Von Marie Ulrike Wilhelmine Levezow an Caroline Richter. Berlin, 18. Oktober 1811, Freitag

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Berlin den 18ten October 1811.

Meine innig geliebte Caroline.

Als eine reuige Sünderinn erscheine ich vor Deinem Antlitz, so lange es verschoben zu haben auf Deinen herzlichen liebevollen Brief zu antworten; aber – womit soll ich mich entschuldigen? ich schreibe nicht mehr gern, Du weißt am besten wie unendlich viel ich in meiner Jugend geschrieben habe, damals konnte ich schreiben – jetzt kann ich nicht mehr – alles was ich über mich und das Leben zu sagen habe kommt mir jetzt unbedeutend vor – – Ein Augenblick wie der unsers Wiedersehns war, ist mehr werth als alle Briefe der Welt! Glaube mir, meine liebe Caroline, daß ich an dem Tage, und noch manchen folgenden Tag so unendlich glücklich war, wie ich es so leicht in meinem Leben nicht gewesen bin, aber warum war der Augenblick so kurz? es war eine Grausamkeit von Dir ihn nicht zu verlängern, nur einen Abend hätte ich traulich mit Dir allein zu verleben gewünscht, und wir hätten über alles |2 was Deinem und meinem Herzen nahe liegt, uns recht aus sprechen können – Unendlich oft gedenke ich mit inniger Wehmuth unserer beyden Geliebten Verklärten – oft freue ich mich daß ich Ernestine noch zweymal wiedersahe seit ihrer Verheyrathung, es waren recht glückliche Augenblicke – Aber mit Betrübniß denke ich an Nannetten zurück, ich, die sie so herzlich liebte, habe sie in der letzten Zeit ihres Lebens so wenig gesehen – sie hatte damals zwey kleine Kinder die sie verhinderten weite Wege zu machen, und wir wohnten ziemlich weit auseinander – und meine noch viel kleinere Ernestine war so kränklich , daß ich immer am Hause gekettet war – wir sahen uns gewöhnlich nur des Freytags und das ist doch viel zu selten – jetzt da ihre Kinder groß sind, meine Kleine ganz Gesund ist, und wir uns recht oft sehen könnten ist sie nicht mehr! [...] – Ach warum trennt der Himmel, alles was sich liebt! –

Genz hat jetzt seyd den ersten dieses Monats seine Kinder wieder zu sich genommen, und hat nun wieder eine eigne Wirthschaft – er hat eine Wittwe, die eine Tochter von 10 Jahren hat, zu sich genommen – diesie besorgt ihm die Wirthschaft besorgt – Sie heißt Biester, ihr Mann war der Freund meines Mannes, sie kannten sich von Stettin wo mein Mann her ist, sie ist in Genzens Alter, aber |3 noch eine sehr hübsche Frau, ist sehr Ordentlich in Ihrer Wirthschaft und äußerst nett in ihrem Aeußern, übrigens aber ohne alle feinere Bildung –

Du kannst leicht denken, daß man, hier wo man so geneigt ist über alles zu reden, ihn nun in der ganzen Stadt mit dieser Frau verheyrathet, ich für meinen glaube nicht, daß sie ihm Nannetten ersetzen könnte und glaube auch überhaupt nicht, daß er den Gedanken hat jemals wieder zu heyrathen – der Himmel gebe, daß er einmal wieder mit seiner Lage zufrieden werde, seid Nannettens Tode ist er immer umhergeirrt wie ein Wanderer der keine Ruhestätte finden kann! – Unsere gute Mutter verursacht uns jetzt manche bange Besorgniß, von ihrem Auge hast Du schon gehört, wie mir Minna sagt, aber nun ist sie auch noch körperlich krank die Füße schwellen ihr sehr, und der Arzt sagt selbst die Füße beunruhigten ihn weit mehr als die Augen – Sie ist auch jetzt sehr still und gar nicht mehr wie sonst – Du hast sie noch so ganz unverändert wiedergesehn! Alles Alles ist vergänglich! Dies sehe ich alle Tage mit schrecken an mich selbst –

Von meiner guten kleinen Ernestine soll ich Dir recht viel sagen? glaubst Du das sie anders ist als alle Kinder, eben so, ein kleines wildes spring ins Feld – sie ist nur blöde und scheint so ernst, aber sie ist recht lebhaft und es fehlt ihr nicht an Verstand sie ist meine einzige kleine Gesellschaft, und wir verleben manchen Abend ganz allein, denn Du wirst wahrscheinlich aus Erfahrung wißen wie es mit den Gelehrten Männern ist – sie leben mehr in der Studierstube als in der Frau ihrer Gesellschaft – Ihren Vater liebt sie unaussprechlich, aber er erwiedert es ihr auch von ganzen Herzen –

Für heute muß ich enden, Grüße Richtern herzlich, küße Deine Kinder von mir und liebe immer Deine

M. Levezow.

|4 Mein Mann empfiehlt sich Dir unbekannterweise, recht herzlich hätte ich gewünscht daß Du ihn hättest kennen lernen – ob er dir würde gefallen haben? er hat viel Freunde und gefällt glaube ich ziemlich allgemein – Minnan ist er zu streng und zu wenig Ideal und schwärmerisch – so denke ich mir ihr Urtheil über ihm [...] er ist sehr reel und sehr bieder! – – –

Zitierhinweis

Von Marie Ulrike Wilhelmine Levezow an Caroline Richter. Berlin, 18. Oktober 1811, Freitag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0098


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 3¼ S. In der Mitte von S. 4, um 180° gedreht, Adr.: An Madame Richter | in | Baireuth | durch Güte.