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Meiningen den 4ten Juli.

O mein bester Vater, wie dank ich Ihnen, daß Sie endlich mein Herz beruhigt haben. Es sind bald 6 Wochen, daß ich von Ihnen entfernt bin – ich war mir keiner Vernachläßigung bewust, und erhielt keine Antwort auf meine Briefe ., Daß Sie mich vergeßen könnten, fiel mir nicht ein, aber daß Sie vielleicht durch die Langsamkeit der Post, oder durch andere unwahrscheinliche Verwirrungen meine Briefe, besonders den lezten aus Weimar nicht erhalten hätten, und darum auf eine Schlechtigkeit meines Herzens schließen musten. Es ist ja kein unsichtbarer Genius zwischen uns der das Räthsel lösen könnte, als der Glaube, aber wie natürlich ist es ihn aufzugeben, wenn die Wirklichkeit Handlungen wieder uns zeugen.

ich war heute im Begriff Ihnen noch einmal zu schreiben. mein Mann wollte einen Brief mit beifügen – wir saßen beide zusammen, u sprachen über das unbegreifliche Stillschweigen, als das Mädchen Ihren und Gustchens Brief brachte. mit wie viel Thränen habe ich die geliebten Worte gelesen! Sie können nicht glauben wie ich mich nach Ihnen ihnen sehnte. ich lebe so einfach u ruhig, daß ich alles was meiner Seele theuer ist festhalten, u ihre Bilder hervorrufen kann. wie mich da Ihres ergriffen ergreift wie ich im Geiste so oft mich an Ihre Schulter lehne, so lebendig Sie vor mir habe, daß ich mich zerstreuen, u leichtere Gedanken hervorrufen muß, um nicht zu traurig zu werden, für das Glück meines geliebten Mannes. Die Natur hier umher macht mich oft so weich, daß ich in ihr vor Sehnsucht nach Ihnen – nach meiner Mutter vergehen möchte.

Daß Sie wieder krank sind, an dem abscheulichen Übel, das schmerzt mich unendlich – warum giebt das Schiksal Ihnen so viele Störungen – es blutet mir mein Herz, wenn ich Sie leidend denke – ach Sie wißen es nicht wie Ihr Schiksal mich erschüttert, und ich möchte jede Minute mit vielen Schmerzen bezahlen, wo ich nicht meine Pflichten gegen Sie erfüllte, aber ich glaube auch, daß wenn Sie meine unendliche Liebe ganz errathen hätten, Ihnen wohler gewesen wäre, und Sie meine [...] Nachläßigkeiten nicht so geschmerzt hätten. Wenn ich jezt noch einmal mit diesem Sinn und dieser Ansicht des Lebens, und mit dieser Erhebung über alles was den guten Geist in uns stört und hemt – meine Kindheit durchleben könnte – wie glüklich wäre ich, u wie glüklicher als Sie es waren, würden Sie seyn. |2 meine Beruhigung ist meine Zukunft – ich sehne mich einmal selbst Kinder zu haben, und die Natur wird vergelten, ich möchte nicht glüklicher durch sie werden, als meine Eltern durch mich, damit ich meine Schuld abtragen könnte. Aber ich verirre mich hier, in der tiefsten Tiefe meiner Seele ich will dis Glük von der schöneren Seite nehmen, wodurch es mir süßer wird, durch die Freude meines Mannes, durch die heiligere Liebe die er zu mir haben wird. ich würde sehr unglücklich seyn, wenn dieser Wunsch unerfüllt bliebe.

Es ist herrlich, daß Sie Sich eine Sommerwohnung gemiethet haben, und noch weit mehr freut es mich – Ihre Annäherung an eine menschliche Natur . mein Mann wird Ihnen gewis noch mehr über dis Verhältnis sagen, das sie dächte ich mit dem grösten Interesse schlingen wird. Das ganze Leben der Fr. v. Berg , wiederlegt es nicht Ihre Zweifel über conventionelle Rüksichten? Niemand scheint wohl einen freyeren Sinn zu haben.

ich bin in meinen Briefen immer über die Entschuldigung weggegangen, die ich Ihnen wegen der Verwandtin, in Weimar zu machen habe.

