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Meine liebe Caroline!

ich eile den Haupt Gegenstand Deines Briefes zu beantworten. Es ist allerdings mein Wille, daß Minna in Berlin bleiben soll, um mir theils die Last der Erziehung ihrer Kinder zu erleichtern, theils mir in meinem Alter Freundin zu seyn. Die idée einer Heyrath mit Herrn Br. ist nehmlich gantz aufzugeben, selbst wenn er sich in die Schuldenfreye Lage und in den Wohlstand versetzt, den ich bey meiner früher ertheilten Einwilligung voraussetzte, u wovon das Gegentheil schon damals existirt hat, mir aber unbekannt geblieben ist. Denn ehrlicher Weise kann Minna selbst sich nie zu Erfüllung derjenigen Bedingungen fähig erklären, die er bey ihrer Wahl voraussetzt, und uns deutlich ankündigt; auch siehet sie diß ein, hat auch Herrn Brokh. von meiner zurükgenommenen Einwilligung zu unterrichten übernommen; u ich habe nun Dich zu bitten, daß Du keine auf Ehe Vollziehung leitende ideen weiter unterhältst, sondern beyden Theilen sagst, was Dir die Pflicht in Beziehung auf beyde gebiethet, und dahin gehet, Minna für die Folge ruhig sich selbst leben zu laßen, nachdem sie den Kelch der Weiblichkeit bis auf die Hefen ausgeleeret habe.

|2 In Gefolge meines Entschlußes habe ich denn nun gegen mir über ein Quartier für Minna gemiethet, welches ich jährlich mit 50 rth bedungen habe. In dieser Nachbarschaft kann sie aus dem väterlichen Hause unterstützt werden, und den Tisch soll sie mit ihrem Kinde bey uns genießen, damit sie, so lange Sie Sich selbst durch Schrift Stellerey nicht eine bequemere Lage verschaffen kann, keiner eigenen oeconomie, sondern bloß einer Aufwärterin bedürfe.

Nun, meine liebe Caroline, tritt also der Fall ein, wo Minna, wenn sie nicht zwischen leeren Wänden wohnen soll, auf Ostern ihre sämtliche Sachen hieher haben muß, und ich bitte Dich diß sowohl in Absicht der Altenburger als Leipziger Sachen zu besorgen, so daß alles wo möglich auf einem transport, und noch in den ersten Tagen des April eintrift.

|3 Gern schriebe ich mehr. Allein die Zeit drängt mich. Nur über Minnas Befinden u Herstellung kannst Du gantz ruhig seyn. Sie ist sich nicht mehr gleich, beschäftigt sich auch geistig, wenn gleich nicht mit eigner Composition, sondern mit Übersetzen, und gibt sich auch mit dem Unterricht ihrer Kinder in der Music ab; Es fehlt also nur noch am leichten gesellschaftlichen Mittheilen; wovor aber wohl der Grund in ihrer Abgerißenheit liegt. ich werde thun was ich kann, um sie auch von dieser Seite mobiler zu machen; obwohl ich nur wenig dazu übrig habe.

Lebe vor der Hand wohl; und empfange die nicht gelesene Beylage hiebei zurük. Grüße Deinen Mann, u küße Deine Kinder.
Meine Frau wird Dir selbst schreiben.

Dein treuer Vater
Mayer

Zitierhinweis

Von Johann Siegfried Wilhelm Mayer an Caroline Richter. Berlin, zwischen Januar und März 1811 . In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0195


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 4°, 3 S.


Korrespondenz

Zur Datierung: Minna Spazier, die in Altenburg schwer erkrankt war, wurde Anfang des Jahres 1811 nach Berlin zu ihrem Vater Johann Siegfried Mayer gebracht, in dessen Haushalt sie bis Ostern 1811 lebte. Aus dieser Zeit stammen zwei undatierte Briefe Mayers an Caroline Richter. Der vorliegende, in dem die Lösung der Verlobung Minna Spaziers mit Friedrich Arnold Brockhaus erstmals expliziert benannt wird, ist der zweite in der Abfolge.