Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1
Esens in Ostfriesland
den 9 März 1802.

Lieber, Theurer,
Edler Freund!

Da liegen Ihre beyden Briefe von 5 und 23 Febr vor mir – die mir so manchesmal schon ein Liebesmal gewesen sind, – aber in ihrem Nachhall eine schmerzlich-angenehme Sehnsucht nach näherer Vereinigung zurücklaßen, und eben jetzt, da ich sie beantworten möchte, diese Sehnsucht aufs höchste treiben; – aber ich will sie bekämpfen und zu mir selber sagen: "Weder Welttheile noch Gräben, noch die zweite Welt können zwey Menschen trennen oder verbinden, sondern Gedanken nur scheiden und gatten die Seelen." Also bin ich ja bey Ihnen – und so will ich mirs seyn laßen, indem ich an Sie schreibe.

Heißen Sie immer und gern Emanuel und streben ihm nach, ihmdem hohen kindlichen reinen des Hesperus . O, sein Bild und sein Andenken sey uns immer, wie Sirach sagt, wie ein schönes Rauchwerk, wie eine lindernde Salbe; sein Nahme süß wie Honig im Munde und wie ein Saitenspiel beym Wein .

Sie glauben, daß Sie einst beßer waren, als sie jetzo "sind." Aber es geht allen nach Verbeßerung, Veredlung und Vervollkommnung strebenden Menschen so – sie glauben rückwärts zu gehen und schreiten doch vorwärts, – auch ich quälte mich oft mit diesen Gedanken, bis ich Richters Bekehrung von 5 April 1793 las. Da gieng mir ein Licht auf, und ich sah, warum die Geburtsstunde des tugendhaften Lebens, – uns immer als die schönste, beste und heiligste Zeit unsers Lebens vorschwebet; – in der Geburtsstunde fühlen wir keine Widersprüche zwischen Fleisch und Geist, alle Ketten die uns an die |2 Sinnlichkeit feßeltn scheinen uns zersprengt, – wir ahnden nicht einmal einen künftigen Kampf, – aber nach derselben, wenn der Enthusiasmus verschwunden, – nach der Beßerung merken wir erst, wie viel Unwägbarkeiten sich noch in allen Winkeln unsers Herzens aufhalten. S. Hesper. III Heftlein Neueste Ausgabe S. 136. In dieser unvergeßlichen Zeit eßen wir von den süßen Trauben des gelobten Landes – in der folgenden müßen wir das Land, wo sie wachsen, erobern.

Sie sind "ein Jude!" mir darum eben so lieb, – denn auch mir ist "Mensch Alles!" Auch Christus, der reinste, der beste, der einfachste, höchste und kindlichste Mensch war ein Jude, – und ich bin gewiß, wenn Sie mit Ihm zu einer Zeit gelebt hätten, s S würden sich unleserl. Zeichen [...] zu seiner Nachfolger gedrängt, haben würden von Ihm zu seinen auserwählten Schülern und Freunden berufen werden, und hätten – als viele Ihn verließen, mit Petrus gesagt: Herr, zu wem sollten wir gehen, Du hast Worte des ewigen Lebens!

Christenthum – das ächte, mein Christenthum – was ist es anders, als wahre Menschheit in ihrer Einfalt! was anders, als Kindlichkeit gegen den Vater aller? Brüderlichkeit gegen alle Brüder? Menschlichkeit gegen alle Menschen? Beydes verfaßt in zwey Worten des menschlichsten und göttlichsten Gebethes: unser Vater!

Glaube an die Gottheit, die wir nicht sehen, als in ihren Werken.

Liebe zu Menschen, die wir sehen, und in denen wir die Gottheit gegenwärtig und innwohnend glauben –

Oder Aehnlichkeit mit Christus, ist mir Christenthum und könnte eben so wohl Judenthum heißen, würde |3 vielleicht auch diesen Nahmen tragen, – wenn die Sache eine andere Wendung genommen hätte.

Die Natur ist ein Text; die Bibel immer nur Comentar der Natur.

Die Natur ist mir das erste Wort Gottes; das Zweite die Bibel.

Was erklärende Schrift unter einem Gemählde ist, ist mir die Bibel zur Natur.

Christus, der Mensch, in dem die Gottheit göttlicher wohnte, als in allen andern mir bekannten Wesen, gehört mir auch zur Natur. Alle Sichtbarkeit Gottes, als Sichtbarkeit nenne ich Natur.

Christus ist mir dar vollständigste Commentar Gottes und der Menschen, Himmels und der Erden – und die Bibel der beste Commentar Christi.

