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Heidelberg d. 17.Dec.
1816.

Beste Frau Legations-Räthin.

Die freundlichen Grüße und die frohe Nachricht des Planes, nach Heidelberg zu kommen, die mir gestern Prof. Voss von Ihnen und Ihren Herrn Gemal überbrachte, haben mich zu sehr erfreut, um es Ihnen nicht selbst, durch einige Zeilen auszudrücken, denen ich zum Spas, ein kleines Heidelberg als entgegenkommendes Bewillkommungs-Compliment, beyfüge. Sie werden doch gewiß Ihren Herrn Gemal hierher begleiten, ich hoffe es zuverläßig und bin überzeugt, daß es Ihnen gewiß beyderseits hier gefallen wird, und wer nicht gern seine Zeit an der Förmlichkeit des gesellschaftlichen Zusammenkommens, verliert, dem muß |2 es hier sehr behaglich vorkommen; man könnte sagen, daß hier nicht, wie an so vielen andern Orten, die Gesellschaft ein geschloßenes Ganzes ausmacht; Jedes steht hier, für sich allein und geht um, mit denen die ihm conveniren, ohne durch das Auswählen, anzustoßen. Die vielen Fremden, die immer auf einige Zeit hierherkommen und nur in einseitige Verbindungen treten, veranlaßen wahrscheinlich diesen sehr bequemen Ton, welcher verhindert, daß, so zu sagen, aus der hiesigen Gesellschaft, [...] ein stehendes Waßer werden kann, wo sich gleich auf der ganzen Oberfläche, alles abspiegeln muß; ich eile Ihnen, der Wahrheit gemäß, dies zu sagen, da es einen Einfluß auf den Gedanken der Reise |3 nach Heidelberg, vortheilhaft für diesen Ort, haben kann; und wenn Ihr Herr Gemal, beym Festhalten dieses Reiseplans, manchmal denkt, daß auch Freunde, deren er doch gewiß hier viele zählen kann, oft Zeit-Räuber werden, so sagen Sie ihm ja, daß man zu sehr wünschen würde, daß er es nicht bereue, einen Besuch in Heidelberg gemacht zu haben, um nicht, aus wahren Eigennutz; sich nur von seiner Zeit, nach seinem Gefallen, geben zu laßen, an Statt darnach zu greifen.

Wenn ich gleich, so Gott will, auch wieder während der Osterferien, eine Reise mit meinen Sohn, zu machen gedenke, so hoffe ich doch daß Ihre Anwesenheit in Heidelberg, weder so frühzeitig in der Jahreszeit, |4 noch so kurz seyn würde, daß ich durch jene Reise, um eine Freude käme, deren Möglichkeit, schon so lange als ich hier bin, mich ergötzt hat.

Zu Michael haben wir wieder eine sehr intereßante Reise gemacht; durch das Münsterthal, nach Neufchatel und Yverdun, wo wir die Bekanntschaft des so guten Pestalozzi, mit wahren Vergnügen machten, dann giengen wir über Lausanne und Genf nach Chamouny, deßen Schönheiten unsere Erwartungen noch übertrafen, dann nach Lyon und von da auf der Rhône, nach Avignon, von wo aus, wir Vaucluse besuchten. (dieser Brief-Bogen, ist aus der dortigen Papiermühle, also mit den Waßer der so besungenen, schönen Quelle, verfertiget.) Dann giengen wir nach Marseille, wo der Anblick des Mittländischen Meeres, uns unaussprechlich erfreute, wir brachten einen ganzen |5 Tag auf demselben zu und sahen den herrlichsten Sonnenuntergang im Meere, vom Chateau d'If aus; nach dreytägigen Aufenthalt, in den schönen Marseille, giengen wir nach Toulon und von da nach Hyères, wo das südliche Clima, am aller angenehmsten ist, dort stehen die Orangen-Bäume Sommer und Winter im Freyen; in den einen Garten daselbst, stehen deren 18. Tausend, und die heurige Erndte derselben, war für 30. Tausend Francs verpachtet, also welch eine Fülle! es ist gar nicht auszusprechen, wie anmuthig es dort ist und wie wohlthätig, diese Milde der Luft, für den Körper. Von da gingen wir nach Nismes, wo uns die Römischen Alterthümer anzogen, deren imposanter und schöner Anblick, uns sehr erfreute. aber es empörte uns auch dort, die schändliche Bedrückung der Protestanten, unter dem jetzigen Gouvernement. Ueber Lyon und Strasburg kamen |6 wir nach 7. wöchentlicher Abwesenheit, den 6. Nov. wieder zurück, äußerst vergnügt, über die, Gott sey Dank, so glücklich vollendete, schöne Reise, von der ich mich freue, Ihnen noch recht viel mündlich zu erzählen; um ja alles in der Erinnerung recht fest zu halten, habe ich mir auf 90. Seiten Tagebuch während der Reise, alles aufbewahrt; mein Sohn hielt auch eins für sich und machte noch dazu ein Paar dutzend Zeichnungen nach der Natur, also daß, wenn wir gleich nicht viel Zeit zu der Reise hatten, wir doch die schönen Erinnerungen, mit denen uns dieselbe so bereicherte, um so viel weniger verlieren können. Doch ich werde gewahr, daß das Vergnügen, mich in der Unterhaltung mit Ihnen, einmal zu befinden, meinem Brief, eine Ausdehnung gegeben hat, die seinem Hauptzweck fremd ist; allenfalls dadurch nicht, daß ich Ihnen so gern bezeige, wie angenehm mir das Bewußtseyn Ihrer |7 Theilnahme ist. Mein Sohn empfielt sich Ihnen, aufs Angelegentlichste, so wie wir Beyde, uns Ihrem Herrn Gemal; auch er freut sich herzlich über Ihre beyderseitige zu hoffende Ankunft. Ihre lieben Kinder, die hoffentlich doch auch von der Reise seyn werden, umarme ich in Gedanken; und verbleibe mit den Gesinnungen der herzlichsten Ergebenheit und Werthschätzung

ganz die Ihrige

Frfr. von Ende geb. von Globig.

Zitierhinweis

Von Henriette von Ende an Caroline Richter. Heidelberg, 17. Dezember 1816, Dienstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0199


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
2 Dbl. 8°, 6½ S.