Von Minna Spazier an Johannes Daniel Falk. Leipzig, 6. November 1804, Dienstag

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Leipzig den 6ten November
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Daß ich mir nicht wenig darauf eingebildet habe einen Brief von Ihnen zu bekommen, liebster Falk, versteht sich von selbst. Eigentlich war es sogar eine Art von Verlegenheit, zugleich mit meiner Schwester Ernestine mein Paket aufzubrechen; – zugleicher Zeit das Blatt aus dem Buche hervorzuziehn; und zugleicher Zeit überrascht vor Ueberraschung roth zu werden; – sie indem sie glaubte der Brief wäre an sie gerichtet und ich indem ich eine Art von Auszeich Auszeichnung zu bestehen hatte, von der ich fühlte daß sie über Verdienst war.

Der Gruß Ihrer Frau , mit eigner lieben Hand für meine Schwester hingeschrieben schien mir indeß eine zu große Schadlos- |2 haltung für sie um mich langer im Vortheil gegen sie zu fühlen, und es mischte sich eine Art von Unzufriedenheit zu meinem kleinen Triumph.

Ihr nettes Büchelchen das so glatt und zierlich es auch in die Welt eintritt wie ich höre schon, mit rohen Händen gepackt und tüchtig geschüttelt seyn soll, ist viel in unsern Händen, und fast meyn' ich eben so sehr um der lieben alten Bekannten willen die man darinnen anntrifft als um der vornehmen Dame der Prinzeß wegen, die übrigens mit gehoriger Andacht und Vielem Lachen zuweilen laut hergesagt wird. Daß Ihr Toms, Ihr Toms ist habe ich bey dieser Gelegenheit erst erfahren, so manches Jahr hindurch ich es auch schon gesungen habe. Das gute brave Lied!

So spät erst den Verfaßer für die lange Freude |3 daran, danken zu konnen!

Ob die Versuchung groß sey für mich, zu Ihnen nach Weimar zu kommen, läugnen Sie darum nicht weil ich nicht komme.

Es bedarf grade eines so fünffach starken Bandes als das ist was mich in Leipzig halt, um jeden Vorschlag zu einer Reise, mit Nein zu beantworten. Berlin hatte diesen Winter eine Schadloshaltung für den ödesten Sommer meines Lebens für mich seyn konnen, aber da ich nicht den Mann und alle vier Kinder mitnehmen kann, so bleibe ich lieber hier, wo außer den täglichen verwandten Gesichtern, auch nicht eins ist auf das ich mich freue, und wo wenn nicht einmal ein fremder Gast an die Thüre klopft, der Theekeßel für keinen sprudelt für den es der Mühe werth wäre den Mund aufzuthun, oder auch nur an die Stirnlocken zu zupfen.

|4 Es wäre recht schön wenn Sie einmal als ein freier in keine Staatsmaschine eingezwingter Mensch, es der Veraendrung wegen mit Sack und Pack einmal ein halb Jahr es mit Leipzig versuchten. Sie werden wahrscheinlich nicht viel beßer gegen die Stadt Weimar gestimmt sind als wir gegen Leipzig; wenn Sie, oder uberhaupt Ihresgleichen hier wären, dann hatte es mit der alten dummen Stadt nicht mehr viel zu sagen, Wir drei Familien Mahlmanns mit eingerechnet würden recht zusammen halten. Der beste Kopf muß noch einen dritten oder vierten neben sich haben, der die schonsten Funken seines Geistes aus ihm hervorschlagttreibt. Mehrere mußen sich an einander [...] erwärmen, dann kommt das Rechte Feuer in die Gemüther und auch der untergeordnetere Geist fühlt sich gehoben, als z. B. wir armen Weiber

Leben Sie wohl, lieber Falk, und gewinnen Sie mir auch Ihre Frau.

Minna Spazier.

Zitierhinweis

Von Minna Spazier an Johannes Daniel Falk. Leipzig, 6. November 1804, Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0007


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Textgrundlage

H: GSA, 15/II,1D,14
1 Dbl. 8°, 4 S.