"Jean Paul schenkte Ihnen vor 10 Jahren seine Liebe, seine Schonung und dadurch einen großen Theils Ihres Glüks." – Diese Stelle Ihres Briefes – und noch eine andere, wo Sie sagen, daß Sie 35 Jahre alt sind, und 25 glüklich verlebten und am Ende derselben Ihr Glük größtheils untergieng, – – läßt mir dunkle Blike in Ihr Leben werfen, die Sie mir einmal mündlich oder schriftlich aufhellen werden, – denn – je mehr Berührungspunkte wir untereinander haben, desto lieber theurer und genießbarer werden wir einer dem andern, – und diese ver f v ielfältigen sich in dem Grade wie sich unsere Bekanntschaft mit den Schiksalen unserer Freunde vermehret. –

Sehr lieb und angenehm wird es mir seyn, wenn Sie mir ferner Ihre Gedanken und Bemerkungen über die Rhapsodien mittheilen wollen. Auch wünschte ich zu wißen: welche Stücke des 1ten und 2ten Heftes vorzüglich den Beyfall Ihres innern Menschen haben.

[...] Ihrem Christian Otto und sein edles Weib – den ich durch J. Paul und um seinetwillen schon seit Jahren liebe, grüßen Sie herzlich von mir, und sagen Ihm: Er möchte sich mir – in einen rührigen Stück – näher zu erkennen geben, und mir sagen: wer und was von mannen er ist? –

|4 Ein par liebevolle menschliche Zeilen von seiner Hand erbitte ich mir von Ihnen –

Daß Sie mich einmal in Esens aufsuchen wollen, – dafür danke ich Ihnen mit brüderlicher Liebe. Mein l. Weib, die Sie ungesehen liebt, bittet mit mir, das "einmal" in bald – in nächstens zu verwandeln. Aber eine Bitte: Schreiben Sie mir woher die ohngefähre Zeit, damit ich mich von Geschäftssachen möglichst frey machen, und meine Frau ein Stübgen für Sie zubereiten kann, – das denn hinfort Emanuels Stübgen heißen soll . –

Am 21 März ist also wirklich unsers th. J. Pauls Geburtstag, – und Sie werden diesen festlichen Tag Ihm zur Seite wandeln und selig in einem Geiste mit ihm zerfließen , – in die Bücher der Vergangenheit aufthun – und Muth für die dunkle Zukunft aus ihnen schöpfen. Ich beneide Sie nicht, – aber mit einem unaussprechlichen Gefühl der Wehmuth sage ich: ich wünsche mitten unter euch zu seyn. Doch ich werde es – und Ihr bey mir, – denn gegen Abend werde um 5 Uhr, werde ich und mein gutes Weib uns hinsetzen, und das Fest der Sanftmuth und der Liebe – (im II I. Th. des Siebenkas.) und pag: 237 des II The. der Unsichtbaren Loge und die so ganz aus meinem Herzen gefloßene nährende Stelle der Palingenesien II th. pag: 212 miteinander lesen, – und dann mit unsern Kindern ein Liebesmal halten und unsers ewig theuren J. Pauls gedenken. – Denn Gern bäthe ich an diesem Tag einige Freunde zu uns – aber in ganz Esens ist nicht Einer, der ganz mit Ihm zusammenfließt, der ein Herz und eine Seele mit ihm ist, – und nur ein solcher könnte unsere festliche Freude vermehren.

Schreiben Sie mir nächstens wieder – und wenn es Ihren oder Ihres l. Otto oder J. Pauls Gattin Zeit erlaubt, – so gebt mir ein Gemälde dieses seligen Tages. Seyd meiner dabey eingedenk – wie ich Euer. Küße J. Paul in meinem Nahmen mit aller Herzlichkeit der Liebe – und |5 sage Ihm: diesen Kuß giebt Ihnen Ihr Roentgen!

Melden Sie mir doch auch: ob das 3te Bändgen des Titans noch nicht heraus ist ? auch, ob seit Erscheinung des 2 Bändg. irgend etwas anders aus J. Pauls Kopf und Herz unter die Preße gekommen ist .

Ich muß schließen! Leben Sie glüklich – und lieben Sie und vegeßen Sie nicht IhrenRoentgen.

Eiligst.Ps. Als ich meinem Weibe diesen Brief vorlas, so sagte Sie: Bitte ihn auch um J. Pauls Schattenriß – und ich sage die Bitte um den Ihrigen und Ihres l. Otto dazu. R.

