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Meiningen, den 26.ten April
1815.

Vor 14 Tagen schrieb ich an Henriette Schukmann mein theurer Emanuel, und theilte ihr eine Idee mit, die Sie mein Freund, nun noch berichtigen sollen, in so fern sich solche ausführen läßt. Es braucht wohl keine Betheuerung, daß ich mich von ganzer Seele sehne, meine Bayreuther Freunde wiederzusehen, ich glaubte diesen Sommer mir diesen Genuß geben zu können. Jetzt höre ich jedoch von einem rußischen Armeecorps was sich bey in und um Bayreuth ziehen soll und welches leicht den ganzen Sommer dort stehen bleiben könnte. So wenig ich nun wohl persönlich mit Truppen irgend einer Gattung in Berührung kommen könnte, so fürchte ich die daraus entstehende Last wird auf die Stimmung und Verhältniße selbst der wenigen mir in Bayreuth Bekannten Freunde so einwirken daß leicht auch der Besuch einer alten Freundinn lästig würde. Wer mir in Bayreuth theuer ist wißen Sie Emanuel, außer Ihnen Richters und Schukmanns zieht mich niemand hin. |4 Aber Euch, Geliebten, wollte ich sehen, einige Wochen Euch genießen und Eure herrliche Gegend obendrein. Zu diesem Zweke, wollte ich Sie bitten, mir in Ihrer Nähe eine Stube und Alkoven auszumitteln, weil länger als einen Tag wenig Gasthäuser zu genießen sind und der Auffenthalt in letztern mir zu kostbar seyn würde.

Nun weiß ich in der That nicht, ob ich diesen mit Liebe genährten Plan werde ausführen können. Rathen Sie mir vor Allen daß ich wiße ob ich darauf rechnen kann, meine Freunde zu sehen. Ist Richter zu genießen? oder ist er noch seltner als da ich das letztemahl da war, für seine Bekannten in gemüthlicher Laune? werde ich Sie sehen und Henriette S.? Ich bringe wenn ich komme blos Pauline mit, Amanda müßte dann bis dahin von ihrem Vater zurükgekehrt sein. Als ich der Schukmann schrieb, knüpfte ich an meine Bayreuther Reise auch einen recht lieben Gedanken damals glaubte ich, auch meinen Sohn in Erlangen besuchen zu können, unterdeßen hat ihn der |3 König zum Dienst der gemeinsamen Sache, den Weltenstürmer zu bezwingen, gefordert und vor acht Tagen habe ich den Liebling meines Herzens zum zweyten mahl zu in den Krieg ziehen laßen.

Tief und innig ist mein Innerstes bewegt, nachdem schon einmahl ganz Europa aufgeboten war, den satanischen Freygeist zu besiegen er besiegt wurde , die unterhörteste Nachläßigkeit ihn frey ließ , aber nun alle Kämpfe, alle dargebrachte Opfer umsonst waren und die Blüthe und das Korn des deutschen Volkes von neuen gegen ein Heer loßgelaßner Tyger und Hyähnen ausziehen muß. Man könnte verzweifeln, tönte nicht aus derselben Quellen des Schmerzes auch die laute Stimme der Ueberzeugung, es hat so kommen müßen, noch war die Welt keines dauerhaften Friedens werth, denn Hader Neid und Vergrößerungssucht trennte die Gemüther. Nicht so waren freylich die Völker, die die Siege errungen hatten, nur die Machthaber, und es soll wieder Blut fließen, Gott, Emanuel, sagen Sie mir |4 aus ihrer lautern Brust, ein Wort das trösted. Mein Leopold ist ein treflicher Jüngling geworden die Erfahrungen der Jahre: 13 u. 14 haben ihn gereift und die mancherley Schlaken von ihn geworfen, die früher, seine zweklose Erziehung und die Nähe seines Vaters ihn hatte aufnehmen laßen. Bescheiden und kräftig ist sein Inres und Äußres, mein ganzes Herz hängt an ihn, und nun ist er wieder nahmenlosen Gefahren ausgesetzt! – Gott! —

Schwendler grüßt Sie mit Liebe, meine Kleinen sind wohl und machen mir Freude. Muß ich der Freude entsagen, Sie zu sehen und zu sprechen, nun dann muß ich Ihnen freylich vieles umständlicher schreiben, was ich jetzt der mündlichen Unterhaltung aufspahre. In der politischen und phisischen Natur ist alles in eigner Gährung, wir haben unangenehme Kälte, alle Blüthen sind erfroren und das herrlichste in unsern Thal, die Nachtigallen sind stum, bis heute hat man kaum Eine gehört.

Möge Wärme, Friede und Ruhe uns bald wieder erheitern, in der wandelbaren Zeit, Emanuel ewig,

Ihre treue Freundin H. S.

Wenn es Ihre Geschäfte erlauben, so rechne ich in 14 Tagen auf eine Antwort .

Zitierhinweis

Von Henriette Schwendler an Emanuel Osmund. Meiningen, 26. April 1815, Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0162


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Textgrundlage

H: Slg. Apelt
1 Dbl., 4 S.


Korrespondenz

Präsentat: Am 15t Mai | einladend beantwortet. (Antwort nicht überliefert.)