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Meiningen den 19ten Aug.
1801.
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Mein theuerster Vater,

So kurz Ihr Brief war hat er mir doch die höchste Freude gemacht, er kam mir an einem Morgen wo ich völlig allein war, indem mein Mann seine kleine dreitägige Reise nach Liebenstein unternommen hatte. in dieser Einsamkeit hätte mich ein einziges Wort glücklich gemacht – wie viel mehr also die Versichrung, daß Sie völlig gesund sind, recht innig danke ich Gott, daß mein liebster Vater durch so erbärmliche Störungen nicht mehr in seinem Lebensgenus gehindert wird. Daß aber Mlle Frantz [...] durch irgend einen andern Grund, der nicht eine Heirath wäre, von Ihnen sich zu entfernen gezwungen fühlt, wie mir Gustchen schreibt , begreife ich nicht – gerade jezt wo Sie durch ihre Pflege sich befriedigt fühlen! Es thut mir recht leid, denn sie schien mir ganz für diese Lage geeignet, so viel Aufopferung die aus wahrer angeborner Herzensgüte kömmt, so ohne Prätension in jeder Art. wer weiß ob ihre Schwestern ihr ähnlich sind. –

Für die Übersendung der Papiere habe ich Ihnen schon in meinem vorigen Briefe gedankt , das was ich bei dem Empfang der lezten empfunden habe, war eine Wiederholung der ersteren. Nun ist doch alles vorbei – diese Sorge verfolgt Sie doch jezt nicht mehr? es war ein widrig mühsames Geschäft was wir Ihnen nie verdanken können.

Die Gräfin S. die sich 1 ganzen Monat in Liebenstein aufgehalten hat, ist noch nicht wieder zurük, sonst hätte ich Ihnen wegen des Wagenkißens früher geantwortet , ich wollte es abwarten bis sie zurükkäme |2 man erwartet sie in einigen Tagen – kömmt sie aber nicht in dieser Woche, so schike ich meinen Brief Ihnen zu und überlaße es einem anderen ihre Antwort aufzunehmen. die arme Gräfin ist recht unglücklich in solchen Verwiklungen. Einer für desselben H.v Bülow Frau gemietheten Kammerjungfer hat sie 1/4tel jähriges Lohn und Kostgeld vor 14 Tagen zahlen müßen. Es ist wahr, was Gustchen mir vor einiger Zeit, als eine allgemeine Muthmaßung schrieb, daß der Graf hieher reisen würde ihr seinen Sohn zu bringen. Sie hat ihn nun auf so lange Zeit als der Vater reisen wird, bei sich; eine Erfüllung einer ihrer Lieblingswünsche auf die sie nicht rechnete.

Mir geht es fortdauernd glücklicher. immer nur fühl ich es lebhafter wie weit schöner ich mein Leben in Ihrer Nähe zubringen würde. Wenn ich an jedem Tage die Hofnung auf einen glücklichen Abend nähren dürfte entweder Sie bei uns, oder uns bei Ihnen zu sehen. Dieser, einer der süßesten Genüße, meinen guten Vater in meinem Hause sich ausruhen zu wißen, oft auch sich wohl da fühlen, wird mir vielleicht niemals. mein Mann hängt verweilt zwar unendlich gern auf den Plan eines halbjärigen Aufenthalts in Berlin aber der Gedanke ist zu schön, als daß ich fest auf ihn rechnete. das Schönste was ich recht bald vor mir habe, ist unsre Reise nach Bareuth – vielleicht sizen wir in acht Tagen schon im Reisewagen, und ich kann Ihnen recht bald von neuen schöneren Erfahrungen sprechen.

|3 ich sehe nun nicht allein eine der schönsten Gegenden Deutschlands, sondern auch die herzlichsten, und zugle ich gebildetesten Menschen, die Heimath meines geliebten Mannes – ach ich wollte, ich könnte meinen Vater hieher zaubern, um Ihn einmal aus der Alltäglichkeit und dem Joch des Geschäftslebens – in die strömende und entzükende Fülle der Natur zu reißen, da solten Sie Monate lang schwelgen. – Mein wirklich bester Vater jezt da Sie unabhängiger von häuslichen Sorgen sind, solten Sie an die Pflicht denken Sich Selbst zu leben. Ihre Geschäfte sollten Sie nicht so willig auf den Schultern nehmen, so würde man Ihnen nicht so viel aufbürden. Weinen möchte ich, daß so viele Berge aufsteigen, so viele Ströme dahin rauschen, daß die Erde so schön ist, und so wenig so gar nichts vom Menschen gesehen, geliebt und genoßen wird. und daß die besten Menschen eingesperrt wie in Gefängnißen sitzen. Was haben Sie wohl mit ihrem empfindungsvollen Herzen mit Ihrem weichen offnen gleichsam lechzenden Sinn nach der Natur, für Befriedigungen gehabt. Gott wenn ich mir es denke, wenn Sie einmal hieher reisten aber Sie werden mich für vermeßen halten, daß ich diesen Wunsch äußere.

Für uns hebt sich der erste Sommer jezt an. Bisher war keine Feierstunde der Natur, jezt sind nur Feiertage. Heute war ich den ganzen Morgen ins Freie es war unaussprechlich schön. unendlich oft dachte ich mir wie Sie entzückt seyn würden hier auf dieser oder jener Stelle zu stehen, wie friedlich es wäre wenn wir zusammen da gingen!

|4 Der Winter wird hier recht lebendig seyn, und wir werden wahrscheinlich unsre Lebensweise sehr verändern müßen. Einer Bekantschaft sehe ich mit Freude entgegen. nemlich einer Frl. Riedesel aus Berlin, die einen H. v. Bibra aus Darmstadt heirathet. ihr künftiger Mann, den ich kürzlich kennen lernte, freute sich eben so sehr seiner Frau eine Landsmännin zuführen zu können.

mein Umgang hat sich noch nicht sehr erweitert, ob ich gleich alle haben könnte, suche ich sie doch nicht sehr, weil mein Mann fast immer zu Haus ist, und wir beisammen am glüklichsten sind. ich spiele nach meiner Art recht viel, und bin so glücklich gewesen Zeichenmaterialien zu bekommen. um meine so lang schlafende Lieblingsbeschäftigung wieder vorzunehmen. mein Leben befriedigt jeden meiner Wünsche – nur das Bewußtseyn nicht ganz gut [...] zu handeln, könnte bitre Empfindungen in mein Leben einimpfen. Wie unverdient hätte mir die Vorsicht das glücklichste Schiksal gegeben, wenn irgend eine Leere in meiner Seele wäre.

Leben sie wohl theurer geliebter Vater – erhalten Sie ewig Ihr Herz warm gegen mich – ich kann nicht anders, als so lang ich lebe, mit derselben kindlichen Empfindung zu Ihnen aufsehen, wie immer. Seyn Sie glücklich mein geliebter Vater, ich preße mich in Gedanken an Ihr Herz.

Ihre
treuste dankbarste
Tochter Caroline

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Meiningen, 19. August 1801, Mittwoch . In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0001


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S. Einige Unterstreichungen vfrH. mit blauem Stift.