Nachschrift.

Recht sehr – und mehr als ichs Ihnen sagen kan, – bin ich Ihnen für Ihre gütige Bemühung verbunden, einen Verleger für meine Rhapsod. zu finden. In der Beylage finden Sie die wensentlichen Punkte, auf welche der Contract beruhen müßte. Es versteht sich von selbst, daß Sie ab- und zufügen können, nach Ihrer beßern Einsicht. Sollte z. B. der Verleger nicht mehr als 5 Rthr. pr. Conv. geben wollen, so laß ich mir auch dieses gefallen, – können Sie mehr erhalten, so erzeigen Sie einem Vater von 7 Kindern einen Bruderdienst. Auch müßten die Fortsetzungen der Rhapsodien in demselben Format erscheinen, wie die beyden ersten Hefte, – sonst würden die Subskribenten unwillig werden. Ich bitte nicht zu vergeßen, diesen Punkt dem Contract beyzufügen. Endlich muß auch das 3te Heft spätestens in diesem bevorstehenden Herbst erscheinen; der eigene Vortheil des Verlegers fordert dem nach die Erfüllung dieses Punktes. Endlich bitte ich Sie inständigst, mir so eilig als es irgend möglich ist, die Sache zu Ende zu bringen. Der erste Bogen des 3ten Heftes lag bereits zur Correktur bey mir, als ich Ihren Brief erhielt. Jezt wird mit dem Druk inne gehalten, bis ich Ihre gütige Antwort erhalte. Das 3te und 4te Heft liegt schon im Manuscript zum Druk bereit; das 5te und 6te hoffe ich diesen Sommer auszuarbeiten, – denn ich kan nur im Frühling und Sommer – bey warmer Witterung schreiben, – in der Kälte bin ich geistiger Weise gleichsam gelähmt, – ich küße Sie mit Bruderliebe. Roentgen.

|7 Subscribenten des 3ten Heftes der Rhapsodien, die nach einliegender gedrukter Anfrage für die Fortsetzung der Rhapsodien sich erklärt haben.

Hamburg:
1.) HE. Friedrich Heinr. Roentgen Kaufman

13 Ex.

2.) –"– Kosela de Solna Advokat

20 "

3.) Prof. Nölting

16 "

4.) F. J. Gerkens & Comp. Kaufleute
NB. Eins wird als Rabat nicht bezahlt.

10 "

5.) HE. Pastor Buhse in Winsen ohnweit Hamburg
Eins wird als Rabat nicht bezahlt.

9 "

x
Stade. David Heinr. Wehner Rath und Kammerkonsultant

8 "

x
Breslau. G. F. Schmidt Justiz-Comisßionsrath

14 "

J. C. Tralles Kriegsrath

9 "

Schwiednitz Friedr. Puecher Kaufman

16 "

Greifswalde J. L. Schubert Justizrath p. p.

10 "

Treptow an der Rega von Herzberg

10 "

Stettin A. Kölpin Med. Doctor p.

19 "

Küstrin Trowitzsch königlicher Hofbuchdruker

3 "

Lübeck Petersen Mahler in der Beckergrube
NB. Zwey Exempl. werden als Rabat nicht bezahlt

83 "

Bremen Senator Volmers

24 "

x
A. Barkhausen Kaufman

6 "

x
Tischbein Kupferstecher

2 "

Dortmund Arn. Mallinkrodt Doktor der Rechte

21 "

x
Hagen C. Schürmann junior

16 "

Esens in Ostfriesland Consistorialrath L.

12 50 "

Suma

359 Ex.

|8 Transport

359 Ex.

Aurich in Ostfriesland Buchhändler Winter

18 "

x
Norden in Ostfriesland Joh. Friedr. Schmidt Buchdrucker

12 "

Emden in Ostfriesland C. H. Metger Kaufman

55 "

Jever Regierungsrath Ittig
NB. wird Franco Aurich gesandt.

17 "

x
Essen freye Reichsstadt Prediger Natorp
NB. kann bey Mallinkrodt in Dortmund eingeschloßen werden. –

3 "

Bayreuth HE. Emanuel

2 3 "

————

4676 Ex.

NB. in Aurich sind nur 11 Subscribenten geblieben, wie mir heute ein Brief meldet.