Sie ist entweder gestorben, oder verheirathet, oder lebt so versteckt, daß niemand sie kennt, oder ausfragen kann, sie war nicht auszufragen. ich habe mir Mühe gegeben, weil Sie es wünschten. Die gute Frau bei der wir wohnten kennt sonst alles was in der Stadt lebendig ist.

Die Trennung von Weimar ist uns Her nur durch Herders schmerzhaft gewesen, nicht allein um uns, sondern auch ihrentwegen. mein Mann ist ihm so lieb, wie er diesem, und sie haben uns ungern wie Kinder verloren. mir war sie wichtig weil ich nun doch eigentlich mein neues Leben erst anfing. mit wie unbestimmten u darum bangen Vorstellungen fuhr ich hieher – uns empfing die Gräfin mit unendlich vieler Freude, u mit dem Vorzeigen von mehereren Wohnungen; [...] diese machten mich wirklich recht traurig. in der ersten Nacht schlief ich nicht, weil all meine schönen Träume von häuslicher Ökonomie, durch sie vernichtet waren. Die Stadt ist nicht so idealisch bebaut als ich mirs träumte. Wenige Häuser mit Gärten, u fast durchgängig kleine Höfe. Große Zimmer viel Fenster, u drei bis 4 Etagen. |3 mit dem Morgen licht, zündete sich aber auch in mir das Licht der Hofnung an. ich schickte, gieng auch selbst nach anderen Wohnungen, u wir waren so glüklich eine zu finden, mit der ich sehr zufrieden bin. Eine isolirte, anständige mit häuslichen Bequemlichkeiten versehene. So schnell als möglich zogen wir noch am Morgen ein. mein hülfreicher, so unendlich gutmütiger u gefälliger Mann ordnete sein Zimmer, ich meines, u so waren wir am ersten Tage schon für den Anblik arrangirt, weil wir einige Möbles fanden, u auch durch gefälligkeit behalten bis wir uns gelegentlich, oder wenn wir erst bestimt hier bleiben, selbst einiges kaufen. Das übrige konnte ich mit aller Muße leise vollenden. Es geht jezt das kleine Uhrwerk des häuslichen Lebens schon ohne großes Stocken fort. Unser Mädchen ist sehr gewandt, ich hoffe auch gut.

mein Mann ist unendlich zufrieden mit allem wie es ist. ich bin so seelig daß ers ist, und bestimme mich so gern nach seinen Wünschen, deren Einfachheit einem zu anspruchsvollern Wesen zu eingeschränkt dünken würde, daß ich in meiner Seele die süße Beruhigung fühle ihm das Wesen zu seyn, was er bedarf. Laßen Sie mich es immer wiederholen, daß wir jeden Tag glücklicher werden. Es ist nichts im äußern u innern was uns stört. Die Gräfin trägt eher mit dazu bei uns angenehme Genüße zu geben, als zu stören. Sie sinnt gleichsam auf Beweise ihres aufrichtigen Sinnes. sie achtet mich bei Fremden im Hause – überall – sie liebt mich, denn sie hat kein weibliches Herz von dem sie von ihrer lezten Vergangenheit sprechen kann. ihre Freunde, sehr schäzbare Weiber ehren sie (hier ist der gröste Theil ihrer Familie). durch die Erziehung ihrer Kinder erwirbt sie sich die allgemeinere Achtung – am Hofe ist sie ausgezeichnet. mich rührt oft das Unrecht was die Welt in Beziehung auf uns, ihr thut , bis zum Schmerz. Denn sie hat für R. eine Liebe ohne Eigennuz – ohne Herrschsucht – es ist nur die Anerkennung seines moralischen Übergewichts. Und heißt es ihm nicht Unrecht thun, wenn man für mich unglückliche Folgen aus von diesem Verhältnis ahnet? die Zeit wird richten. unser Leben soll die Menschen belehren, daher schweige ich gegen jede niedrige Voraussezung. Es thut mir nur weh |4 daß die natürlichste Verhältniße so oft durch Irrthümer gebrochen werden.

