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Baireut den 1ten Juni
1821.

Geliebter Max!

Daß heute ein Brief von Dir kam war hohe Zeit, denn schon empfand ich eine außerordentliche Unruhe über die sichre Ankunft meines letzten Briefes an Dich, sehe aber aus den Worten: über Dobeneck , daß Du ihn richtig empfangen hast. Die Idee Dir eine kleine Freude gemacht zu haben, verbreitet eine ganz eigne Seeligkeit über alles was ich jetzt thue und unternehme. Benutze nun aber auch dieses Geld so wie ich Dir gesagt, und halte Wort mit den Berechnungen an den Vater. Du hast es in der Art, eine Menge Dinge anzudeuten, zu entwerfen, aber ihre Ausführung entweder gar nicht, oder sehr spät, wenn Du wieder in neue Verwicklungen gerathen bist, zu vollziehen, das ist ein reeller Fehler den Du bei Deinem Ernst, und Pflichtgefühl leicht ändern kannst – So mußt Du auch wenn Du etwas vom Vater oder von mir erhalten hast aufs Schnellste antworten – man ist unruhig und eine zarte Dankbarkeit könnte es dächte ich, nicht unterlassen.

|2 Daß unser Gruß Carové Freude gemacht hat, ist mir recht – die Unannehmlichkeit mit dem misrathenen Bilde thut mir sehr leid, allein wie konnte der Gute, auch, nach dem in der Frau Rollwenzel Besitz sich befindenden Bilde, bei demselben Künstler, eines bestellen? Schon dieses finde ich eine sehr verunglückte Übersetzung des schönen Bildes von Mayer was wir besitzen, und würde es ungern oft betrachten. Ich weiß nicht ob Herr Leyritz je im Stande ist ein Besseres zu malen, ob er gleich ein ¾tel Jahr lang des Vaters Gemälde von uns entlehnte. Vielleicht glückt es mir auf anderem Wege eine edlere Zeichnung vom Vater zu verschaffen , und dann werde ich sie dem edeln teutschen Carové mitteilen, ich vergeße es nicht.

Bei der Übersendung von Deines Freundes Henne Manuskript rührt mich Dein Herz, Du guter Mensch! Gewis werden wir uns Mühe geben, ihm wenigstens einige Subskribenten zu verschaffen , allein mehr wird |3 schwerlich geschehen können. Der gute Vater wird es durchlesen, sollte er alsdann mehr für den gewis sehr schätzbaren Jüngling thun können, werde ich mich unendlich freuen. Aber guter Max Du bürdest damit dem armen Vater eine große Last auf, und in diesem Augenblick ist er noch gar nicht geneigt etwas dafür zu thun . Du must im Verkehr mit Freunden, die vielleicht nur gar zu oft Dich als das Bindungs mittel zwischen einem berühmten Mann und sich betrachten, doch mehr an den Vater, als an sie denken. Er ist zu eignen nothwendigen Arbeiten jetzt nicht mehr so heiter u kräftig als sonst. Er wird überströmt mit Geistesprodukten von allen Gegenden Deutschlands, die man ihm zur Beurtheilung übergibt – er hat mehrere, Jahrelang liegen und es ist eine wahre Qual für ihn nur darauf zu antworten – darum müssen wir Alle die wir ihm angehören und ihn lieben uns in keine Verbindlichkeiten gegen Freunde |4 einlassen, deren Erfüllungn dem, dessen Glückseeligkeit unsre erste Pflicht ist, so viel Zeit und Opfer kostet, und deren NichtErfüllung uns selbst komprommittirt. Es macht Deinem Gemüthe, Ehre, so warm das Interesse Anderer zu verfechten, allein, Du must die Kraft gewinnen Ansprüche abzuwehren, so wie ich, lästige und störende Besuche zur unrechten Zeit. Es wird mir gar nicht schwer offen einem jeden Fremden, der Vormittags kömmt zu sagen: daß der Vater arbeitet und sich von Niemand unterbrechen läßt.

Der Werth des Manuskripts wird gewis vom Vater mit der größten Gewissenhaftigkeit geprüft werden. Möchte es nur in anderer Mundart geschrieben sein! O dieser unseelige Geschmack eine so herrlich ausgebildete Sprache deren Wohlklang und Reichthum durch die Schriftsteller des vor. Jahrhunderts so köstlich ausgebildet worden ist, uns in ihrem kindischen rohen Zustand wieder aufzutischen!

|5 Es wird dadurch nur für Gelehrte nuzbar sein, aber wie kannst Du denken daß die jungen Freundinnen Deiner Schwestern Geschmack an dieser diesen Gedichten finden werden, da sie durch Schiller und Göthe verwöhnt sind. Doch der Vater wird Dir besser sagen was gebildete Leser verlangen. Er wird Dir bald schreiben. Er las die Briefe gründlich durch, kann aber keinen Verleger dazu suchen da er bei Buchhändlern für fremde Werke kein Glück hat. Er meint, Henne wäre gewis ein sehr würdiger Mensch, aber er besäße viel Einbildung.

Der junge Louis: Dobeneck sollte sein Examen machen und arbeitete bereitete ein ½ Jahr lang mit ungeheurer Anstrengung sich darauf vor. Während des Examens verfiel er in eine solche Muthlosigkeit daß er krank, und – geistesschwach wurde. Am 2ten Pfingsttag war er so krank daß man in der Kirche für ihn betete.

|6 Eine Hirnentzündung oder ein Nervenschlag war zu fürchten. Acht Tage schwebte die arme Mutter in Todesangst. Endlich war sein Leben garantirt – aber Blödsinn zeigte sich aus allen den wenigen Äußerungen die er von sich gab. Doch, dem Ewigen sei es gedankt sein Geist scheint wieder helle zu werden aber wie ein mattes Kind schreitet seine Genesung langsam von Stufe zu Stufe vor. Man hofft er wird zur ersten Kraft zurückehren – allein mit in seiner carrière wird er schwerlich bleiben können – da jede Erinnerung an das Examen ihn mit Schauder erfüllt. Und wie viele Kentnisse besaß nicht der junge Mensch – wie übertraf er nicht die Meisten an Geschicklichkeit in seinen Arbeiten! Siehe da die Folge, übertriebener geistiger Anstrengung! Aber die Begebenheit theile niemanden mit.

Lebe wohl theurer geliebter Max! Gott erhalte Dich! Seegen und Freude Dir von Deiner Mutter.

Caroline.

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Max Richter. Bayreuth, 1. Juni 1821, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0088


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl., 1 Bl. 8°, 6 S.


Korrespondenz

B: Von Max Richter. Heidelberg, vor dem 20. Mai 1821 (4. Abt., Bd. VIII, Nr.106)
B: Von Max Richter an Caroline Richter. Heidelberg, zwischen 11. und 20. Mai 1821