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Baireut den 26 ten März
1820.

Geliebter Max!

Heute kam Dein letzter Brief mit dem der guten Dapping. Es ist Sonntag – und Briefe von den Unsrigen erfreuen nie mehr als an diesem Tage stiller Feier wo man Belohnung für vollbrachte Pflicht vorzüglich in den Freuden des Gemüths findet. Du machst uns immer die Größeste, das kann sich ein guter Sohn denken – fahre nur immer fort uns mit Dir leben zu lassen, und so, uns für die Entfernung zu entschädigen. Dein vorletzter Brief trieb mich jedoch mehr als Dein heutiger zum Schreiben an da er weitläuftiger und besondere Zustände bezeichnend [...] , welches bei dem Letzteren nicht der Fall war. Du konntest seiner Bestimmung des (Glückwünschens wegen, nicht gut andere Gegenstände berühren, und hattest Dich ja auch kürzlich erst ausgesprochen.

Was ich empfinde mein geliebter Max bei Deinen Herzensergießungen kannst Du Dir denken und da Du wie mirs verständlich wird, auch gern mein Urtheil hören magst so sage ich Dir, daß ich Dich in einem etwas |2 krankhaften Gemüthszustand glaube. Dein religiöses Gefühl ist, unendlich wohlthuend für meine Seele ich finde Dich darin ganz auf dem Punkte den ich längst wünschte, und ich seegne Deine gottergebne Stimmung – allein mit tiefem Schmerz würde es mich erfüllen wenn Du zum Träumer, zum Selbstgeißler würdest – wenn Du Dich Sünden anklagtest wo Du rein – gut – rechtschaffen bist – wenn Du nur in einer gewissen frömmelnden Stimmung die wahre Religion setztest. Der Umgang mit Feuerbach macht dem Vater und mir Unruhe – auch muß ich es Dir sagen daß Heinrich Voß besorgt um die Gesundheit Deiner Seele an den Vater geschrieben hat. Du, ein unschuldiges und keinem Bösen vertrautes Gemüth – vielleicht nur zuweilen weniger gesammelt eine Würde durch alle Verhältniße durchzuführen die Deine Seele mit Innbrunst liebt und erwählt hat – vielleicht zuweilen noch schwaches Kind gegen das Ideal das Du dir vorgesteckt hast – wirst doch nie mit einem einst in Leichtsinn und Wildheit versunkenen |3 Gemüth Dich vergleichen wollen, was sich später nur am Christenthum wieder aufgerichtet hat, und nun den Gottesdienst mit Buße anstatt Du mit heiterer Zuversicht) verrichten muß. Ich weiß das Feuerbach mit seinem Bruder in Erlangen ein wüstes Leben führte bis Kanne's ernste feierliche Erscheinung ihn ergriff, die um so mächtiger wirken mußte als so viel edler Stoff in ihm war. Nein, Max laß Dich nicht übertäuben von seiner hinreißenden Darstellungsgabe, such nicht im Martyrthum Tugend und Größe. Bleibe ein edler Mensch suche immer mehr es zu werden liebe Gott und Christum über Alles, aber verliere nie den Glauben, daß meine Güte vorwurfsfrei mit Dank und Heiterkeit sich zu Gott erheben darf. Grüble nicht nach Setzungen sondern halte Dich einzig und allein an die Bergpredigt Christo. Bilde Dich in Allem was vom Schicksal Dir dargeboten ist verachte keinen Zweig des Wissens ehre Gott indem Du die von ihm geschenkten Kräfte übst |4 betrachte jedes Fortschreiten selbst, als eine Gabe von Ihm, dem Allgütigen, diese Demuth und kindliche Dankbarkeit ist es freilich, die dem Höchsten und ausgezeichnetesten Wissen die Krone aufsetzt und mit Rührung muß man ein solches Gemüth anbeten.

So wirst Du einst sein, mein Sohn, wenn Du die schönen Gefühle die Dich jetzt beherrschen bewahrst ohne die Ausbildung Deiner Fähigkeiten hintanzusetzen die auf welchem Standpunkte Duch auch seiest ob Staatsmann, Gelehrter, oder Prediger Dir Veranlassung geben wird, Christum zu predigen. O wüßtest Du welch ein frommer Mann der Vater meiner Mutter war, obgleich Jurist (der seel. Geheime TribunalsRath Germershausen ) doch ein Diamant für seine Freunde und seine Familie – mein Vater, wenn gleich mehr philosophisch als gläubig aber welch ein edles Beispiel war sein Leben. Lies doch die Stunden der Andacht , Dräseken's Predigten, das ist wahres reines nicht kränkelndes Christenthum und das ist es was ja auch meine Seele beruhigt, erfüllt, und befriedigt.

|5 Was ich bis jetzt geschrieben theile aber niemand mit – ich habe nicht Zeit meine Gedanken regelmäßig zu ordnen und schrieb im Erguß des Gefühls, die Mutter an den Sohn, im Vertrauen nicht gemisdeutet zu werden, ganz anders sieht ein kaltes prüfendes Auge.

