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Meinungen den 25ten Märtz
1810

Geliebte Caroline,

Schon mehremale versuchte ich an Dich zu schreiben, allein mein Unwohlseyn verrieth sich gar zu sehr durch einen mir ungewöhnlichen Trübsinn der lange Zeit unüberwindlich blieb. Deiner Theilnahme bewußt, versagte ich mir daher Dir zu schreiben und tröstete mich mit dem Vorsatz, Dir, die erste heitere Stimmung zu weihen. Dein liebevoller Brief an unsere Henriette erfreuete uns alle auf die wohlthuendste Weise. – Nim unseren innigen Dank dafür.

In Würzburg erhielt ich durch Lucrece Lockner ausführliche Nachrichten von Dir und den Deinen Mein ganzes Herz freuete sich der Genesung unsers lieben Richters, und die Erzählungen der lieblichen Lucrece, gaben dem schönen Familiengemälde, was mein Gemüth von Euch Lieben bewahrt, lebendigere Farben. Gott sey Dank! daß Richter wieder wohl ist, ach, ich konnte Deinen Schmerz wohl nachfühlen und theile jezt so ganz Deine Freude. Recht oft wünsche ich mich zu Dir, und schon lange sinne ich über die Möglichkeit einer |2 Fußreise nach Bayreuth; bis jezt ermüdet mich zwar noch der kleinste Spaziergang, überhaupt die geringste Anstrengung; doch geht es im Ganzen täglich besser und ich hoffe viel vom nächsten Sommer. Meine Krankheit war ein Erzeugnis der Feuchtigkeit des vorigen Sommers, der ich mich wiederhohlt und zuweilen höchst unvorsichtig aussetzte.

Viele gute Menschen pflegten meiner, Pestalozzi und seine Frau sorgten mit Elterntreue für mich und gestatten mir noch jezt Kindesrechte. O, liebe Caroline könnte ich doch Worte finden Dir zu beschreiben wie gut Pestalozzi ist. Die Mutter P. ist eine siebzigjährige schöne Matrone aus deren Augen ein Himmel voll Milde leuchtet. O, könnte ich sie zu Dir führen, wie würdest Du, und Richter, und die Kinder sie lieben. – – –

Ich verdanke jezt unserm lieben Richter einen ganz eignen herrlichen Genuß: ich lese nehmlich den Titan bey unserm Freund Wagner. Wenn ich nun ganz entzückt bin von dem Reichthum der schönen Dichtung, und mein Gefühl in Mittheilung überströmen möchte dann ist es mir unbeschreiblich wohlthuend in dem schon halb verklärten Angesicht des |3 Freundes, sein tief erregtes Schönheitsgefühl strahlen zu sehen. Daheim in meinem Stübchen lese ich Richters Dämmerungen; wohl verdienen sie den schönen Namen mit der That.

Gieb unserm lieben Wärwölfchen 1

einen recht herzlichen Kuß von seinem treuen Schäfchen, grüß Deine Engelchen, Deine Freunde und behalte mich nur halb so lieb wie ich Dich ewig Deine

treue Antonie

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1so nannt' ich mich ihr gewöhnlich aus hinlänglichen Gründen Seltsam kontrastiert die so prosaische Handschrift mit der poetischen Seele.[Johann Paul Friedrich (Pseud. Jean Paul) Richter]
Zitierhinweis

Von Antonie von Mützschefahl an Caroline Richter. Meiningen, 25. März 1810, Sonntag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0146


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 2⅔ S. Auf S. 4 Adr.: Der | Frau Legationsräthin Richter | Wohlgebohren | in | Bayreuth.