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Würzburg den 16 ten October 1822.

Liebe Emma!

Es scheint mir so sonderbar so lange keinen Brief von Dir zu erhalten, da Du doch verschiedene Aufträge von mir zu beantworten hast, und hätte ich dies lange Schweigen voraussehen können, so hätte ich Dich dringender um Antwort ermahnt. Schreibe mir ja gleich wie es mit des Vaters Gesundheit geht. Ob er heiter ist, und ob er mein Außenbleiben zu lange findet.Übermorgen sind es 14 Tage, daß ich abgereißt bin , und ich glaube ich wäre zurück, wenn nicht Augustens Kranksein meinem Aufenthalt hier eine andere Bedeutung gäbe. Noch ist sie nicht wieder in Thätigkeit, und ich wollte doch so gern diesen Augenblick hier abwarten, um mit Ruhe Odilie hier zu wissen. Wüßte ich nur darüber des Vaters Gesinnungen! –

Im letzten Briefe äußerte der Vater, daß ich Odilien gleich mitbringen sollte. In der That reift der Entschluß dazu immer mehr in mir, wenn ich gewis weiß, daß der Vater im Frühjahr Odilien auf 3 Monate wieder hieher läßt, und sie zu Hause ganz so leben kann wie hier.

|2 Dann wäre für sie beim Aufenthalt zu Hause kein Nachtheil zu befürchten. Geschieht aber dieses so wird es muß ich noch einige Wochen länger abwesend bleiben, denn Bett und Maschinen sind nicht sogleich vorräthig, ist es nun den Vater lieber, Mutter und Kind beisammen zu haben, und erstere mich deshalb etwas länger zu entbehren, oder mich plötzlich allein zurückzuhaben, und mich dann nach einigen Wochen zu Odiliens Abrufung wieder hieher zu schicken so hat er die Wahl. Erforsche darüber des Vaters Meinung.

Zwar wäre es besser, auch ich könnte bis Dezember hier bleiben, aber ich fürchte mich es auszusprechen ich glaube der Vater würde mir eine solche Idee nie verzeihen, wenn er gleich mich innig vermissen wird. Schreibe mir doch ja alle seine Äußrung und Foderungen an mich, mit der größten Offenheit. wenn sie auch hart sind.

Herr Heine geht jetzt wieder überall herum und beobachtet seine Eleven mit Aufmerksamkeit – Gott gebe daß sein Wohlbefinden von Dauer sein möge |3 aber vorige Woche lag er, und Auguste zu Bett. Auch wurde Eines der Mädchen krank, ist jetzt aber auch wieder in der Genesung.

Odilie ist kerngesund, sie hat stärkere Arme, ist heiter und wohlgemuth. Sie läßt sich mit Lust manipulieren und pressen, und ich habe jetzt ganz den Glauben, daß sie wie Luise Welden wird. Nur Ausdauer! Gestern fand erst das Gespräch mit Doudrepont statt, was mich so lange erwartete Es war recht beruhigend über die Unschädlichkeit der Kur, wenn sie anhaltend aber nicht mit Gewalt gebraucht werdenwird Ich benutze meinen Aufenthalt um mich über Alles gründlich zu belehren. Ich sah auch mehrere apparate anderer mit solcher Cur beschäftigter Aerzte, wovon aber keine so zweckmäßig, als die Heineschen sind. Mein Grundsatz ist: prüfet alles und das Beste behaltet.

Gewis wirst Du mir Antwort wegen der Fr v Welden Haube gegeben haben, wie auch den Sammet geschickt den ich zu Odiliens Mantel verlange. Wenn es doch nur schon da wäre!

|4 Odilie denkt mit Entzücken an das Wiedersehen des Vaters an die Winterabende mit den lieben Weldens, an Dich, an Helene und Mathilde, und doch weinte sie einmal über den Gedanken des Weggehens. Sie wird sehr geliebt. Ihre Freundlichkeit und Gefälligkeit gewinnen ihr Aller Herzen, und ihre Mitgenossinnen sind ganz bestürzt über den Gedanken daß sie von ihnen scheiden soll. Jettchen Pagenstecher ist die Edelste unter ihnen. sie muß herrliche Eltern haben. Sie besitzt, was ich so sehr bei jungen Mädchen liebe ein Gedichtbuch, worin sie sich eine Auswahl der vortrefflichsten Gedichte gesammelt hat, die ihrem Geschmack außerordentliche Ehre machen:

Ich litt sehr an Zahn, Augen und Kopfweh, aber jetzt hat es sich in die Hüften gezogen, daß ich kaum gerade gehen kann, doch hoffe ich, es soll bald vergehen Ich möchte um keinen Preis hier, einem körperlichen Schmerz mich ergeben, da man nur in der Gesundheit Kraft und Muth zum Handeln haben kann. Geht es gut mit der Haushaltung; mit dem Essen? O gewis, Du wirst Dir alle Mühe geben.

Nun antworte mir bald. Odilie hat wirklich nicht viel Zeit zum Schreiben, man denkt sich es nicht, wenn man nicht hier ist, wie schnell der Tag vergeht. Gottes Seegen über Euch.

was macht die arme Reizenstein? Grüße Alles – Weintrauben gibt es nicht mehr.

Deine treue Mutter, Caroline

Geschrieben in Eile. Zeige meinen Brief an Niemand.

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Emma Richter. Würzburg, 16. Oktober 1822, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0062


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S.