Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Coburg, 13. September 1803, Dienstag

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Coburg den 13ten September

O, mein geliebter Vater, warum demütigen Sie mich so sehr durch Ihre Güte! In diesem Augenblik empfange ich Ihren theuren Brief , und kann nicht zögern ihn zu beantworten. Gott, könnte ich doch an Ihrer Brust weinen, und stumm an ihr ruhen! Wäre ich in Ihrer Nähe, ich würde so gut seyn als Sie mich glauben – Ihr Anschauen würde mir Kraft geben in allen meinen Verhältnisen Ihrer würdig zu erscheinen, aber ich fühle es nur zu sehr wie schlaff und matt meine Handlungen sind an deren scheinbarer Güte, das Glük mehr Theil hat als meine eigne Kraft. Ich kann nicht schlecht werden, aber ich bin nicht so gut als ich es seyn könnte. Des besten Menschen gutes Weib zu seyn, ist kein Verdienst. – Für sein Kind, alles zu thun, ist nichts als Genus, u zwar der höchste, u beglükendste. Gegen die kleine einem umgebende Welt, nicht fehlen wenn sie uns achtet, und wir unabhängig von bürgerlichen Collisionen in ihr leben – ist so unbegreiflich leicht, daß ein Miston im gesellschaftlichen Umgange nicht möglich ist, wenn auch die Harmonie fehlt. In dieser Hinsicht bin ich noch dazu sehr zu tadeln, daß ich die große Freiheit die mir meine Lage erlaubt, nicht freiwillig zu einem Zwang einschränke. Daß ich nicht auch die Menschen aufsuche, die mir gleichgültig sind, daß ich überhaupt nicht suche, sondern nur nachgebe, wo man man mich will – und will man mich nicht, nichts entbehre. Wie oft denke ich an Sie, an Ihre heilige Ansicht der geselligen Pflichten, und an die durch alle nahe u entfernte Punkte, durchgehende |2 Consequenz im Handeln.

Ihrem Brief mit Geld hatte ich gedankt und am 24 ten Aug. beantwortet (Ich halte ihn jezt in der Hand, um nach dem datum zu sehen) aber ich schike ihn Ihnen nicht mit, weil er sich zu sehr auf facta bezieht – die ich doch alle noch kurz nennen kann. Ohne ihn zu endigen legte ich ihn einige Tage auf die Seite, als ein Besuch unserer Baireuther Freunde Emanuel , Otto , u Thieriot aus Leipzig die zwar im Wirtshause wohnten aber doch täglich Morgens und Abends unsere Gäste waren; mich so sehr beschäftigte, daß ich die wenige Minuten die mir frei blieben, nothwendig zum Ausruhen brauhte. Ich bin nicht mehr so stark als sonst, u mein Zustand macht mir jede Bewegung schwer. Seitdem sind wir, in ein fortgeseztes Bewirten hinein gerathen – die Frau von Kalb mit ihrer Tochter war auf einige Zeit hier, und ist erst gestern abgereist, Thieriot ist noch hier, u lebt wie ein Bruder mit uns. Ein Herr von Wangenheim, hiesiger Regierungspräsident, einer der liebenswürdigsten u taletvolsten jungen Männer, den ich kenne, der meinen Mann über alles liebt, war auch oft bei unseren Abenden – so daß ich in eine Zerstreutheit der Geschäfte, nicht des Gemüthes hineingerathen bin, die ich bald los zu werden hoffe. Dis ist der Grund meines Schweigens, während deßen die Vorstellung daß Sie mich für undankbar halten könnten, mich oft genug gequält hat. Von einem an uns gemeinschaftlich gerichteten Brief, weis ich aber nichts, und die |3 eine Stelle Ihres Briefes, ist mir deswegen undeutlich. Aber ich errathe, einen bedeutenden politischen Auftrag auf das Wohl des Staats sich beziehenden – und wenn der Seegen des Volks nicht allein auf Sie ruht sondern auch der für Ihre Kinder von der Vorsicht dadurch dargelegt wird, daß wir wieder Eine Familie werden sollen, o dann können wir ihr nicht danken. Diese Glückseeligkeit wäre zu gros. Jemehr Erfahrungen man an den Menschen macht – jemehr fühlt man die Heiligkeit, das Allein Befriedigende – das einzig Vertrauende – des Familienlebens, und dieser Liebe. Recht oft will ich Gott darum bitten, daß er diesem aus ihrer Seele entsprungenen Gedanken Wahrheit gebe, d h. Wirklichkeit.

Womit ich die Vorliebe, Ihrer so allgemein geliebten Frau erworben habe, begreife ich nicht. Als eine unverdiente Gabe, kann ich sie nicht annehmen, aber wohl recht gerührt dankbar dafür seyn, u mich innig sehnen, Sie zu kennen. Recht oft habe ich Gelegenheit Ihr seltnes Glück zu segnen, weil ich so oft Ihrer Henriette Lob höre. Ein mir unbekanter Berliner – Herr v. Bandow hat Sie kürzlich der Fr. v. Kalb geschildert.

Ihre Nachrichten von der Grollm u Sch Heirath machen mir unendliche Freude. Besonders der Grollman , sagen Sie ihr das. Ich hoffe Br. ist moralisch genug diese Moralische zu verdienen – diese sehr edle seltne Seele.

Ich hasse Gerlachs, was haben sie? – ach ich möchte Sie bitten recht stolz gegen sie zu seyn.

|4 Die gute Siegfried, ich werde ihr schreiben – wohnt die Tante Merzdorf in P . so freut es mich da sie endlich eine Wohnungort nach ihrem Geschmack gefunden.

Dank Dank Ihnen geliebter Vater für Ihre umständlichen Nachrichten – ach jede Zeit die Sie mir opfern wuchert recht für mich – weil wir ja in der frohesten seeligsten am liebsten so am längsten leben. Meiner Emma Rosengesicht die eben vom Schlafe aufwacht, scheint darüber froher zu lächeln. Ihnen darf ich es dreist sagen daß dis Kind eine Reihe von Freuden verspricht wie wenige Kinder. Jeden Tag nimt sie an geistiger Klarheit zu. In wenigen ist sie ein Jahr – u läuft bald. Ihre Augn sind wie Perlen – ihr ganzes Gesicht ist Auge u Ohr. Größere Aufmerksamkeit läßt sich nicht denken – u lauter Freude u Leben. Warlich sie würde Sie entzüken!

Ich schließe weil in 5 Minuten die Post geht – aber mein Brief soll fort. Vergeben Sie die Eil. Möchte er fliegn, möchte er mich Ihnen nahe vor die Seele un an Ihr Herz führen, u ich bald wieder hören, daß Sie mich noch lieben.

Ihre
Ihnen ewig dankbare
Tochter Caroline.

Mein Mann grüßt Sie u Ihre Henriette mit unendlicher Liebe.

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Coburg, 13. September 1803, Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0106


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S. Auf S. 1 Datum vfrH 1803; Unterstreichungen vfrH mit blauem Stift.