Von Ernst Förster an Emma Richter. München, zwischen dem 28. Januar und dem 12. April 1826 (fünfter Brief)

Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1

Dem Mangel kann vielleicht abgeholfen werden, wie Figur zeigt. Aber es ist Ihnen am Ende doch noch mehr von mir im Gedächtniß geblieben, als mir selber.

Und da Sie mich fragen, aufs Gewissen fragen: „Sagen Sie mir, sind Sie eitel?“ indem Sie hinzufügen, daß ich die Frage am besten verneine, wenn ich sie vergebe, so haben Sie mir die Antwort leicht gemacht und doch muß ich weit ausholen.

Liebe Freundin! Sie führen mich mit dieser „Gewissensfrage“ zurück in mein 15. und 16. Lebensjahr, auf den ersten Kampfplatz der willkürlichen und unwillkürlichen Gedanken. Der Siegespreis macht seinen Träger zum Charakter; er gewinnt ihn, wenn er den nicht gerufenen, der Seele nicht eingeborenen, unermüdlich grob und listig, leise wie laut aufdringlichen Gedanken nicht zum Worte, noch weniger zur That kommen läßt. Der Kampf ist hart, der Sieg ist schwer, die Entscheidung schwierig. Denn auch alle großen und schönen Schöpfungen der Phantasie entfließen dem nicht gewollten Willen. Frühzeitig muß deshalb der Mensch den unberufen sich aufdrängenden Lebensgefährten prüfen, ob er aus reiner oder unreiner Quelle schöpft, Nichtiges oder Tüchtiges, Sein oder Schein anstrebt als Ziel seiner Gedanken und Handlungen.

Der Glaube an die Möglichkeit des Sieges ist die Vorbedingung des Kampfes; Mund und Hände zu schließen die sicherste Kriegsrüstung; Wachsamkeit und Ausdauer Gewähr des Siegs. Das nicht ausgesprochene Wort kann so wenig auf Eitelkeit anklagen, als die nicht gethane That auf Egoismus.

Ich kenne den Feind und messe mich mit ihm; vermesse mich aber nicht, den Siegespreis zu beanspruchen.

Zitierhinweis

Von Ernst Förster an Emma Richter. München, zwischen dem 28. Januar und dem 12. April 1826 (fünfter Brief). In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0134


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

D: Ernst Förster, Aus der Jugendzeit, Berlin und Stuttgart 1887, S. 352-353.


Korrespondenz

B: Von Emma Richter an Ernst Förster an. Bayreuth, zwischen dem 28. Januar und dem 12. April 1826

Fünfter überlieferter Brief Ernst Försters an Emma Richter nach ihrem Kennenlernen in Bayreuth.