Von Caroline von Ehrenberg an Caroline Richter. Altenburg, 30. Juni 1810, Sonnabend
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Theure geliebte Freundinn
Hätte ich gestern Ihren Brief nicht erhalten, so hätte ich Sie heute daran erinnert, daß man den Hungernden nicht vom Frühjahr bis auf die Ernde warten lassen muß, wie die Mutter mit den Kind in den so fameusen Liede – warte warte mein liebes Kind – morgen wollen wir säen geschwind – u sw. – Sie wissen daß diese Unterhaltung – nähmlich geistreiche Briefe zu lesen – daß einzige Erquickungswasser ist – was meiner Felsenexistenz Nahrung giebt – Schließen Sie nicht etwa hieraus daß ich mich unglücklich fühle, und meiner Lage schon nach 4 Wochen überdrüssig bin – nein gewiß nicht – – ich finde nichts angenehmer nichts interessanter als meine Stelle – allein – ich muß immer selbst aus mir schöpfen – und das Sprichwort sagt – man schöpft einen Brunnen aus – wie viel eher also eine Pfütze von zusammengelaufenen Regenwasser – an deren Aus- |2 trocknen die Sonne auch das ihre thut. – Nach den Stunden deren ich täglich 7 bis 8 gebe – sehne ich mich nach einer Unterhaltung, die mir wieder Schwungkraft giebt – leider finde ich diese nicht hier – denn Fr v Grandpont, die Mitgouvernante, ist eine herzensgute Frau, aber auch weiter gar nichts – um ihren Medor (der Hund) drehn sich ihre Lebensfreuden, und ihre Unterhaltungen – Das Capittel der Geduld , welches sie auch auswendig kann (sie hat es bey ihren seeligen Manne praktisch u theoretisch erlernt) – habe ich ihr Wort für Wort Dank meinem guten Gedächtnisse – abgehorcht – und weiß nur alle Brangen ihrer Unterhaltung – Die Comtesse Haeseling eine Stiftsdame in den 40 ist immer meiner Meinung –– ja ja – und ja ja ja ist alles was ich von ihr hören kann, allenfalls noch, wenn es rechtes gutes Wetter in ihren Kopfe ist – Sie haben Recht – ja ja |3 Der Maitre de langue – Herr von Vermerant dessen Runzeln und Platte ihn den Vortheil verschaft hat unter Jungfraun zu wohnen – ist eigentlich ein ci devant Duc de Vaillant – und dieser steckt ihn auch noch in jeder Rocktasche – sogar in den Westentaschen, und auf einer Schul [...] ter – es ist ein wandelnder Geldsack – denn er hat immer 4 Börsen bey sich – mit denen er alle mahl klingelt wenn er etwas Wichtiges sagen will – ich mag wohl seiner verlorengegangenen Herzoglichkeit nicht die erforderte Exellenz gegeben haben, daher ist er böse mit mir, und klingelt nicht mehr mit seinen Geldbeuteln. – Die Frau Pröbstin ist auf 6 Wochen ins Carlsbad gereist – und wenn sie hier ist – so wird sie so sehr von Geschäften umlagert – daß ich bloß bey der Cour seyn kann, welche ihr die jungen Damen eine Viertelstunde vor den Mittagsessen und Abendtisch machen. – Bey Tische könnte |4 ich Nahrung für den Geist sammeln weil der Candidat Hetschold – (ein Lehrer des im Stifts) gegenwärtig und mein vis à vis ist – allein das Geräusch von 40 Personen läßt mir manchen Tropfen seiner witzigen und angenehmen Unterhaltung verlieren. – Er ist eine Espace Knippenberg – doch jenen noch vorzuziehen, weil man an ihn die Bestimmtheit seines Charakters wahrnimt – Sie sollten ihn predigen hören – und gewiß – Knippenberg würde im Hintergrund gestellt. – Gestern war der ihr Geburtstag – er hatte einen Gottesdienst zur würdigen Feyer desselben angestellt – er hielt eine Rede – die mich ganz ergriff – mit einem Wort es ist ein herrlicher Mann, der noch höher in meiner Achtung gestiegen ist, da er meinen herrlichen Jean Paul vergöttert, und ihn für den ersten deutschen Schriftsteller hält. – Glauben Sie aber nicht, geliebte Caroline, [...]
Zitierhinweis
Von Caroline von Ehrenberg an Caroline Richter. Altenburg, 30. Juni 1810, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0045