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Berlin d. 23. Aug. 8.

Meine liebe Caroline!

In der Hofnung von Dir eine Antwort auf meinen letzten Brief vom 20. July zu erhalten, der sich mit Deinem letztern gekreutzt hat, habe ich Dir auf diesen noch nicht geantwortet. ich thue es nunmehr mit Dank für Dein thätiges Andenken an meinem Geburts Tag , und habe mich recht innig darüber gefreuet.

Leider nagt Minna wie ein Krebs an meinem Hertzen ; und ich bin wieder seit 14. Tagen ohne Antwort von ihr. ich habe Sie nehmlich aufgefordert, mir den Vater ihres Kindes zu nennen, weil es mir nicht gleichgültig ist, durch ihren Leicht Sinn die Summe meiner Verpflichtungen vergrößert zu sehen. Auch habe ich ihr auf eine Art geschrieben, wodurch sie sicher seyn kann, mit ihren Bekenntnißen gegen mich auf keine Art compromittirt zu werden; allein schon in ihrem letzten Briefe athmet sie einen hohen Grad von effronterie , und das scheint ihre fortgesetzte Stimmung zu seyn, wodurch sie aber bey mir nichts gewinnen wird.

|2 Warum antwortest Du edlere Seele aber auch mir nicht über die von Herrn Wagner eingezognen Nachrichten? Sollte wohl dieser Ehren Mann? – Doch ich werde nur durch die dreiste Loßsagung des Herrn D. A. auf diesen Verdacht geworfen, weil mir nur A. u W. als intimes der Minna bekant sind ; u als ich mich nicht entschließen kann, die letztere für eine gemeine H. zu halten, die ihr Kind, ohne selbst zu wißen, von wem, aufgelesen hat.

Doch ich werde hinter die Wahrheit kommen.

Für Julius habe ich neulich von mir abgelegte, oder vielmehr anzulegende Kleidungs Stücke nach Dessau gesendet; und bisher die Pension erschwingen können . Gott gebe, daß ich es ferner könne.

Die Dir von der ältesten Stub. gegebene Nachricht ist nicht mehr wahr. Das Bündniß ist auseinander gegangen . Die wechselseitige Kälte hat es gesprengt. ich wuste diß nicht.

Eben stehe ich im Begrif zum Printz Ferdinand zu fahren, und dort wahrscheinlich seinen eigentlich letzten schriftlichen Willen aufzunehmen . Es |3 ist mir ein feyerlicher Akt. Der alte Mann hat durch sein Alter viel gewonnen, wird allgemein geschätzt; und nimt die letzte lebende Spur [...] seines großen Bruders hinweg.

d. 28. August

Gestern Abend habe ich denn endlich von Minna Antwort erhalten, welche durch die Art ihrer Faßung ein wenigstens indirectes Geständniß enthält, daß sich die Sache mit ihr so verhält, wie ich es ihr auf den Kopf zugesagt habe. Immer aber läßt sie sich auf die Angabe des Vaters ihres Kindes nicht ein; sondern will mich damit beruhigen, daß mir niemand für deßen Verpflegung etwas abfordern werde. ich kann mich aber dabey nicht beruhigen, solange ich hierüber keine juristische Gewißheit erhalte.

Über den Punkt der Ehre hilft sich Minna mit einem Dilemma. Ehre in Bezug auf Ihr Urtheil über sich selbst sey ihre Sache; und in Bezug auf die Welt nichts auf das Urteil der letztern zu rechnen, weil der schlechtere Theil gewöhnlich nur am lautesten rede, und man den nicht zu achten brauche. Vom beßeren Theil der Welt nimt sie keine Notitz. Man kann also gar nicht auf sie würken.

Kannst Du zur Vermeydung einer größeren Publicitaet mich über den Vater des Kindes mit Bestimmtheit unterrichten, |4 so wird Minna indirect davon Vortheil ziehen. Denn bliebe mir nichts übrig, als den Weg der Publicitaet zu wählen, oder auch diesen mit Schonung für Minna aufzugeben, so wäre doch ich für Minna verloren, und ich würde sie lediglich ihrem Schicksal überlaßen. Nur auch die Strenge des letztern kann sie beßern, worauf denn doch hauptsächlich hin zu arbeiten ist. Freylich bittet sie dringend um meine Nachsicht, weil ihr diese allein nur noch den Muth erhalte, für sich u ihre Kinder zu sorgen. Allein die Art ihres Benehmens, und ihre effronterie ist denn doch nicht der Weg zu meinem Hertzen. Auch weiß sie nicht, was dazu gehört, sich u mich gegen die Folgen ihrer jetzigen Entbindung sicher zu stellen. Es ist also sehr viel dabey verloren, wenn sie sich jetzt, es sey durch einen frechen Lovelace , oder durch einen sentimentalen Pauvron hinhalten läßt, mir ihr Verhältniß gantz zu entdecken, weil darüber die Gelegenheit zum juristischen Beweise der Vaterschaft verschwindet, u der erstere durch die Natur seines Caracters, oder der letztere durch eigne Noth getrieben, sich aus der Schlinge ziehet, u die Minna mit ihrem Balge Balge sich selbst überläßt, –

Siehe also zu, was Du über die Wahrheit mir melden kannst.

Lebe wohl, behüte Gott Eure gegend für Unruhe. Die Mutter grüßt Dich. Grüße Deinen Mann, u küße Deine Kinder.

Dein tr. Vater
Mayer

Die Bareutter Herrn Deputirten habe ich nicht kennen lernen, also ihre Abreise nicht nutzen können.

Zitierhinweis

Von Johann Siegfried Wilhelm Mayer an Caroline Richter. Berlin, 23. bis 28. August 1808, Dienstag bis Sonntag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0087


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S. Unterstreichung vfrH mit blauem Stift.