Minna hat mich leider in die traurige alternative gesezt entweder von meinem Mann oder von ihr abzufallen. Sie hat nicht delicatesse noch Klugheit genug gehabt ihre Zweifel an ihn, an unsre Verhältniße in das Innerste zu verschließen, sondern sie sogar der Gräf. mitgetheilt. sie erkennt meinen Mann nicht, sie behandelt ihn wie einen Menschen gewöhnlicher Art. sie hat mir gemeine Klugheitsregeln vorschreiben wollen, die mich entehren würden, wenn ich sie gegen den edelsten Menschen gebrauchte. und das thut mir weh, denn jezt über die Momente des Enthousiasmus hinweggehoben wird man mir glauben, wie phantastisch mein Urtheil klingen mag: daß Richter der reinste heiligste gottähnlichste Mensch ist, der jemals gelebt hat. Könnten mehrere wie ich, in sein innerstes Leben eindringen, wie viel höher würde man ihn achten. ich habe Augenblike, die wo ich ihn still anschaue wo ich vor seine Seele kniend liege. ich fürchte nur den Tod weil der mich vielleicht auf ewig von ihm trennt, der Gedanke ihm nur so wenige Zeit anzugehören ist schrecklich. ich habe aber die Freude ihn recht gesund werden zu sehen. Alle Welt findet ihn stärker und frischer – er ist auch ruhiger als in Berlin, sein Leben regelmäßiger. um 6 Uhr stehen wir auf, um 12 eßen wir – spätestens um 10 gehen wir zu Bett. Aus Grundsatz und Ökonomie gewöhnt der gute Mensch sich den Wein ab, das thut mir in der Seele weh – trinkt nur Bier. Er ist in allem so kindlich und zugleich so fest – man möchte sein Leben hingeben wenn man ihn belohnen könnte. und diesen Engel will man angreifen! Geben Sie an Minna Ihre doppelte Liebe, damit sie nichts entbehrt, ich verzeihe ihr, aber sagen darf ich ihr nichts, weder eine Vertheidigung noch einen Vorwurf, ich würde meinem Mann etwas vergeben.

Mit den Menschen muß man hier zufrieden seyn, und glücklich wenn Güte und Dienstfertigkeit die Seele ausfüllen – aber es giebt auch geistvolle ausgezeichnete – der Hof ist der unbedeutendste Cirkel: am zweiten Tag unserer Ankunft wurde mein Mann zum Mittag bei der Herzogin gebeten (Es ist in Liebenstein ein Bad 3 Meilen weit von hier) u ich als eine nicht hoffähige zum Thee. Denken Sie Sich das Haus eines Ministers – so finden Sie vielleicht mehr Luxus in den Zimmern |5 u Etiquette in der Form als beim Meinungschen Hofe. Es war ein Courtag wo ich den ganzen Adel kennen lernte unter denen alle gut, u einige intereßant sind. Die Herzogin gieng am folgenden Tage auch nach Liebenstein wo man meinen Mann erwartet. sie hat unterdeß öfters der Gräfin geschrieben, u immer Grüße an uns bestelt, u sie gebeten uns bei ihrer Heimreise mitzubringen, dann wollte sie gemeinschaftlich mit uns die Natur genießen. Es ist eine sehr gute Frau wie eine jede andere Mutter ihre Kinder pflegend, u tragend. Sie hatte am Courtage ihren kleinen Jungen immer auf dem Arm.

