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Meiningen den 23 ten Nov. 1801

Mein geliebter Vater.

Ihr Brief den ich in diesem Augenblik erhalte, macht mich recht unglüklich. So wenig mein Herz es sich bewust ist gegen Sie gefehlt zu haben, so kann ich doch den Irrthum der Erkältung nicht vernichten den Sie so viele Wochen in sich herumgetragen haben – könnte ich doch zu Ihnen fliegen, und an Ihrem Herzen diese glühende Versichrung geben, daß sie mir in keiner Minute meines Lebens aus dem Sinn gekommen sind, und ich mitten unter meinen Freuden immer denke, ach, wenn doch dein Vater es sähe wie würde er sich freuen. Wie viele Tage bleibt sie aber nun auf dem Wege, ehe sie zu Ihnen kömmt wie langsam schleicht die Zeit ehe Sie es wieder glauben, daß ich Ihre treue Tochter bin, die um ihrer Liebe willen verdient, von Ihnen geliebt zu werden. Ich wollte ich könnte mich meines Briefs nach der Caßler Reise noch erinnern, um es mir selbst zu erklären, wie ich weniger warm schreiben konnte als mein Herz es empfindet. So viel weis ich, daß der Brief mehr facta enthielt, aber ich war damals so begierig Ihnen alles mitzutheilen was ich gesehen hatte, daß ich weniger Zeit darauf wendete über mich zu sprechen – aber sogar das entsprang aus bloßer reiner Liebe, ich war wie ein Kind daß seiner Amme alles sagen will was es begreift.

Die Rechnung mitdem Brief den Sie mir durch Matzdorf geschikt habe ich, zwar nach langem Zögern bekommen, es muß wenigstens war am 26 ten oder 27. ten Octobr . Ich hätte ihn auf der Stelle beantwortet, wenn ich nicht schon seit langer Zeit von einem Posttag zum andern eine Antwort auf meinen Brief erwartet hätte, den Sie unter der Ruhezeit jenes bekommen haben musten. Tinchen mag ihn auch wohl bei sich eine Weile bei sich ausruhen laßen, denn ich schikte ihn ihr weil ich damals mehrere Briefe dorthin schikte. Sie werden ihn auch wahrscheinlich in der Begleitung |2 eines ihrer Briefe bekommen haben.Wir waren damals im Ausziehen begriffen , dis zerstreute mich einige Tage über die Sorge wie wohl alles stehen möchte, und die Posttage flohen fast unbemerkt vorüber. Doch seit acht Tagen, da wir in Ruhe sind ist meine Ungewisheit zur höchsten Angst gestiegen – am Sonnabend hoffte ich zum leztenmal auf einen Brief – und nach der vergeblichen Erwartung nahm ich mir vor, nun keinen den nächsten Posttag zu benuzen, und Sie zu fragen wie das Ganze zusammenhinge, ich glaubte endlich daß Sie meinen Brief durch Tinchens Nachläßigkeit gar nicht bekommen hätten – denn ich erlaube mir keine Empfindlichkeit gegen meinen guten Vater, wenn er mir auch nicht antwortet – ich will nichts als daß Ihr Herz artig und ohne Unterbrechung überzeugt ist, daß Ihre Kinder dankbar sind, so weit sie es können, und wenn auch eine meiner Schwestern Ihr Gefühl verlezte, es würde mir fast eben so schreklich seyn. Denn ich kann ohne den grösten Schmerz nicht an Ihr Leben denken – an die Winterabende die wir Ihnen wenigstens verkürzten, wenn auch nicht versüßten, und ich möchte in manchen Minuten mein Leben aushauchen um zu Ihren Füßen zu liegen! O mein ewig geliebter Vater wie können Sie zweifeln – und was kann ich thun nicht Ihnen den Zweifel zu nehmen, denn Sie glauben mir, Sie müßen mir glauben, aber das unmuthige Gefühl der jüngst vergangenen Tage zu verwischen!

