Von Ernestine Merzdorf an Caroline Richter. Berlin, 25. Februar 1809, Sonnabend

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Berlin den 25 Febr. 1809.

Meine liebe Caroline! Du bist würklich so gut mich noch manchmal mit einem Gruß zu erfreuen wie die gute Mutter mir versichert? aber ich traue ihrem Worte wenn sie mir gleich keinen Deiner Briefe anvertraut die mir so unbekant bleiben als die Blätter jener Sybille der Vorzeit. Ich freue mich denn doch, daß Du bei den verschönerten Umrissen im Väterlichen Hause, der alten einförmigen noch eingedenk bist und mir noch etwas angehörst! Einige Nachricht von mir selbst wird Dir also auch nicht gleichgültig seyn u wer weis könte ich sie Dir in der Folge noch geben? So fast an der Grenze zweier Welten ist der Aufschub etwas mißlich. Bin ich gleich bei dem strengen Winter, bei weniger Pflege oder Bequemlichkeit, nach einer zerstörenden Ruhe ungewöhnlich gesund gewesen, so sehe ich doch wie um mich her die Menschen in Eil dahin sind. Mit der guten Siegfried u meinem edlen Polborn sind die letzten trauten Verbindungen meiner übrigen Tage dahingeschwunden. Den Tod der beiden liebenswürdigen Wesen Jenny u Mathilde von Karstedt, denen der trostlose Vater bald nachfolgte – auch diese mir so theuern Verhältnisse muste ich beweinen. Nur die Ereignisse der Gegenwart mildern den Schmerz solcher Trennungen!

Von unsern Erfahrungen während des Krieges wirst Du genug gehört u die algemeine Verarmung gewiß bejammert haben! Meine kleine Wohnung schützte mich nicht solche viermal mit französischen Soldaten zu theilen. Die Furcht vor diese schrekliche Erscheinung u die Einbuße des grösten Theils meiner Einnahme durch den Verlust der Erbschaft |2 von meiner Schwester (die bei fast zehnjähriger Verzögerung durch gemachte Spekulationen; durch kostbare Processe und endlich durch den Raub der Feinde mit Fünftausend Talern belastet (Schulden) u folglich so gut wie vernichtet ist; für mich ganz bestimt denn ich werde wohl nicht das Ende davon erleben.) alle diese Unfälle haben mich aus meiner vorigen Wohnung vertrieben die mir zu theuer wurde. Hier bin ich unter ein ländliches Dach geflüchtet in die Arme der Natur welches schon längst mein Wunsch war. Diese 1 Gegend ist eine der schönsten Umgebungen Berlins. Der freien ofne Himmel; das schöne grüne Feld; im Hintergrunde die Hasenheide und der Tempelhofer Berg oder Soupcon eines Berges; überhaupt die ganze malerische Ansicht machen besonders bei milder Beleuchtung der Morgen u Abend Sonne eine sehr hübsche Würkung. Es hat etwas herzerhebendes u ich freue mich recht auf den nahen Frühling und kan ihn hier in seinem ersten Erwachen belauschen – so habe ich doch nun etwas für mein verarmtes sehnendes Herz, was mehr werth ist als alles was mir die alltäglichen Gesellschafts Zirkel gewähren können. Der Winter ist mir auch ganz erträglich vergangen im Umgang mit einer geistreichen gebildeten Frau aus Augsburg welche hier im Hause wohnt. Auch ist mein Wirth der Kaufmann Taube ein sehr gefälliger guter Mann der mir so wie seine Familie manche Erleichterung verschaft. Freilich meine Entfernung von der Stadt hat |3 manche Schwierigkeiten, allein meine Lage ist zu eingeschränkt um Ansprüche zu machen und mein Gemüth zu angegriffen um Fremde zu ertragen; daher thut mir die Stille nach dem Tumult des Lebens recht wohl. Wer in dem kurzen Zwischenraum von Sorge u Nichtsorge noch glüklich genug ist Sinn dafür zu haben, darf sich nicht für ganz verlaßen halten. Gottlob ich habe Muth mein Schiksal zu erwarten. Ich weiß nichts vom Krieg in der Brust – ich vergebe u vergesse so wie ich wünsche daß auch mir geschehen möge! Die Sommern grüßt Dich herzlich. Sie ist sehr eifrig u betriebsam durch Fleis in Handarbeiten die Lükken der fehlenden Einkünfte zu ersetzen. Die Arme verliehrt doppelt bei dem Verlust von Sanne da sie ihrem Bruder in Preußen eine ansehnliche Summe zu seinem Fortkommen vorgeschossen u dieser sie auf seinen Antheil der S. Erbschaft angewiesen. Seine Lage ist durch den Krieg zerrüttet und er ist nicht im stande seiner Schwester die Schuld zu bezahlen; diese jammert oft trostlos über ihr Schiksal. Ihr Gustav ist seid ½ Jahr Gümnasiast u ein großer u kluger Jüngling; er will Kaufmann werden.

Daß Dein Vater einer so guten Gesundheit genießt u durch den erheiternden Umgang seiner guten Frau, einen so glüklichlichen Abend des Lebens, muß Dir unendliche Freude machen! Möge er doch bis ans Ende ungestört glüklich seyn! Finde ich gleich auf der Erde nie wieder, was die Verstorbene Unglükliche Verkante mir war – mir jetzt in dieser Wüste des Lebens seyn würde!

Doch genug! Lebe wohl meine gute Caroline. Tausend Segen Dir u den Deinigen von Deiner treuen Tante

Ernestine Merzdorf.

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1Köpenikerstraße
Zitierhinweis

Von Ernestine Merzdorf an Caroline Richter. Berlin, 25. Februar 1809, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0063


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 4°, 3 S. Auf S. 4 Kinderzeichnungen und -kritzeleien.