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den 7ten Novembr. 1800

ich eile, mein geliebter Vater, Ihnen die Nachricht unsrer ohne alle Abendtheuer überstandnen Reise und unsre glückliche Ankunft zu melden.

Gewiß, wenn der Himmel auch so unfreundlich in Berlin war als in den entfernteren Gegenden, haben Sie uns bedauert. Doch unseremso sehr gütigen gefälligen Reisegefährten dem Herrn Voss – der sich aller nur möglichen Beschwerlichkeiten so aufopfernd unterzog, haben wir es zu verdanken daß wir durchaus trocken, und unbeschädigt hier angelangten. Die Nacht vom Dienstag zum Mittwoch war so stürmisch daß wir es in dem unbedeckten Wagen durchaus nicht würden haben aushalten können. Der Banquier Loth aber ein äußerst feiner, eleganter Mann, wie wohl nach Leipziger Schnitt und Form ein wenig Narr / nahm uns weibliche Wesen in seinem bedeckten Wagen auf und ertrug das ängstliche des gedrängten Sizens den größten Theil der Fahrt mit aller Güte und Schonung. – Erst Mittwoch Abend um 10 Uhr kamen wir in Leipzig an. 4 Meilen |2 war Spazier und der kleine Julius uns entgegen gekommen, Minna aber war aus Besorgniß für ihr jetzt schwächliche Gesundheit zu Hause geblieben – und das Schauspiel des Wiedersehens war so in zwey schöne Ackten getheilt. Wie sehr die Ansicht der Lage von Leipzig besonders das Lachende freundliche der Gegend welche wir hier bewohnen dabey das Leben und Weben der Menschen da es doch nur Vorstadt ist mich überrascht kann ich Ihnen gar nicht sagen. Und doch komt es noch gar nicht in Vergleich mit der Lebendigkeit die in der Stadt herrscht. Es ist überall so wie etwa bey uns in der Gegend des neuen Marktes oder der Königstraße und noch weit mehr möchte ich behaupten. – Man sieht im Mittelpunkt der Stadt durchaus lauter schöne prachtvolle Gebäude – und alles trägt den Anstrich des Wohlhabens und des Luxus. Uberhaupt scheint man hier die Kunst zu genießen erschöpft zu haben alles alles bezieht sich auf diesen großen Punkt. – Nur dafür lebt man nur davon ist ewig die Rede und man [...] würde hier alles Höhre und Edle vergeblich verschwenden, wenn man es nicht versteht seinen edlern Sinn dem herrschenden wenigstens |3 scheinbar unterzuordnen. – Wie schwer das ist fühl ich jetzt mehr als je. überhaupt wie schwer sich in so heteroyme Menschen zu finden und Ihnen nicht eben so lästig zu werden als sie es uns sind. Minna hat bis jetzt noch keine herzliche Verbindungen hier geschloßen wenn ich des Vossschen Haus ausnehme wo sich die Menschen durch Biederkeit und Geradheit so auszeichnen – auch durch Einfachheit in Vergleich mit denen übrig. daß man sich wohler bey ihnen finden kann als irgendwo.

Dafür ist sie aber in ihrem Hause desto glücklicher – und gewiß es liegt nur in ihr wenn sie es nicht durchaus ist. Ich freue mich aber recht sehr eine recht respektable Hausfrau in ihr gefunden zu haben – in der That muß man Minna in ihrem Hause sehen um sie immer lieber zu gewinnen. Der gute Spazier dem ich aus voller Seele dieses unbedeutende Monument sagen muß – thut von seiner Seite alles was nur je von einem Manne erwartet und gewünscht werden kann. Ich habe im Hinsicht auf das Verhältniß mit der Mutter doppelt Ursache mich über ihn zu freuen, und so wenig sich auch von der kurzen Zeit unsers Hierseyns sagen ließe – so kann ich doch nicht anders als alles so wie es ist herrlich und gut finden.

|4 Der Julius ist noch eben das liebenswürdige Kind das uns in Berlin so viel Freude machte. Noch dieselbe Weichheit, daßelbe liebende Gemüth in Vereinigung mit einer Kraft einer Energie die einen oft in Erstaunen sezt. Ihr Liebling die Emma ist ein liebes kleines Heymchen ein so zartes feines Wesen dem der Verstand aus dem Auge sieht. Da sie immerfort noch schwächlich ist so hemt das ein wenig ihre angebohre Lebhaftigkeit und sie wird daher immer recht sorgfältig gehegt und gepflecht werden müßen.

Die Post eilt, liebster Vater, ich habe nicht Zeit noch etwas anders hinzuzufügen, als ich auch in der Ferne nie aufhören werde zu seyn

Ihre treue

Tochter

Entschuldigen Sie mich doch bey der guten Caroline daß ich nichts besonders für sie hinzufüge, auch soll diese Entschuldigung bey der T. Beseke hinzufügen. Sie geht wohl hin und meldet wenigstens unsre glückliche Ankunft.

Tausend Grüße von allen.

Zitierhinweis

Von Ernestine Mayer an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Leipzig, 7. November 1800, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0003


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S.