Von Caroline Goldschmidt an Rahel Varnhagen von Ense. Prag, 17. Juli 1815, Montag
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1815
Liebe vortreffliche Freundin!
Kann ich wohl dazu kommen Ihren ganz allerliebsten Brief zu beantworten? Ganz allerliebst sind Ihre Briefe immer, sie setzen en fait – man sieht in ihnen Ihr ganzes aüßeres und inneres Leben, man ist durch sie, bey Ihnen, und in beßerer Geselschaft kann man nun Einmahl nicht seyn. Meine Menage , meine Ménagerie die Ihnen da Sie sie nicht approivoisiren brauchen, Vergnügen machen würde und noch mehr die ganz unerhörte Theurung geben mir so viel zu thun, machen mir solches Kopfbrechen, daß sie mir jeden liberalen schönen ästhetischen Gedanken verjagen, und zum Briefschreiben unfähig machen; |2 Überdem bin ich seit beynah 4 Wochen am abweichen , dem Arzt ist es unglaublich wie ich noch dabei arbeiten kann da ich doch ganz schach matt bin, ich steigere mich weil ich muß, und es geht.
Gott gebe daß Sie liebe gute Varrenhagen recht gesund werden und es auch bleiben mögen, um daß ich mich Ihres volkomnes Glück freuen könnte – ich kann es Ihnen gar nicht ausdrücken wie sehr mich Ihr schönes Verhältniß zu Varrenhagen freuet.
Obgleich ich für meine eigne Person hernieden in jeder Rücksicht leer ausgegangen bin, so hat die gütige Vorsehung mir das schöne Gefühl vergönnt neidlos mich [...] des Glücks meiner Freunde zu freuen! Woltmanns lieben Sie, wie ich sie liebe, sie sagen Ihnen viel Schönes, sie haben gehoft V. bey seiner Durchreise hier zu sehen, sonst hätte er selbst geschrieben. Ich habe Wolltmanns seit 14 Tage nicht gesehen, sie waren nicht bei mir |3 und ich konnte es nicht wagen hinzugehen wegen meiner Kränklichkeit hinzugehen. Sie wissen daß W. mit 2000 Gulden Gehalt im östreichschen Dienste angestellt worden – es ist ihm dabei keine bestimmte Arbeit aufgetragen worden, und ihm auch die Wahl wo er leben in weßen Staate leben will, gelaßen – 1000 f sind ihm gleich ausgezahlt worden – Wolltmanns genießen den Augenblick wenn sie können so wie sie auch mit Ruhe dulden können. Sie haben keine Katze wollen sich auch keine anschaffen. Sie hoffen bald ihre Schwester bei sich zu sehen.
Die Frau v Reymann hat sich mit dem was ich von Ihnen ihr bestellt gefreuet, und sie ist völlig stolz daß ihre politische Ansichten [...] leider die Rechten waren – sie freuet sich mit ihrem Andenken, und wundert sich über politische die Pachta! Sie sagten Ihnen viel Schönes, sie wird gelegentlich Ihnen |4 Zeug mit der Bitte schicken, daß Sie ihr gütigst davon ein ganz modernen Unterrock sollen machen lassen. Sie sagt Ihnen dabei recht viel Schönes über Ihren Geschmack. Nanette grüßt sehr – sie kann wie Sie wissen viel dulden, aber jetzt macht es ihr die R. so arg daß sie in Klagen ausbricht – die Böhms sind wie sie wissen nicht hier – die R– tröstet sich mit einem schwarz gelokten Italiäner ein Hauptmann – Nanette ist damit sehr unzufrieden. Eliese Jenny und Amalie Bath kommen einige Mahl in der Woche wenn es die Witterung erlaubt zu mir – Pachta auch noch Mehrere bitten mich nach der Altstadt zurückzukehren – ich habe mir durch diese Umsiedelung über 100 f monathlich Schaden gemacht – und ich weiß nicht was ich machen soll – ich wohne hier angenehm ruhig gesund und vornehm – |5 indessen glaube ich wird mir die Wahl leicht werden – die F. Caroline hat einen Mißgriff gethan indem sie mir zu den kleinen Quartier im ersten Stock, die einzige Küche die sie noch hatte abgab, dadurch macht sie sich ihr oberes Quartier welches sehr groß ist, und eigentlich aus grosse Sälle besteht unbrauchbar – sie hat überh überdem seit ich die Wohnung im Stande gesetzt habe, es mit neidischen Augen angesehen, denn ihre Zimmer sind unvernünftig hoch alle mit hochgewölbte Plafonds, und unheitzbar – an ihre Reden merke ich daß sie mir zum Winter aufsagen wird – auch glaube ich wird Gf. Waldstein wie mir Pachta sagt sich wegen das Haus sich mit ihr abfinden, sie zieht nur die Interesse davon und ich glaube man wird ihr eine Wohnung darin anzeigen, und noch eine Summe Geld dazu geben, und dann komme ich gewiß um mein Logie. Sie erwiedert Ihren Gruß recht freundlich, aus oben |6 erwähnten Ursachen ist es mir recht, obgleich ich auf die Altstadt nimmer ein solches Logie finde – wer weiß was zum Winter nicht noch geschieht – vielleicht kommt Etwas was mich ganz aus dieser Lage aus Prag, mein größter Wunsch! heraus bringt. Daß wir doch nie zu hoffen aufhören!!
