Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Meiningen, 23. Januar 1802, Sonnabend

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Meiningen den 23ten Januar 1802

Mein Vater, mein armer geliebter Vater was kann ich sagen, das nicht die fürchterliche Wunde von neuem aufreißt. Ach ich bin so unglüklich daß ich nicht bei Ihnen seyn kann, ich möchte zu Fuß zu Ihnen laufen, oder mich allein auf die Post sezen, wenn mein Mann es litte. Undenkbar, unmöglich scheint mir das Ganze ich habe keinen Begriff wie Sie leben. Es ist heute Sontag, der Tag wo wir alle um Sie waren, voll Verzweiflung füllt es mich was Sie jezt machen. Doch ich darf durch meinen Schmerz nicht Ihr Herz erschüttern, ich mus ruhig seyn, um Ihrer Ruhe zu schonen – ach wenn ich Sie zerstreuen könnte, wenn ich durch meine Liebe das Scharfe Ihres Schmerzes besänftigen könnte, wie gern wollte ich mich ein Jahr lang von meinem Mann entfernen!

Als ich aus meines Mannes Händen schon gestern Ihren Brief empfing, für deßen schonende Übergabe, meine Dankbarkeit nicht hinreicht, theurer geliebter Vater, wußte ich schon durch Minna seit drei Tagen den fürchterlichen Vorfall. Um so mehr entsezte es mich als Ihr lezter Brief mir von Beßerung sprach. Ich habe eigentlich während der ganzen Krankheit den Todesgedanken von mir gestoßen, weil ich ihn nicht denken wollte – Es ist auch so natürlich, daß man diesen Wechsel für unmöglich hält, wenn man einen Menschen in der Blüthe der Jugend und des Scheins von Gesundheit verlaßen hat. |2 Doch ich gestehe in der Neujahrszeit, und besonders am Neujahrs- diesen für uns unglükbringenden Tag, war ich bange und zitterte etwas zu erfahren, aber nachdem Sie mir geschrieben wurde ich ruhig, und beschäftigte mich besonders einen Tag vor dem Empfange der Nachricht mit der Vorstellung unseres Leipziger Zusammentreffens, das der Himmel doch nicht so grausam zerreißen könne dacht' ich.

Minna schrieb es mir ohne alle Vorbereitung ich glaubte zu vergehen, und wünschte nun allen den Tod. Für mich hat dieser Tod noch etwas härteres, wie für alle Andern denn ich habe am längsten und mehrsten mit der guten Auguste gelebt, und jedes harte Wort das ich ihr gesagt habe, brennt nun fürchterlich in meiner Seele, wir haben uns zwar unendlich geliebt sie mich gewis eben so sehr, und sie wuste auch daß ich nur ihr Gutes wollte, aber süß mus es seyn jemand zu verlieren den man nie kränkte gegen die Pein einen Beleidigten zu verlieren. Das habe ich nun zweimal erfahren und die lezte Wunde frischt die erste wieder in aller Stärke auf. Ich darf es nicht von Ihnen fodern, im Gegentheil, wir müßen sie davon abhalten das Vergangne in Sich hervorzurufen, aber laßen Sie mir durch einen dritten, könnte es nicht die Mlle Frantz seyn, einen ausführlichen Bericht |3 von Gustchens Krankheit machen. Laßen Sie mich nicht so unwißend über eine meinem Herzen so nahe liegende Sache. Daß ich das liebe Geschöpf nicht pflegen konnte! ihr nicht einige Erleichterungen geben konnte – doch ich will nicht klagen über mich! Sie sind es auf Den allein das herbste schreklichste Loos gefallen ist. Was werden Sie thun, mein Vater, wollen Sie nicht zuerst eine Reise unternehmen, um Sich von den trüben Umgebungen zu entfernen? Denn wenn auch Ihre Freunde wie ich gewis glaube, alles thun, um Sie zu zerstreuen, bleiben Ihnen doch so viele einsame Stunden, und wäre es nur die Mittags und Abendzeit, die Sie mit Ihren Kindern verlebten. Sie können es nicht faßen wie diese Einsamkeit mich schaudern macht, und wie ich das Schiksal anklage, das uns zwingt undankbar gegen den treusten und besten Vater zu seyn, gerade da wo wir Ihm einigermaaßen für die Aufopferungen Seines ganzen Lebens entschädigen könnten. Was ists daß ich Ihnen schreibe, was ists das ich mich entfernt von Ihnen härme, Ihr an Kindespflege gewöhntes Herz genießt doch nicht die Früchte der Liebe, wenn diese gleich treu und unvergänglich ist.

Wäre es möglich, daß Sie Ihren Posten aufgeben könnten, so müsten Sie Berlin verlaßen, Sich in den sächsischen oder den hiesigen Gegenden |4 ankaufen, und uns näher, nur Sich Selbst leben. Die Unstätigkeit meines Mannes erlaubt mir nicht den Wunsch Sich den Ort unseres Aufenthalts zu wählen. Und doch auf jeden Fall müßen Sie eine nähere Verbindung eingehen, dieser Schritt wird glaub ich zur Pflicht für Sie, wenn Sie Sich moralisch erhalten wollen. o Gott wenn Du doch ein Mittel hättest meinem Vater Ruhe und Vergeßenheit zu geben!