Noch eine Ursache muß ich anführen, die auch mein Schweigen entschuldigt. Ich bekam nemlich vor ohngefähr 4 Wochen einen Brief vom Juden Bütow der mich um eine unbezahlte Rechnung mahnte. ich entsezte mich über diese Foderung als ich noch dazu las, daß er bei Ihnen gewesen, und Ihnen einen der fatalsten Augenblike gegeben hat, deßen |3 Möglichkeit mir damals als ich alle meine Rechnungen daran ich mich erinnerte bezahlte, so fürchterlich war. Ihre Gedanken über einen solchen Fall, und die Warnungen – im ersten Augenblik konnte ich mich nicht genug faßen, und zweifelte sogar daß ich mir nichts vorzuwerfen habe. Hernach untersuchte ich die Rechnung aber genauer und fand 1tens Artikel die ich nie genommen als z. B Battist. 2 tens die Daten auch so gar der Möglichkeit meines Gebrauchs widersprechend weil alle die Sachen entweder am 21 ten oder 23 ten u am 26ten May gekauft sind, u meine Hochzeit am 27 ten war – wo ich natürlich alles fertig haben muste. Wäre nicht der datum für mich, so würde ich glauben daß vielleicht unsre (Tinch. und meine) Rechnungen vermischt wären – ob ich mich gleich deutlich erinnre daß wir gemeinschaftlich die gemeinschaftlichen Rechnungen einander getrennt, und ich folglich ohne Wißen schuldig wäre. Ich schikte nunBrief und Rech. mit dieser Erklärung nach Lpz und weis nicht was Tinchen gethan hat, denn noch habe ich keine Antwort. Ist mein Recht aber nicht klar, so ist mein Mann bereit die Sache zu berichtigen. Mir war sie aber doch die Sa sehr empfindlich, wieder wegen Ihres Zweifels an unsre Redlichkeit, denn ich es kann auch bei Tinchen nur ein Irrthum oder eine Vergeßenheit seyn, und es thut mir unendlich weh daß ich der Armen eine so unangenehme Störung machen muste. Hätte ich Ihnen nun in jener Stimmung ohne der Sache zu erwähnen, geschrieben, so hätten Sie es für eine unglaubliche Frechheit gehalten, und ich wollte Tinchens Antwort darauf abwarten, ehe ich Ihnen schrieb, um ihr nicht unrecht zu thun, indeßen jezt kann ich das nicht. abwarten

Ich danke Ihnen nun herzlich, mein theuerster Vater für die Anwendung und Unterbringung unseres Geldes – Wie Sie es machen, haben Sie es gut gemacht außer der Mühe die Ihnen die Berechnung des Umsetzens gewis kostet. ich wünsche und hoffe, daß Sie |4 mit jenen mühsamen Sorgen nun nicht mehr geplagt werden möchten, und alles abgethan wäre.

Die Einbüßung Ihrer Oberhemden intereßirt mich jezt eben so sehr, als wenn ich noch bei Ihnen wäre, da ich noch einmal wahr und fest versichern kann, daß ich 1 ganzes Dutzend mit eigner Hand genäht habe, sie auch ganz bestimmt bis zu meiner Entziehung von häuslichen Geschäften da waren, so dürfen Sie dreist Ihren Leuten hier eines Diebstahls beschuldigen, und der kleine verschmizte Bediente deßen Frau für uns arbeitete erregt meinen Verdacht. Die schönen neuen Hemden haben mir so viel Freude gemacht: es ist abscheulich!

Ernestine schreibt mir sehr selten, doch dafür desto längere Briefe – sie hat die Freude gehabt in kurzer Zeit eine Menge unserer Bekannten bei sich zu sehen.Den Brief von Herder besizt sie schon seitdem Sie den meinigen v Cassel haben – mein Mann schikte ihn Ihnen durch sie zu, weil auch sein Freund Örtel ihn lesen sollte. erinnern Sie sie daran, es ist eigentlich nicht recht, daß sie diesen Umlauf so aufhält, weil sie doch voraussehen kann, daß m Mann ihn bald wieder zu haben wünscht. Bei der Gelegenheit will ich Ihnen sagen, daß Herders Standes [...] Standeserhöhung zum Edelmann Familienvortheile u nicht Eitelkeit zum Grunde hat. Seine Söhne haben sich im Bayerischen durch einen Guts-Kauf ansäßig gemacht – den ihm der Adel erschwerte, und es gab kein anderes Mittel den chikanen zu entgehen, als das er in seine Rechte trat, er wollte nur diese vom Churfürsten, u er gab ihm auf eine sehr verbindliche Art das Adelspatent für sich und seine Familie, in dem es |5 wörtlich so lautet "daß er durch diesen Adel nicht etwa die V einen Mann belohnen wollte, den seine Verdienste schon längst geadelt hätten, sondern ihm ein Zeichen seiner Achtung geben".Herders haben meinem Mannausführlich darüber geschrieben .

