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Leipzig den 23ten Februar
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Einen Brief wie den Ihrigen, mein Theurer Freund so lange unbeantwortet zu laßen, kann nur ein außerordentlicher Umstand rechtfertigen, und diesen kann ich leider zu meiner Entschuldigung anführen. Ich habe vier Wochen am Scharlachfieber krank gelegen, um zu einem neuen unbeschreiblichen Schmerz zu genesen. Wahrend ich noch am Bette gefeßelt lag, haben sie meine geliebte Schwester Ernestine, das junge blühende Geschöpf, an meinem Hause vorüber zu Grabe getragen. Die treue Pflegerinn meiner armen Kinder, von denen sie das jüngste, von einem Jahre, mit zu sich hinnahm, es vor der Ansteckung zu schützen, ist mir nun auch entrißen. In einer Zeit von vier Wochen ereilte das dunkle Verhängniß, die beiden geliebtesten Menschen. Und sie, dies frohe, glückliche, schuldlose [...] an das Leben mit so reizenden Banden gefeßelte Wesen, die |2 Niemanden Schmerzen gab, und wie ein unschuldiges Kind in froher Sicherheit an ihres Mannes Brust sich lehnte, die mußte das heimliche Schicksal so hinterlistig treffen?

Ich fühle das ich bitter werde, aber ist es ein Wunder. Nun erwarte ich nur noch das Weh in meinen Kindern wiederhohlt zu sehen, dann ist ja nichts mehr übrig was ich verlieren konnte.

Noch habe ich Mahlmann nicht gesehen. Es ist unmöglich für mich ihn jetzt zu sehen, wer weiß ob sein Unglück ihn nicht in die Welt hinaustreibt ohne daß wir von einander Abschied nehmen werden. Fortgehen wird er und muß er, denn er leidet unaussprechlich, um so unaussprechlicher da Nichts übrig ist von einer vierjahrigen Ehe mit einem Engel, als die Erinnrung. Ware etwas von ihr zurückgelaßen, ein Kind das ihr Bild trüge, es wäre ein Trost für ihn. Denn mir war es der einzige als der Vater meiner armen Würmer, meine Thränen nicht mehr sah, nicht mehr sagen konnte: |3 Weine doch nicht Minna, daß vier Geschöpfe da waren, die ein Theil seines Selbsts waren. Noch mehr Kinder hatte ich in dem Augenblick haben mögen, noch mehr Sorgen für ihre Erhaltung, es war ja das vervielfältigte Leben des Todten das ich vor mir sah.

Was nun aus mir werden wird weiß Gott. Mit Mahlmanns Entfernung bin ich ganz verwaiset. Hier bleiben kann ich nicht. Wohin, weiß Gott. Ich habe noch einen Vater, aber Berlin ist mir ein Abscheu. So lange ich noch mit der Zeitung in Verbindung bleibe läßt sich überhaupt nichts bestimmen. Jetzt ist alles anders, und ohne Mahlmann kann nichts geschehen. Was für eine Auskunft mit der Handlung getroffen werden wird steht noch dahin. Mahlmann thut für die armen Kinder was nur ein Mensch thun kann, die Rechte armer Waisen durchzusetzen.

Uebrigens werde ich vielleicht nicht Noth leiden, es eroffnet sich mancherlei. Ich bin an |3 Thatigkeit gewöhnt. Die Bahn die ich einmal betreten habe – muß ich verfolgen, und thue es um so lieber da es Spaziers lezte und gröste Freude war mich in manchen kleinen Versuchen glücklich zu sehen.

Ich vermuthe daß mir Voß das Toilettengeschenk für das nachste Jahr zur Besorgung übertragen wird. Auch mit Willmanns habe ich die Aussicht einen vortheilhaften Akkord einzugehen. Darf ich auf Ihre Unterstützung dabey rechnen? Es ist hier ein andrer Fall als mit der Zeitung, so bereitwillig Sie vielleicht auch seyn möchten, mir vielleicht zu Ihrem eigenen Nachtheil hier gefallig zu seyn. Ich würde das in diesem Falle gar nicht annehmen.

Ueberlegen Sie, was Sie für den Zweck der gewöhnlichen Almanache, an denen sich die haußliche Poesie immer noch am liebsten anschließt, vielleicht vorräthig haben, oder dafür thun möchten. In mir ist jetzt wenig Kraft, wenn mich meine Freunde nicht unterstützen so verliere ich mich in der eignen Unbedeutendheit.

Tausend Grüße Ihrer Frau. Sie liebte ja auch Ernestine!

Minna Spazier

Zitierhinweis

Von Minna Spazier an Johannes Daniel Falk. Leipzig, 23. Februar 1805, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0010


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Textgrundlage

H: GSA, 15/II,1D,14
1 Dbl. 8°, 4 S.