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Meiningen den 14ten Jul 803

Geliebter theurer Vater,

Mehr noch als Ihre Verzögerungen im Schreiben an mich, ängstigen mich die meinigen, weil Ihr Glaube an Ihre Kinder leichter wankt, als der unsrige an Sie, so wenig wir es verdienen. Dismal muste der Schein sehr gegen mich seyn, weil Sie schon seit zwei Monaten Ihren Brief (er ist vom 19 ten Mai) in meine Hände glauben. Ein eignes Verhängnis hat ihn mir bis vor 5 Wochen vorenthalten, er war nach Coburg adreßirt, wo wir damals noch nicht waren, wir giengen in der Mitte Juni von Meiningen ab, und die hiesige Post hatte ihn weil man hier keine Richter kannte, nach Leipzig zurükgehen laßen. Ich empfing ihn daher erst auf einen Laufzettel der Post, und hatte Freude u Reue zugleich – denn ich hatte vor seinem Empfang wirklich geglaubt – Sie haben mich vergeßen. zu lang war die Pause – und ich war oft auf dem Punkt Sie wieder zu fragen. Auf der Stelle Ihnen zu antworten, drängte mich nun mein dankbares Herz, das Sie durch Ihre unwandelbar väterliche Liebe unendlich gerührt haben – aber Ihr Geburtstag stand vor mir, den ich nicht ohne eine kleine Erweckung an mich zu denken hingehen laßen konnte. – Ich war noch mit vielen Einrichtungen für unsre neue Lage zu sehr beschäftigt als daß ich etwas |2 andres für Sie unternehmen konnte, als eine so schlechte Börse –– nur ein Vater wie Sie kann so etwas annehmen und verzeihen, was blos der Buchstabe eines Gedankens u einer Empfindung ist. Und doch so sehr ich gewis bin, daß ein schöneres Zeichen Ihnen gleichgültig wäre, schäme ich mich des schlechten – aber mein Kind und unser neuer Aufenthalt, machten mir es unmöglich etwas beßeres für Sie zu arbeiten.

Jezt kann ich ohne Wehmuth den heiligsten Tag feiern, weil wir nichts für Sie wünschen können als Erhaltung Ihres Glüks u Ihres Lebens – wie froh werden Sie ihn in den Armen Ihrer Henriette zubringen, der es gelungen ist Ihnen das erste zu geben, und dadurch das zweite verlängern wird. Ich sehne mich der Edlen einmal selbst meinen Dank u meine Liebe auszusprechen. Sie muß vortreflich seyn, denn nur ein vollendetes Weib konnte Sie glüklich machen, und Sie mit den Menschen aussöhnen. Daß Sie Sich eine Wohnung in der Natur aufgeschlagen haben, freut mich unendlich, ich kenne die Gegend wohl, und denke mir Sie auf einer Bank sizend, wo ich Sie oft mit meiner Emma überraschen möchte! Ob dieser Traum wohl jemals erfült werden kann? – –

|3 Ihre Frage über Coburg kann ich nur zu Ihrer Zufriedenheit beantworten. Wir haben durch den Tausch unseres Aufenthalts nur gewonnen, und die Kosten und Mühe unseres Wegziehens sind dagegen nicht zu rechnen. Überhaupt läßt sich so etwas leichter ausführen als denken – die Schwierigkeiten sind so gros nicht, und mein Mann paßt sowohl zur mechanischen Thätigkeit wie zur genialischen. Er hat mir treu u unermüdet beym Ein u Auspacken geholfen. In sofern ist ihm schon jezt eine Vereinigung mit seinen Freunden, geworden, als wir uns nur um eine Tagreise weit, entfernt sind – wir haben sogar schon acht Tage in Baireuth zugebracht, von da wir erst vorgestern zurükgekommen sind. Das schöne Wetter, und der Gewinn an Gesundheit der daraus für unsere Emma erwächst, lokte uns hinaus. Ich fahre dann ohne Mädchen, und bin in so fern nirgend eine Last, und die Emma bringt nur Freude. Warum können meine liebsten Menschen diesen süßen Engel nicht an Ihr Herz drüken. Nur eine Stimme ist über sie, man möchte sie mir nehmen – ich habe mich sehr zu hüten, daß ich sie nicht selbst verderbe – aber ich gebe mir Mühe sie nach einem bestimten Plane meines Mannes zu behandeln, und noch habe ich keinen dummen Streich gemacht. An Ihrem Geburtstag wird sie 10 Monat, fängt schon an zu sprechen, |4 u steht an einem Stuhl allein. Diese frühe Entwiklung ist mir um so lieber, weil im November meine unausgesezte Beschäftigung mit ihr durch ein neues kleines Wesen wird unterbrochen werden, und ich sie vielleicht nicht den Armen eines Mädchens zu überlaßen brauche. In solchen Fällen entbehrt man recht sehr einer Schwester! Denn fremde, nicht auf gleichen Standpunkten stehende Menschen, haben schon aus einer geselligen Schwäche gegen ihre Freunde, nicht die Consequenz u Strenge die sie vielleicht für sich selbst haben, auch weil sie uns nicht so ganz kennen

