosigkeit. Der Mann kann viel haben ohne das Weib, aber durch dieses erst kann er etwas werden. Stoff kann und soll er sammeln, unabhängig, aus eignem Vermögen, aber der Stoff wird nicht geformt, er selbst bleibt roher Stoff, ohne der Weiber Beihülfe.
Wie ich nun überhaupt nicht anders kann als zürnen über dieses kalte, Liebeleere, egoistische Zeitalter, über diese falschen, entweder blos sinnlichen oder blos geistigen, oder aus beiden ekelhaftgemischen Kulturen, die wie Seuchen unser Europa, unser Deutschland verpesten, und nie meine heiße, zärtliche Liebe für die Menschen, meinen Wunsch für ihr Wohl, (unmöglich ohne moralische Kultur) mein Zürnen selbst nothwendig vermehrt, so kann ich ja, und Sie sehen es, nur noch mehr zürnen über Ihr Geschlecht, weil ich es noch mehr liebe, ja in eben dem Verhältnis, als ich dieß thue. Auch hab' ich noch einen sehr rechtmässigen Grund dazu. Die Männer sind an sich selbst von der moralischen Kultur weiter entfernt als die Weiber, weil sie sowohl zur blos sinnlichen als zur geistigen blos sich mehr hinneigen. Sich selbst überlaßen, können sie sogar diese Klippen gar nicht vermeiden. Die Weiber hingegen scheinen mir ganz eigen diese moralische Kultur, wie ein Lebenselement, zu haben. Sie sind weder so sinnlich wie wir noch auch so geistig (zu allgemeinen Idéen, abstrahirt vom Gefühl geneigt), sie werden also zugleich unnatürlicher als wir und verderbter, wenn sie wie wir werden, weil sie weiter von ihrer Bestimmung abweichen. Und eben deswegen wird ihnen die blose Ausbildung des Geistes, die auch bei uns ein Fehler ist, wenn sie nicht Mittel zu der des Herzens wird, sogar Laster, denn Laster ist Unnatur wie Tugend Natur ist.
Daß mein Ton oft an sich hart ist, muß ich leider zugeben, er erklärt sich aus meiner frühern Jugend, in der ich bis zur Unnatürlichkeit Stoiker zu seyn mich – wenigstens befliß, und daraus oft später als bei andern mein Gefühl erwacht ist, aber Sie dort in Hoff alle zusammen, Sie wißen eigentlich die Gränze nicht, auf der seine Härte anfängt, denn Sie sind unnatürlichen, entmenschten Menschen nicht so, so oft nahe persönlich gewesen als ich, und kennen sie nicht so praktisch. Um von ihnen nicht unterdrückt, niedergeworfen, abgerieben zu werden, muß man in der Welt eine härtere Schaale haben, als Sie Glückliche dort bedürfen. Geben Sie das meinem geliebtesten Paul und unserm Otto einfür allemal zu verstehn. Sonst werden Sie mich oft für bitter und menschenfeindlich halten und meinen Kern mit meiner Schaale verwechseln. –
Ewig, ewig Ihr treuer Freund O.
(es ärgert mich, so abzubrechen aber ich muß den Brief fortschicken
Zitierhinweis
Von Friedrich Benedikt von Oertel an Amöne Herold. Leipzig, 26. Dezember 1796 bis 3. Januar 1797, Montag bis Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1970