Jezt hoffe ich auch daß Sie, zu welcher Zeit Sie Ihre Reise antreten wollen, weiter zu uns hinaufgehen, und eine Zeitlang, als Hausvater bei uns leben – der Frühling ist hier so schön, und wenn uns der Herzog noch wie er es gesagt Aufenthalt in Liebenstein anbietet, werde ich mich unendlich darauf freuen, wenn Sie mit uns dort leben. Unmöglich kann man Ihnen wenigstens für einen Sommer, Freiheit in Ihrer Lage abschlagen.

Mit solchen Planen, vielleicht Luftschlößern, die Sie zu Hofnungen erheben können tröste ich mich, meine Einbildung mus irgend etwas haben woran sie sich hält, bis dahin ist jeder Genus für mich verloren, ich würde mich verachten wenn ich in der Zeit wo mein Vater leidet Theilnehmerinn einer Freude seyn könnte. Jemehr Menschen aber auch aus diesem Leben, in das andere hinüber gehen, je gleichgültiger wird einem die Erde, und man hofft nur auf eine beßere Welt.

|5 Noch eine Bitte, mein Vater, die arme unglükliche Mlle Siegfried hat alles verloren, wie sehr diese mich dauert kann ich Ihnen nicht sagen – Nehmen Sie Sich ihrer so viel als es möglich ist an, unterstüzen Sie sie, um ihr die lezten Tage ihres Lebens erträglicher zu machen. Vergeben Sie meine Bitte wenn Sie ihr zuvorgekommen sind, und glauben Sie auf jeden Fall, daß ich nie die Ehrfurcht für Ihre Entschlüße aus den Augen sezen kann, die mein eignes Herz mich lehrt. Ich werde ihr schreiben. geben Sie ihr den Brief . Wie aus einem Traume erwach ich immer die schrecklichste Wahrheit wiederzufinden, immer glaube ich es nicht, und erchreke von neuem – Minna ist ganz wieder versöhnt, und ich lege den Brief für Sie bei, auch den von Tinchen , welchen ich das leztemal vergas.

Ich werde ihr bald antworten, und nun sollen Sie nie wieder von einem Misverständniße unter uns hören. Ihre Kinder sind ihr ein beineidenswerthes Glück, sollte das Schiksal mir die Würde der Mutter versagen so würde ich ein sehr leeres freudenloses Alter haben.

Die Nachricht daß Sie mein theurer Vater, gesund sind, ist das Einzige trostvolle für mein Herz. Werden Sie es bleiben? O dafür, für Ihre Erhaltung bitte ich Gott als das reichste Geschenk seiner Güte, und nochmals danke ich Ihnen für die Vorsicht |6 und Schonung die Sie meinem Mann anempfohlen bei der Mitteilung unseres Unglüks, als den rührendsten Beweis Ihrer väterlichen Liebe. Dis hat mich unaussprechlich gerührt! Ein Unglüklicher kann aber auch keiner zarteren Hand übergeben seyn, als der meines Mannes. Er hat mich im ersten Schmerz so treu unterstüzt, daß ich jezt nur klage, daß nicht Sie solch einen Freund um Sich haben! Seine hohe Ansicht der menschlichen Bestimmung macht einem die Leiden des Lebens so leicht und erträglich. Wenn ich Gott nur hinreichend für diesen Führer danken könnte, den nur ein Engel verdienen kann.

Wann werde ich nun wieder Nachricht von Ihnen bekommen, ach die lange bange Erwartungszeit! Laßen Sie aber Ihre Briefe nicht über Duderstadt, sondern mit der reitenden Post über Leipzig gehen, so bekomme ich sie in 5 bis 6 Tagen, anstatt sie auf der anderen 12 bis 14 Tage unterwegs bleiben.

Jezt sind mir alle die Menschen noch theurer die unsre gute Auguste so sehr geliebt haben, Grollmanns die Schmuckers und Baßewitz , meine Seele dankt ihnen innig. – – Grüßen Sie sie.

Und Sie – unaussprechlich geliebter Vater – lieben Sie Ihre Caroline, wenn ich es verdiente, lieben Sie mich stärker, als sonst – ach ich kann ja nicht an Ihr Herz zu Ihren Füßen fallen – ich kann Ihnen ja keinen Trost, und für Ihren Verlust keinen Ersaz geben – aber Gott weis es, daß ich meine Seele aushauchen wollte, um Sie glüklich zu machen. Leben sie wohl geliebter Vater –

Ihre treuste Tochter Caroline

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Meiningen, 23. Januar 1802, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0164


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
2 Bl., 1 Dbl. 8°, 6 S. und 2 Z. Fast das ganze zweite Blatt des Doppelblatts wurde abgeschnitten, auf dem verbliebenen Streifen von Carolines Hand: Aus Versehen schneide ich jenes Blatt auf & dieses von einander, verzeihen Sie das!


Korrespondenz

A: Von Johann Siegfried Wilhelm Mayer an Minna Spazier, Caroline Richter und Ernestine Mahlmann. Berlin, 13. Februar 1802, Sonnabend

Der Brief wird gemeinsam geschickt mir Jean Pauls Brief an Johann Siegfried Wilhelm Mayer vom 26. Januar 1802.