Die Spannung zwischen Minna und mir , schmerzt mich tiefer als Sie glauben. Ich habe mit Mühe meine Empfindungen unterdrükt, denn ich werde eigentlich nur durch eine Vorstellung von Pflicht, und nicht durch jene überhaupt bestimmt, ihr eiden Fehde Handschuh hinzuwerfen – selbst dann wenn sie mir absichtlich eine Kränkung zufügte könnte ich ihr nie zürnen. Meine Gedanken bezogen sich seit einiger Zeit fast einzig auf sie, und mich quälte mein Verfahren bis zur Gewißensangst, wenn ich sie mir auch geistig von mir getrent dachte, vielleicht in kummervollen Verhältnißen, seit unserer Mutter Tod verlaßen von jeder theilnehmenden Sorge ihrer Verwandten, außer der Ihrigen die sie gewis niemals verläßt. Da konnte ich endlich mich nicht mehr überwinden, und schrieb ihr vor acht Tagen blos in der Absicht ihr meine Gefühle bekant zu machen, nicht um die ihrigen zu gewinnen – sie kann mich da nicht verkennen, und wenn sie meinen Verlust empfindet, so haben wir uns ja wieder. Ich schrieb es neulich an Tinchen, daß wenn ich einmal nach Leipzig kommen sollte, ich eine größere Sehnsucht hätte Minna mit ihren Kindern als sie wiederzusehen, weil sie glücklich ist, u Minna vielleicht nicht.

Mein Mann hat mir die schöne Hoffnung gegeben daß wir im kommenden Frühjahr nach Lpz. reisen werden. Fast möchte ich der möglichen Hinderniße wegen, mich ihr nicht überlaßen – und doch kann ich meine Einbildung nicht zügeln, die mir die höchsten Entzückungen vormalt. Denn daß wir alle Sie dann umarmen mein geliebter Vater, laße ich mir nicht nehmen – Sie kommen gewis dahin, oder wir |6 wären berechtigt an Ihre Liebe zu zweifeln.

Ach wenn auch diese Aussicht einige Ihrer unbeschäftigten Stunden versüßte, wie glücklich wären wir dann, denn Sie können auf der Erde keine treuern Freunde finden, als Ihre Kinder, die Ihnen so dankbar sind und Sie so ganz verstehen – denn das Schiksal hat uns durch tausend Verwiklungen zu Ihren eigensten Kindern gebildet, zu Wesen deren moralische Naturen Abdrüke, wenn auch mattere u unvollendetere, der Ihrigen sind – mein Vater, verzeihen Sie mir, wenn ich zu kühn spreche. Wenn wir Sie dann wiedersehen, Gott, was wird dann für ein Augenblik seyn, u die gute Guste – ach es ist zu viel – –

Wir wollen den Winter dafür, recht häuslich zubringen an keine Reise wird gedacht, es müßte denn eine nach Hildburghaus. oder Gotha seyn, welches beides nur Spazierfahrten sind. Der Erbprinz von Gotha hat vor einige Tagen meinen Mann ein süperbes Geschenk gemacht, welches an Inhalt u Ansehn gleich kostbar ist. Nemlich Youngs Nachtgedanken im Englischen mit Kupfern von Blake auf jedem Blatt – auf Schweizerpapier gedrukt in Folio. Die Kupfer sind wie seine Phantasieen regellosschauderhaft regellos so z B. die Träume. Das Äußere istDer Einband ist halb vergoldet, die eine Seite desselben mit Atlas gefüttert, u anstatt eines simpeln kleinen Bandes womit man die pagina zeichnet, ist eine feine Kette von Gold unten mit einer großen ächten Perle gehalten, angebracht. mein Mann hat ihm in einem höchst komischen Brief gedankt.

