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Leipzig am 7ten Jenner 809

Mein theurer Falk!

Ich habe Ihnen sehr lange nicht geschrieben – ja selbst dafür habe ich Ihnen noch nicht gedankt daß Sie mir die Bekanntschaft Ihres biederen Freundes des Hofrath Morgenstern gonnten, der recht wie ein mildes Himmelslicht vor meinen Augen aufgieng, und die bewegte Seele zur Ruhe [...] ermahnte. – Ich glaubte aber Ihnen am besten zu danken, wenn ich that was Sie mir durch ihn verkünden ließen, : auf Ihr Misfallen an meinem Vorhaben zu achten. – Im Stillen bewahrte ich die eindringenden Worte, ließ alle weitren Unterhandlungen einschlummern, suchte mir zu helfen, indem ich mich ganz in's Kleine zog von zwei Dienstmädchen die Eine abschaffte, eine kleine Wohnung auf dem Brühl N. 463 bezog wo Sie mich von nun an suchen müßen, wenn Sie nach Leipzig kommen – u.s.w.

Aber wohl unselig, muß ich Jenes von Fremden mir voreilig aufgedrungne, so wie von meinem in Gram befangnem Gemüthe, seinem tiefsten Innern zu entrinnen, mit Hastigkeit aufgefaßte Vorhaben nennen! |2 Jetzt da mich Ihr Nein!!!, und eigne Uberlegung auf halbem Wege nach und nach wieder davon zurückgebracht haben, straft sich der bloße Gedanke, ein Unglück! –

Vor nicht gar langer Zeit, erhalte ich einen Brief von meinen Verleger, Wilmans , als Antwort auf ein Schreiben, worin ich ihm zu Michaelis, des vorigen Jahres , den damaligen Kampf mit allerhand Planen und Ideen in mir schildre, und ihn bitte, mir einen Ausschlag zu geben, das alle weiteren Anstalten zur Erleichtrung meiner Existenz überflüßig machte, sich zu einer Zulage meines Honorars zu verstehen. –

Nachdem er lange, fast zwei Monate mit der Antwort gezogert, kömmt endlich ein Brief , der statt der gehofften Erfüllung meines Wunsches – nur unfreundliche Worte, und die Aufkündigung unsres ganzen Geschäftsverhältnißes enthält. Ich gerathe darüber in die innigste Betrübniß. Nehme mich aber zusammen, antworte ihm ruhig, und gehalten , versichre ihm, das da das Schauspielerleben, ihm unserm Geschäft so ganz entgegen zu seyn schien – daß ich längst mit Mis |3 fallen an dieses Vorhaben dächte, was ich doch immer nur mit großem Wiederstreben, nur von innerer Unruhe getrieben, ergriffen haben würde, und schließe den Brief, der mich selber wieder erheitert in der stillen Hofnung, daß alle Misverständniße durch ihn gelöst seyn würden.

Da erhalte ich in diesem Augenblick, beiliegenden Brief , worin er mir schreibt, meine Vorstellungen kommen zu spät, J. St. Schütze in Weimar habe bereits die Redaktion auf 6 Jahr kontraktmäßig übernommen . ––

Können Sie sich wohl denken, mein lieber Falk, wie mir bey dieser Erklärung zu Muthe ward? – Ich suchte meiner Empfindung zu gebieten um meinen umstehenden Kinder, die auf die veränderten Gesichtszüge ihrer Mutter lauschten – nichts zu verrathen – aber Ihnen darf ich es sagen, daß diese Nachricht mich auf's tiefste angreift. –

Ich mache Schütz keine Vorwürfe – ich überlaße es Ihnen, mein alter theilnehmender Freund – ob Sie mit ihm über die Sache reden wollen – ob er meinen und Wilmans Brief lesen darf – ob hier noch etwas wieder gut zu machen sey? Was aber, sagen Sie zu diesem Allem? – |4 Wie kömmt es Ihnen vor, daß das unter meinen Verhältnißen so natürliche, von mir so dumpf aufgefaßte Streben, nach neuem verbeßerten Zustande – statt mich in's Helle zu führen mir auch noch die letzte sichre Haltung entzieht? – –

Ich durfte mich vor zwei Jahren noch einer jährlichen Einnahme von 1400. rth erfreuen. – Der Krieg hat mich auf 8 - 900 rth reduziert. Was gehört nicht dazu, vier Kinder zu nähren, zu unterrichten, zu kleiden? – Allein Sie mein redlicher Falk wißen am besten – daß nicht nur der Zweck zu gewinnen sondern ein weit ungeheurer Verlust als Geld – der Verlust des Glaubens an einen Menschen , meinen Fuß von Leipzig wegzutreiben drohte – und den Gedanken meines Vaters, dem des Schauspielerlebens , bey mir Eingang verschaffte.

Ich finde zarten Trost darin, Ihnen, deßen Herz Großes und Kleines, was das Menschenleben erfüllt mit warmer Theilnahme ergreift, meinen Kummer mitzutheilen. Ich überlaße es Ihnen, ob Ihnen eine Möglichkeit vorschwebt, mein kleines Glück noch einmal zu retten. Sprechen Sie mit Schütz. Theilen Sie ihm meinen und Wilmans Brief mit. – –

Vor allen aber zeige mir bald ein Brief, von Ihnen, daß ich bey allem was unter mir einbricht auf ein Festes rechnen darf – auf Ihre treue Gesinnung.

Ewig

Ihre Minna Spazier

Zitierhinweis

Von Minna Spazier an Johannes Daniel Falk. Leipzig, 7. Januar 1809, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0177


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Textgrundlage

H: GSA, 15/II,1D,14
1 Dbl. 8°, 4 S.