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Daß Du doch noch unsre Schwester bist, und in Deinen Gefühlen so ganz mit uns übereinstimmst, hat meiner Liebe zu Dir einen neuen Schwung gegeben, so wie denn alles seit Jean Pauls Erscheinung mir lieber geworden ist. Du himmlische liebe Minna – wie empfindest Du – alles was Du gezeichnet hast – gab uns lebendig die Erinnerung eben solcher Sinnen wieder – was sollt ich Dir nun schildern, was Dir jezt nicht alt und bekannt wäre – nur die Einkleidung Zeit und Ort wäre verschieden. ich glaubte Anfangs nach seiner Abreise würde eine unausstehliche Leere in und außer uns seyn – aber nein, du glaubst nicht welch ein neues Leben, welch ein neues interesse jezt alles für mich hat. Am meisten mein Selbst an deßen Reinigung ich jezt arbeite – seine Bücher die ich jezt lese um gleichsam den Umgang mit ihm fortzusetzen, wo er doch [...] immer nur seine eigne hohe Seele enthüllt – erhalten mich in dieser Spannung die schon wunderbar und wohlthätig auf mich gewirkt hat. mit ihm und durch ihn müßte man ein Engel werden. –

Der Ahlefeldt deßen Sp. sich noch sehr gut erinnern wird, weil sie sich sonst gekannt haben, ist Jean Pauls wärmster Freund – mehr kann ich Dir nicht über ihn sagen, um Dich für ihn einzunehmen, und es natürlich zu finden, wie sein Umgang die schön verlebte Zeit – immer wieder erneuert. seine Gegenwart wirkt magisch auf uns, und nur der äußere Jean Paul fehlt, um uns durchaus zu täuschen. Der Schein seines Wesens erleuchtet uns noch, sein Geist ruht noch auf uns.

|2 Urtheile wie uns nun der Umgang anderer Menschen beklemmt, da wir ihnen nie das, was unser ganzes Wesen füllt und beschäftigt, mitteilen können. Es gehört mit zu meinen schwersten Kraftäußerungen, daß ich mich verberge wenn von ihm die Rede ist. Die Menschen würden entweder lachen, oder mich anstaunen, wie eine Erscheinung aus einer andern Welt (nicht aus einer beßeren). Bei den gleichgültigen geht es recht gut zu sagen "es ist ein artiger charmanter Mann" aber bei denen die einiges interesse äußeren – vergißt man sich so leicht – weil man es so gern thut – und nur wenn die gezogne Grenzlinie übersprungen ist, erschrikt man über sich selbst – und wie kaltes Waßer überläuft einem ihre Feinheit, ihre Politur. Wie lieb also ein gleichempfindendes ofnes herzliches Wesen einem seyn muß – das alles verzeiht, weil es menschlich ist – und dem Natur im Menschen eine heilige Erscheinung ist – kannst Du gewis fühlen – was Wunder wenn die Stunden mit Ahlefeldt zugebracht uns jezt die liebsten sind! Gestern war er zum erstenmal da bei Maman – der Tag war so schön, er so empfänglich – u die Idylle vom Schulmeisterlein Wutz aus der unsichtbaren Loge von ihm gelesen auf einen schönen Platz am Berge gab uns einen wonnevollen Genus – ich gestehe, daß ich jezt glüklicher bin, als ich es je war. – ohne Schwärmerei – gewis. Wir lasen ihm Deinen Brief , liebste Minna, er entzückte ihn fast – die Schilderung Eures Abends in Wörlitz , die Waßerfahrt rief uns einen |3 ähnlichen Abend zurük – – und wir glaubten mit Euch im Kahn zu sitzen. –

Wie er so sagt "es ist recht schön" und wie er einem das Haar von der Stirn streicht – u frägt ist Ihnen wohl? und wie sein Auge wie von einer Entzückung gehoben mit einer Thräne aufblickt, und wie ein scharfer Gedanke es dann wieder so hell erleuchtet! Gott, liebe Minna, dann möchte man vergehend vor ihm niederfallen. 1Mir war nichts intereßanter als so den Wechsel seiner Ideen u Empfindungen zu beobachten, konnte man nicht alles auf seinem Gesicht lesen? – Ach und die Güte, die Liebe das ist mehr als alles! Jezt kann ich mir die von Christus erzählten Wunder Geschichten erklären –

Die Mazdorf schien mir eine sehr kalte steife Person zu seyn, bei all ihrer Güte gegen uns. Aber seitdem sie von Euch zurük ist scheint sie beseelt – der Abend auf dem Waßer, hat ihr Herz aufgethauet . Es ist recht gut, daß Ihr so offen zu ihr gewesen seyd, sie scheint sehr vielen Antheil an Eurem Schiksal zu nehmen und ich habe sie darum viel lieber.

Ihr armen Menschen , wenn man einmal wieder so recht lebhaft an Eure Lage denkt, dann möchte man aber doch den Sinn für Alles andere verlieren und es sich zur Sünde rechnen – daß man glüklich ist. Ach warum hat man nichts als Wünsche für Euch, u Pläne die – immer scheitern.

|4 Und doch wirst Du selbst oft über Deine Lage hinwegsehen, und die höhern Freuden die Du hast überwiegend finden – Julius muß Dich oft erheben, warum möcht ich immer weinen wenn ich an den Engel denke. Weist Du, daß ich ihn jezt mit dem Victor vergleiche, wenn ich so in die Zukunft sehe? – und wer sein Emanuel ist, das erräthst Du leicht .

Malst Du Dir wohl zuweilen unser Wiedersehen aus? Ich kann es nicht – aber ich erwarte den höchsen Genus. Doch warum kannst Du nicht Emma mitbringen damit er weniger flüchtig wäre – denk an den Schmerz, eine Freude, durch ihre Kürze so pikant gemacht gleich wieder zu verlieren. Das wäre zu viel. Behilf dich doch immer ohne Mädchen. Emma ist ja dann vielleicht schon so weit, daß sie läuft, und kann wenn sie gesund ist, Dich doch unmöglich so sehr beunruhigen.

Wie glücklich wirst Du seyn, mit ihm im Wagen zu sitzen , für ihn zu sorgen, und Dein ganzes Innre ihm aufzudecken – Du hast dann nicht die Sorge ihn durch andre Gegenstände von Dir abgezogen zu sehen – wie man hier immer hat. Das ist die einzige Furcht derer man sich bei ihm bewust ist, sonst verschwindet alles. Sage Spatzier, daß sein kleines Blättchen mir heilig ist, als ein Freibrief für meine Empfindungen, als ein Paß mit dem ich zuversichtlich einem jeden gemäßigten Menschen, unter die Augen treten will. Es war am Abend spät, da ich Deine

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1 Jean Paul nemlich
Zitierhinweis

Von Caroline Mayer an Minna Spazier. Berlin, Juli 1800 (?). In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0060


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S. Schluss fehlt. Über dem Brief vfrH.: An Minna Spazier.

Überlieferung

D: Persönlichkeit, S. 62, Nr. 109 (unvollständig).


Korrespondenz

Zur Datierung: Ende Juni 1800 machte Jean Paul auf der Reise von Berlin nach Weimar in Dessau Station, wo er die Schwerster seiner Verlobten Caroline Mayer, Minna Spazier, kennenlernte, die in einem nicht überlieferten Brief über das Kennenlernen und einen gemeinsamen Ausflug mit Jean Paul nach Wörlitz der Familie in Berlin berichtete. Der vorliegende Brief ist Caroline Mayers Antwort darauf.