Auf Deine Reise freue ich mich, wie wenn ich sie selber machte. Grüße nur den vortreflichen Hofrath Jung recht vom Vater und mir. Vielleicht sind auch seine Söhne bei ihm. Thieriot hat lange nicht an Emanuel geschrieben, Dich wird er mit höchster Liebe empfangen – überhaupt wohin Du kömmst findest Du Freunde und Eltern. Der alte ehrwürdige Major von Knebel schrieb neulich seiner Nichte, der Fräulein Knebel hier; warum der Vater Dich wohl nicht nach Jena geschickt er würde gesucht haben "den Vater in Dir zu ehren". Schwarz liebt Dich außerordentlich auch gegen die Ende , nannte er Dich des Vaters vortreflichen Sohn. Daß Du vorlesen mußt bei der Fr v. Zillinghardt freut mich |6 sehr, oft wirst Du dabei Deiner Mutter gedenken die auf eine Fertigkeit darin einen so hohen Werth legt.

Du wirst jetzt wieder Geld brauchen Herzens Max, sage es nur so bald als möglich, wie Du mit Deinen Finanzen stehst. Der Vater bekam vorgestern 900 fl von Cotta nachgezahlt auf die Lewana . Das liebe Väterchen ist jetzt recht heiter – ich unterstütze diesmal sehr seine Reiseplane, sollte ich auch darüber die meinigen aufgeben müssen, den nach diesem trüben herben Winter und dem drohenden Lungenübel ist eine Erheiterung der Art recht unerlaßlich. Wohin es aber geht, das mein Max ist noch ganz unentschieden.

Am Freitag kommt der junge Welden auf 4 Wochen und die herrliche Luise für immer zurück.

Eine Bibel mußt Du Dir kaufen, da wir die Unsrige nicht entbehren können. Den Niebuhr erhalte mir aber ja, er ist von meinem Vater, und alles von Ihm ist mir heilig – immer mehr verklärt sich das |7 Andenken dieses herrlichen Mannes in mir –

Die Mutter ist seit vergangenen Herbst in Berlin, sie ist immer sehr liebend, und schenkte nach Weihnachten der Emma und Odilien ein nettes Kleid. Sie ist recht edel und gut, schreibe ihr einmal, es wird sie sehr freuen. Die arme Schuckmann ist nach einem Nerven Anfalle sehr sehr geistesschwach geworden.

Otto ist in seiner neuen Laufbahn, die er jedoch nur provisorisch auf 1 Jahr angetreten hat noch nicht recht glücklich. Seine Bestimmung ist die eines Staatschriftstellers mit Roth, Bahrt, etc. gemeinschaftlich – Die erste Aufgabe ist dem Landtage vorzuarbeiten. Schreibe ihm einmal er logirt bei Herder das beste wäre den Brief bei M Lerchenfeld abgeben zu lassen. Du bist ja eine Art Sohn für ihn und auch Amöne liebt Dich sehr. Noch immer ist sie hier, und bleibt es auch vielleicht noch ein ganzes Jahr bis Otto sich zwischen der alten Freiheit und Einsamkeit oder der staatsbürgerlichen Thätigkeit fest entschieden hat.

|8 Das Verhältnis unter uns, ist immer das Alte, nur erlaube ich mir jetzt mehr ohne ängstliche Rücksicht auf sie das Angenehme was ich durch meine Verbindungen habe zu genießen, da sie ja auch glücklich ist, oder es wenigstens sein könnte. – Otto bekam gerade in dem Moment wo er jenen Ruf erhielt sehr ehrenvolle und einträgliche Verhältnisse mit Buchhändlern, namentlich mit Perthes die allein ihm eine sehr angenehme Existenz sichern können. Schreibe einmal an den Rendanten, er ist betrübt, da Du es versprochen.

Das Blatt vom Vater sollte ich nur abschreiben doch fand ich für gut es Dir selbst zu schicken – Du wirst gewis gern des Vaters Bestimmtheit willfahren – wahr ist es daß Deine Hand wirklich nicht gut zu lesen ist – schreibe nur an den Vater mit Muße, Schicke Deine Rechnung ein, ich fürchte immer Du möchtest aus falscher Schaam in Verlegenheiten gerathen. Nun lebe wohl mein Max grüße die edlen Vossens aufs ehrfurchvollste ich drücke Dich an mein Herz und flehe zu Gott um Seegen für Dich.

Deine Mutter.

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Max Richter. Bayreuth, 26. März 1821, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0051


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
2 Dbl. 8°, 8 S. Neben dem Datum mit Bleistift vfrH: 1.


Korrespondenz

B: Von Max Richter. Heidelberg, 20. März 1821 (4. Abt., Bd. VIII, Nr.96)
A: Von Max Richter an Caroline Richter. Heidelberg, 4. April 1821
A: Von Max Richter an Caroline Richter. Heidelberg, 11. April 1821

Mit der von Jean Paul formulierten und von Caroline Richter niedergschriebenen Nachricht, dass der Vater nicht eher antworte, bis Max seine Handschrift verbessert haben würde. Zur Datierung: Caroline Richter irrt sich in der Jahreszahl; richtig heißt es 1821.