Noch sind wir nicht fertig mit unseren Besuchen, überall aber wo wir waren, sind wir mit Liebe empfangen. man überströmt einem hier damit. ich nehme aber nur an, was ich mit meinem Mann theilen kann, denn ich will keinen isolirten Cirkel formiren, ob er gleich wünscht daß ich für mich genieße. ich bin um allen Misdeutungen vorzubeugen auch gleich mit dieser Erklärung bereit, daß ich nur ausgehe wohin er geht. Die Weiber hängen aber alle so treu an ihren Männern daß es niemanden auffällt. der Bruder des Doctor Heim in Berlin ist eine wahre Goldgrube für meinen Mann einer der kenntnißreichsten Menschen. Dann ein Herr von Hendtrich mit seiner Frau, eine ältliche aber eine der geistvollsten – in der Art der Gerlach, nur feiner aufmerksamer, u weniger einseitig. reiche Leute die sich unendlich freuen wenn R. in ihr Haus tritt. Dann giebt es noch hier eine Schwester von |6 Schiller – sie wird sehr gerühmt – u zeichnet sehr schön, ich werde bald ihre Bekanntschaft machen.

Über die Gegend muß kann ich nichts neues sagen, sie ist zu oft geschildert worden – noch habe ich nicht zu einem ganz ungestörten Genus der Natur kommen können, u sie ist so reich, daß sie mir unerschöpflich dünkt. Zwischen den Gebäuden der Stadt winken einem die Gipfel der Berge – wenn man aus ihr tritt ist überall Frische Fülle – alles so lebendig, und an schönen Tagen (so seltnen) so herrliche Abwechslungen von Gärten Korn u Wiesen, und wenn man die Berge ersteigt so reizende Übersichten. Ein kleiner Fluß die Werra umfließt die Stadt um den eine kleine Allee sich zieht. ich hatte einen schlimmen Fuß der mich abhielt hinauszulaufen, aber jezt werde ich es oft thun.

So wohlfeil als sich es glaubte, ist es hier nicht, manche Artikel sind ganz im Berlin Preis, und viele gar nicht zu haben.

Mit der Bitte m meine Bitte um das Mittel Rosen für den ganzen Sommer zu erhalten, habe ich wahrscheinlich undeutlich ausgedrükt. u Sie guter sorgender Vater haben Sich daher an eine ganz unrechte Person gewandt. die Frage kann nur die Kaufmanin Hoffm. an der Petrikirche beantworten, oder ihre Kindermuhme die sie bei sich hat. Es besteht nemlich in dem Geheimniß Rosenstöcke so zu beschneiden, daß derselbe Rosentock der im Juni blühte – im Juli August etc. noch Rosen liefert. Dis Factum habe ich selbst als ich einmal eine Kinderreise nach Briest bei dem Prediger Beseke machte, selbst gesehen, u mir erklären laßen, aber wieder vergeßen. Es ist ein höchst einfacher Kunstgriff.

Werden Sie Zeit u Geduld gehabt haben, diese Blätter nicht wegzuwerfen? ich bin weitläuftig weil ich weis, alles ist Ihnen wichtig was mein Inres und Äußers angeht. ich möchte ja so gern an Ihren Hals fliegen u da verstummen. Jezt kann ich nur sprechen. Erhalten sie mir Ihre Liebe – Briefe von Ihnen von Gustchen, sind mir jezt die höchsten Freuden. Gönnen Sie bald wieder Ihrer Tochter einige Zeilen.

An alle Menschen die mich noch lieb haben die herzlichsten Grüße.

Ihre ewig dankbare
Caroline.

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Meiningen, 4. Juli 1801, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0024


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 4° und 1 Bl. 8°, 6 S. Auf S. 1 Datum vfrH ergänzt: 1801; einige Unterstreichungen vfrH. mit blauem Stift.

Überlieferung

D: Wahrheit 6, S. 205-209 (unvollständig).

D: Persönlichkeit, S. 73, Nr. 130 (unvollständig).