Der Musikus von dem Sie mir schreiben ist noch nicht bei mir gewesen; doch habe ich durch unsre Wirthin von ihm gehört, u ich weis durch diesen Umweg, daß Sie ihn mit so vieler Güte aufgenommen haben. Er soll eine kleine Reise gemacht haben |7 die ihn bei mir entschuldigt. Aber ich bin ungeduldig ihn zu sehen – der Sak ist ein grober Mensch – Er wuste hier nichts angelegentlichers, als Sie zu sprechen. wie unbedeutend habe ich ihn gefunden, u das ist ein Mann den alle Familien in Berlin an sich ziehen möchten! Einen intereßantern Lexikon schiken wir Ihnen durch Kosmeli zu . Dis ist ein reichhaltiger Geist, aber ein so wilder – unbesonnener, sogar unmoralisch scheinender Mensch, daß Männer ihn fast nur goutiren können, aber im Grunde gut – das muß man ihm aber an die Stirn schreiben, sonst glaubt es niemand. Er will zu Ihnen gehen – vergeben Sie ihm recht viel.

Das Emanuel nicht nach Berlin gieng hat mich unangenehm betrogen, Sie hätten ihn geliebt. Der Brief den Ihnen Tinchen von mir schiken wird , u er überbringen sollte, enthält nichts als empfehlende Worte, er war mehr eine Einführung u so flüchtig an dem lezten Bareuther Abend geschrieben. Jene an Lida Nanette die vielleicht auch mitkommen sind fast nicht des Abgebens werth. ich werde bald an diese Freundinnen schreiben, die mir wohl ein so langes Schweigen verzeihen können – die Tante Beseke hat einen Brief von mir. Ein junger Mensch , Chirurgus gieng nach Berlin bat mich um eine Empfehlung u da er zu unbedeutend war, und lange dort bleibt habe ich sie mit einer neuen Last verschonen wollen, u ihn dorthin adreßirt – er ist mir übrigens ganz fremd. Doctor Merzdorf mus ihn kennen. Wenn Sie Heims sehen, macht es ihnen vielleicht Freude zu hören, daß ihre Familie hier, uns die angenehmsten geselligen Stunden gewährt, die wir hier genießen. Der Hofrath mit seiner Frau sind vortrefliche Charactere, der Präsident ist ein gelehrter Mann, u seine Tochter ein ganz ausgezeichnetes Geschöpf voll Geist Feuer, und recht schön.

Nun muß ich schließen – möchte doch dieser Brief auf Flügeln des Windes zu Ihnen eilen – aber fünf lange Tage, und dann erst werden Sie ausgesöhnt und heiter an Ihre Caroline denken Drücken Sie mich an Ihr Herz bester Vater, und schreiben Sie mir ja recht bald Worte der Verzeihung.

Ihre ewig treuste
Caroline

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Geliebtester Vater! Meine Caroline nimt mir allen Stof für Sie voraus weg; (gelehrten haben wir hier nicht;) sonst schrieb’ ich öfter. Das Gemälde eines Himmels – wie des unsrigen – ist ein zu einfaches Monochroma und mit einem grossen Blau abgethan. Wir Beide sind seelig durch uns, für uns; wir brauchen nichts mehr als die Fortsezung. Desto weher thut es uns beiden, daß Ihr Leben immer nur den arbeitenden Sommer und nicht den fruchtgebenden Nachsommer ge gewint und daß Ihr Staat Verdienste mit nichts belohnt als mit Gelegenheiten, sie zu verdoppeln. Ich kan Ihnen nicht sagen, wie tief und hart meiner C. der Gedanke Ihrer Klage so wie der Anklage an in das weiche nur aus Liebe gewebte Herz grif! Sie liebt eben so ewig als heftig. Daher hat die harte ungerechte Minna so sehr Unrecht, die gerade an die Gräfin alle die Beleidigungen gegen mich und C. wiederholte, über deren Ausplauderung sie jene verklagte. Ich bitte Sie, lassen Sie sich von Minna die C.'s Antwort auf ihren Scheidebrief vorlegen; denn jezt haben Sie nur einseitige Akten gelesen. – Gleichwohl schrieb sie ihr vor einigen Tagen wieder u. ich störte ihr schönes Herz nicht in seiner Ergiessung, ob ich gleich gegen dieselbe bin. C. hat kein Ebenbild und keinen Neben-Engel weiter als Ernestine. – Leben Sie wohl, geliebtester Vater! Meine Liebe u Verehrung für Sie ist so ewig wie mein Dank.

R.

Zitierhinweis

Von Caroline Richter und Jean Paul an Johann Siegfried Mayer. Meiningen, 23. November 1801, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0008


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
2 Dbl. 8°, 7 S. von Caroline Richter, 1 S. von Jean Paul.

Überlieferung

D: 3. Abt., Bd. IV, Nr. 212 (nur von Jean Paul).