Ich beneide die Frau Baronin Arnstein daß sie Ihnen ein angenehmes Sommerlogie geben kann – wenn zum 1ten July meine N. 29461 mir Ziack Kluck und Schwalowitz gibt – liebe Freundin so würde ich es wagen mit der Fr. Baronin hinein zu rivalisieren, ich wünsche es schon darum daß das Glück Etwas für mich thun möge, um Ihnen beste Varrenhagen meine grenzenlose Achtung und Dankbarkeit thätig beweisen zu können.
Es ist mir sehr leid daß Sie Madame |7 Moreau nicht haben kennen lernen, sie ist gewiß eine der seltensten Frauen – Frau v E. schreibt mir daß sie nicht sichtbar ist, weil sie ihre Schwägerin auf ein gefährliches Krankenlager sorgfältig gepflegt hat – um das zu thun zu können muß man so gut seyn wie sie es wirklich ist – denn diese Schwägerin hat die Moroea Jahre lang gequält, gekränkt ihr zuwider gelebt, und sie verkleinert wo sie nur konnte. Sollte der Zufall sie je zusammen bringen so bitte ich ihr viel von mir zu sprechen.
Nanette küßt Ihnen die Hände, ich bin jetzt wieder mehr ihr zufrieden, ihr Pflegma wird sie nicht mehr verliehren – ihr Äußeres gewinnt sie trägt sich und geht besser, tanzt allerliebst – ihre Hände Geschicklichkeit kennen Sie, sie hat auch zum Zeichnen Anlagen. Ich habe noch manche vortheilhafte Veränderungen mit dem Unterricht vorgenohmen. |8 Ich habe unter andern wozu mich Wolt. vorzüglich bestimmten, einen Religionslehrer wegen für meine Zöglinge angenohmen, den ich sehr glücklich gewählt habe, ein ganz vorzüglicher junger Mann, so finde ich daß er viel Nutzen stift, ich selbst höre dem Unterricht mit Vergnügen zu. Sie wissen daß hier die Aeltern die Kinder auf ein Jahr nach der Stadt schicken, in diesen kurzen Zeitraum soll ich auch aus Klötze ich weiß nicht was alles machen. Außer Nanette habe ich also lauter neue Gesichter – Zwey sind allerliebst. Eine im 13ten Jahr schön von Nostitzchen Güttern aus dem Elbogner Kreis nahe v Karlsbad, schön unschuldig lehrbegierig – und dann eine Waise Mutter und Vaterlose Waise im 9ten Jahr, niedlicheres können Sie sich nichts denken – ich bin sehr von ihr eingenohmen eingenommen |9 Daher gebe ich sehr auf mich acht, und höre der Wolltmann ihre Meinung, die da behaubtet das Kind habe was verstecktes – sie ist arm, und ich nehme kaum so viel als sie mich kostet. Zwey habe ich die mir viel Mühe machen – besonders Eine von 15 Jahr – Ihr Äußeres wäre bey nah schön wenn sie mehr Inneres oder nicht so viel im Inneren hätte – Ein solches Durcheinander, Bigotterie List Schwärmerei Eigensinn Stolz kann man sich kaum zusammen denken, dieses alles nicht durch Erziehung moderirt sondern durch Unerzogenheit noch stärken aufgetragen – an die verzweifle ich ganz, und sie legt mir die größte Gêne auf, weil ich sie ewig bewachen muß. Mein Nachbar kränkelt sehr und daher sehe ich ihn sehr wenig – was mir Leid ist – er erzählt und weiß immer Neuigkeiten von seiner eignen Fabriquation |10 er glaubt sie, und trägt sie daher ganz glaubenswürdig vor.
Wenn Varnhagen von meinen Brief an die K. keinen Gebrauch machen kann bitte ich ihn mir gelegentlich aus ;
Darf ich Sie bitten mich den liebenswürdigen Geschwistern Frau Baronin Arnstein – B. Eskeles Mad. Ephraim und auch Frau v Perreire zu empfehlen. Die Fr. v Rath wird wahrscheinlich zum Besuch zu ihrem Mann, der sich in Wien eine Zeitlang aufhalten wird, hin gehen.
Varnhagen ist wahrscheinlich nicht mehr bei Ihnen, wo er ist bitte ich ihn von mir zu grüßen. – Sie bitte ich mir zuweilen Nachricht von Sich zu geben, Meine Anhänglichkeit u Achtung gibt mir das |11 Recht darum zu bitten. Die
Ihrige auf
ewig
Car. Goldschmidt
Wenn Sie die Schlegel sehen 1000000 Grüße.
Dorchen grüße
ich.
Zitierhinweis
Von Caroline Goldschmidt an Rahel Varnhagen von Ense. Prag, 17. Juli 1815, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB2097