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B. 28 Apr. 10.

Meine alte Henriette ist meine biedere, alte Voigt, und so lange mir Gott diese läßt, die es so wohl durch das Alter des schönen Lebens, als unsrer Bekanntschaft längst geworden, müssen Sie schon, mit dem am Krankenbette der guten Luise erworbenen grauen Haupte, dennoch meine jüngere bleiben.

Wenn ich Sie nun versichere, daß ich von meiner zweiten Jette, schon seit zehen Jahren eine graue Locke besitze, die ich mir von dem siebenzehen jährigen Mädchen erbeten , so werden Sie sich wohl überzeugen, daß Sie viel zu spat grau geworden sind, um je mehr meine aelteste werden zu können.

Indeß die höchste Freundschaft hat keinen Anfang und kein – Alter, so wie ihr Vater selber, so lange wir an beide mit kindlichem Sinne glauben u mit kindlich reiner Unschuld.

Werden wir aber durch Versuchung von dem Allerheiligsten abgeführt, dann tritt die Unvollkommenheit ein und wir zählen die Vergangenheit, die Länge und Kürze der Zeit.

|2 Zur Bekräftigung dieser Wahrheit gab' ich ein zu hartes Beispiel an meinem alten R. u seinen alten Em., die sich seit dem 2ten Jan. d. J. wohl einige male, an dritten Orten, gesehen, aber nicht gesprochen haben.

Caroline u die Kinder kommen bisweilen noch zu mir; aber die alte Zeit scheint, erscheint mir nun lange u die neue wird mir so.

Richter liebet mich noch das glaub' ich zu meiner Ruhe und ich zähle unter meinem Glücke noch die Liebe zu ihm.

An seinem Geburtstag , ging ich an seinen Geburtsort, Wonsiedel; meine Straße und meine Brust waren mir hier viel zu enge. Ich lebe also noch eingezogener und noch – ruhiger als im vorigen Jahre.

Seit einigen Wochen wohnt Mad. Harmes, sonstige Berlepsch, einige Häuser von mir, Richters gerade über.Ich sehe sie selten.

Nun nehmen Sie meinen Dank für die Worte von März u für die v. 3 Tage später , mit dem köstlichen, natürlichen Leopolds Brief, den ich Ihnen beiliegend wieder gebe.

Könnt' ich es möglich machen, Sie in diesem Sommer zu sehen, ich würde es um so lieber, um Ihren jüngsten Brief gehörig beantworten zu können , denn mit der Feder kann ich das gewiß nicht, mit dem Munde viell. nicht viel besser.

|3 Freuen Sie sich Ihres Leopolds – wie alt ist er, bei seiner reifen, beinahe zu festen, kalten, ruhigen überlegten Menschenkenntniß? – er ist schon recht brav u wird es gewiß noch mehr.Überhaupt hab' ich noch größeres Zutrauen zu Ihrem Lobe Ihrer Kinder, als – zu Ihrem Tadel derselben.

Noch konnt' ich keine Mutter mit diesem Tadel loben; aber dieses Lob ist auch das einzige, das ich Ihnen beschränkt als Mutter gebe, denn alles übrige, was Sie mir über Weiblichkeit, Mütterlichkeit u über Erziehung sagen kommt aus dem heiligen Geiste einer – über mein Lob erhabenen – reinen, kräftigen Seele.

Aller edlen Mütter, aller edlen Väter Lob gebühret Ihnen.

Henriette Schukmann schrieb mir gerade als ich Ihren jüngsten Brief bekommen hatte – am 35ten Sterbe-Geburtstag ihrer Mutter ihrer Mutter – ein so weiches Billet, daß ich ihr zum Lohne ihrer Kindlichkeit Leopolds Brief mittheilte.Die Antw. darauf dürfen Sie schon lesen u daher leg' ich sie Ihnen bei.

Sehen Sie Ernst Wagner: so drücken Sie ihm derb seine Schreibehand für mich, für |4 alles was sie mir schon gegeben, besonders für seinen sehr braven Ferdinand Miller, an dem er eben so viel Freude erlebte, als er damit machet.

Könnt' ich doch diesen natürlichen, ehrlichen Schriftsteller einige Jahre von meinem unbedeutenden Leben überlassen!

Ich wünschte es auch, Sie unter Ihren Kindern u neben dem glücklichen Gatten bald wieder zu sehen; aber so lange wir keine bessere politische Aussicht haben, hab' ich keine auf dieses Sehen.Sie sehen den guten Truchses bisweilen, des freu' ich mich für Sie u ihn.

Eben habe ich Ihren u Leop. Brief noch einmal gelesen u diesen noch einmal ganz genoßen.

für beide auch meinen wiederholten herzlichen Dank!Aber, wie gesagt, mündlich möcht' ich Ihnen antworten können. Und doch würd' ich auch dann nicht viel sagen, als: "Da u hier u überall haben Sie, was Sie Richtern geben, Recht".

Küssen u grüssen Sie mir Mann u Kinder u bleiben Sie recht gesund!

Eml

|5 P. S. Trauern Sie nicht, über die gute Hofnung, die ich mit Ihnen theile.

Sie wissen Kinder zu erziehen u zu lieben also, daher müssen Sie Freude finden in Ihrer Lage.

Sagen Sie mir es bald, daß Sie heiter gesinnet und gestimmet wieder sind.

Wie ungleich theilet das Schicksal seine Gaben aus: Mancher steht ganz verlassen da, ohne Weib und Kind, und ist betrübt, u Manchem Kindgiebt es zu viel!Nein, prächtiges Weib, herrliche Mutter, ich darf Sie mit Ihrem Schicksal unzufrieden nicht wissen.

Wenn Amanda's Stiefmutter die Tochter verlanget und die Tochter nach ihr, dann lassen Sie mit Liebe und Segen sie ziehen.

Aber nur nicht als Strafe dictiren Sie diese Trennung von sich.

Geht Am. mit Freiheit dahin, dann |6 kommt sie gebessert bald wieder an das liebende Herz der strengen und scharfsehenden Mutter, um da noch besser zu werden, für das Herz eines edeln Gatten.

Lassen Sie sie mit mütterlicher Liebe von sich, dann, nur dann versprech' ich mir Vortheil für Sie u für sie.

Gott wird mit ihr seyn u sie glücklich, wie es die treue Mutter verdienet, bald werden.

Ich denke mir Am. nicht anders als gut.Pauline u Reinhold küß' ich mit sehnender Liebe.

E.

Zitierhinweis

Von Emanuel an Henriette Schwendler. Bayreuth, 28. April 1810, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0180


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Textgrundlage

Hk: Slg. Apelt
1 Dbl., 1 Bl., 5¾ S. Brief- bzw. Bogennummerierung vfrH.


Korrespondenz

B: Von Antonie von Mützschefahl und Henriette Schwendler an Emanuel. Meinigen, 24. März 1810
B: Von Henriette Schwendler an Emanuel. Meiningen, 27. März 1810
A: Von Henriette Schwendler an Emanuel. Meiningen, 26. Juli und 6. August 1810