1.) Die Zahl meiner Subscribenten ist also circa 466 Ex. Noch habe ich von einigen Orten, die ich mit einem x bezeichnet habe keine bestimmten Nachrichten, daher die Anzahl noch nicht ganz genau angegeben werden kann. –

2.) Die sämtlichen Exemplare für die Subscribenten, werde cedire ich meinem Herrn Verleger, doch unter der Bedingung daß der HE. Verleger denen Subscribenten das Exemplar für 16 ggr. liefern und zwar diejenigen Exempl. die nach Ostfriesland und Jever gehen franco Aurich, die nach Bremen Hamburg und Lübeck gehen franco dorthin, die nach Schlesien und Pommern halbweg franco und die nach Dortmund und Hagen franco einsende. Dagegen wird dem HE. Verleger jedes Exemplar ohne Rabat, ohne allen Abzug des 8ten oder 10ten Exemplars bezahlt werden. Wo ein kleiner Rabat statt findet, das habe ich angemerkt.

|9 3.) Die Einkaßierung der Gelder für die Exemplare

1.) auf Lübeck

83 Ex.

2.) auf Esens

50 "

3.) auf Emden

55 "

——

Suma

188 Ex.

welche Exempl. a 16 ggr. 125 Rth. 8 ggr. pr. cour. betragen, will ich, wenn meinem Herrn Verleger dadurch eine Gefälligkeit geschieht selbst übernehmen, und Ihm die Gelder, nach Abzug meines Honorarii, einschiken oder auf die Ihm beliebige Weise übermachen. –

Ein Gleiches erbiethe ich mich auch zu thun, in Ansehung derer Exemplare, die

1.) auf Aurich

18 Ex.

2.) auf Norden

12 "

3.) auf Jever

17 "

——

47

gehen, wenn Ihm eine große Gefälligkeit damit geschieht. Sonst kann der Herr Verleger auch diese Exemplare an HE. A. F. Winter Buchhändler in Aurich einsenden, und diesem die Besorgung übertragen. –

4.) Wenn ich aber diese Einkaßirung, dem HErrn Verleger zu lieb übernehme, so versteht es sich von selbst, daß Ausfälle, die etwa durch Sterbefälle oder sonsten entstehen können, nicht mir sondern dem Herrn Verleger zur Last fallen, – so daß, wenn in der Folge ein oder das andere Exemplar nicht mehr untergebracht werden kann, solches zur Disposition des HE. Verlegers bey mir liegen bleibt, und mir an meinem Honorar nicht verkürzet werden kann. – Das mir von dem HE. Verleger zuerkannte |10 Honorar muß feste stehen, und keinesweges von dem größern oder geringern Debit des Werks abhangen.

5.) Der Herr Verleger verbindet sich mir Endes Unterschriebenen

a.) Für jeden gedruckten Bogen der Rhapsodien fünf Reichsthaler Geld oder Eine Louisd'or zu geben.

b.) Sechs Exempl. auf Schreibpapier und zwanzig Exemplare auf Drukpapier unentgeldlich franco Aurich mir zu liefern, die ich nicht verkaufe, sondern als Geschenke für meine Familie und sonstige Freunde geb nothwendig gebrauche.

c.) Verbindet sich der Herr Verleger Jahrlich zwey Hefte bis zur Vollendung des Werks herauszugeben, und zwar nächstkünftiger Herbst das dritte Heft, weil die Subscribenten eines längern Verzugs wegen mögten verdrießlich und dem Werke abgeneigt werden.

Schließlich bevollmächtige ich hierdurch meinen Freund Herrn Emanuel in Bayreuth nach obigen Punkten mit HE. Lübeck oder einem andern rechtschaffenen Verleger einen Contract in meinem Nahmen abzuschließen, – und diejenigen Bedingungen und Cantelen noch hinzuzufügen, die Er, als Geschäftsmann, für nöthig oder dienlich erachten möchte. Esens den 9 März 1802.

L. Roentgen.

Vom 1ten und 2ten Heft sind keine Exemplare mehr vorhanden.

Zitierhinweis

Von Ludwig Roentgen an Emanuel. Esens, 9. März 1802, Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB1981


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

H: Privatbesitz Gerd Rokahr, Esens,
2 Dbl., 1 Bl. 4°, 9 S. Auf S. 6 Adr.: HErrn | HErrn Emanuel | in | Bayreuth. | Drucksachen. | Franco Braunschweig. Siegel. Postvermerke.


Korrespondenz

B: Von Emanuel an Ludwig Roentgen. Bayreuth, 5. Februar 1802
B: Von Emanuel an Ludwig Roentgen. Bayreuth, 23. Februar 1802
A: Von Emanuel an Ludwig Roentgen. Bayreuth, 16. April 1802

Präsentat: 20 Apr. beantw.