Was meinen Mann betrift so hat er hier (in Coburg) einen Zirkel von 6 auserlesenen Männern, Geschäfts-Leute, die aber Wissenschaften treiben, wie er sie in einer kleinen Stadt gewis nirgend findet. Daran ist der Minister Kretschmann Schuld – den Sie aus seinen früheren Verhältnißen in Franken, und aus seiner jezigen Dienstgeschichte am hiesigen Hof kennen werden. Er hat seit kurzem viele Feunde hier angestellt, weil er nur geschulte Köpfe brauchen kann. Wir sind oft bei ihm, und es ist unendlicher Genus in dieser Gesellschaft von Männern zu seyn – etwas meinem Mann so lang entbehrtes, u mir nur von früherer Zeit bekantes. Vielleicht macht Kr. bald eine Reise nach Berlin um seinen Sohn in der École militaire zu bringen – wenn ihn seine Frau begleitet |5 wird sie die Ihrige besuchen. Er kennt Ihre Henriette, und deren Familie, Ihr Urtheil über ihn würde mich sehr intereßiren, sein menschlicher Werth den ich beßer beurtheilen kann, wie seinen politischen, scheint mir sehr gros – er ist ein so guter Vater, u Mann, und seine Grundsäze die er äußert über alle Verhältniße sind die eines vollendten Weltbürgers, sein Sinn für Kunst für alles intellektuelle ist unendlich gros u zart. Die Frau ist auf der Stufe [...] der berliner Geheimräthinnen, so wie die Beyme als sie noch jung u hübsch war – sie ist 35 Jahr, u Mutter von 12 Kindern die sie sehr gut erzieht. Sie hat wenig Umgang, u keine Freundinn, daher bin ich ihr, was mein Mann dem ihrigen ist, u das erschaft uns oft einen angenehmen Tag. Ich bringe meine Emma mit, die von der ältesten Tochter gehätschelt u getragen wird. Der Ton des Hauses ist noch bürgerlich u man wird durch nichts gedrükt.

Die Gegend um Coburg ist mir schöner und erhabner als die Meiningsche es fehlt ihr nichts als ein größerer Fluß, den man noch mehr entbehrt, wenn man zuvor den Main bei Baireuth gesehen hat. Sonst hat sie auch weit mehr Abwechslung von Höhen und Tiefen als die Baireuther die doch klaßisch schön seyn soll.

|6 Der hiesige Hof, macht den liebenswürdigsten Familienzirkel den man sich denken kann, wozu die Natürlichkeit der Herzogin den Ton angiebt. Unter allen Privatfrauen die ich kenne, könnte ich Ihnen keine angeben die ihr an Freimütigeit u Unbefangenheit gleich käme. Man fühlt sich gleich einheimisch bei ihr. Und ihre sehr artige Auszeichnung ist mir weit lieber, als die der Meininger Herz. weil sie [...] eine sehr verständige und gebildete Frau ist. Der Herzog den man oft todt sagt, lebt noch, ob er aber hergestelt werden kann, ist zweifelhaft wenn man seinen vom Waßer aufgetriebenen Körper sieht. Er ist ein guter, aber lange nicht so bedeutender Mann, wie der Meiningsche Herzog, deßen Freundschaft für meinen Mann, ihm seine Trennung sehr schmerzhaft machte.

Sie fragen mich, nach m Mannes neustes Werk. Er schreibt an einer komischen Biographie, die in der Ostermeße künftigen Jahres bei Cotta, unter dem Titel: Flegeljahre erscheinen wird. Ich dringe öfters in ihn, um ein ernsthaftes Product; doch ohne Rüksicht auf mich, die Sie dadurch für mein Mann gewinnen möchte, weil Sie seine |7 Dichtungen nicht lesen, arbeitet er zugleich längst an einer ästhetischen Critik; da dis aber eine Nebenarbeit ist, weiß ich nicht, wann sie herauskommen wird. Mein Mann hat überdis den Vortheil hier die gröste Lesebibliothek zu finden, die es vieleicht giebt, da er hingegen in M. sich alles Neue selbst verschreiben muste.

Ist Ihnen die neue Frau des Grafen Schlabberndorf nicht begegnet, man sag sehr viel Gutes von ihr, und daß sie unglüklich sei. Ihre Vorgängerin nimt sich in ihrer jezigen Lage so gut, u sie hat so vielem entsagen müßen, daß sie uns ganz mit sich ausgesöhnt hat. Ihre Amanda wird ein ganz ausgezeichnetes Wesen, u das ist doch der Mutter Werk.

Nun habe ich Ihnen viel erzählt, mein geliebter Vater, möchte ich bald etwas von Ihnen hören – aber ich darf es nicht fordern. Oft wünsche ich Ihnen bürgerliche Ruhe, u ich denke das Ziel Ihres Strebens wird Unabhängigkeit seyn. Gott erhalte Sie nur gesund – erhalten Sie mir Ihre Liebe, ohne die ich nicht glüklich seyn kann. Grüßen Sie achtungsvoll Ihre Henriette, u segnen Sie

Ihre


treuste Tochter
Caroline

Mein Mann feiert im Herzen Ihren Geburtstag mit mir u grüßt Sie herzlich.

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Coburg, 14. Juli 1803, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0154


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
2 Dbl. 8°, 7 S. Auf S. 1 Ort vfrH korrigiert: Coburg. Auf S. 8 von Carolines Hand: Meinem theuersten | Vater. Unterstreichungen vfrH mit blauem Stift.