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Würzburg den
23ten Mai
1822

Liebste, beste Mutter!

Vorgestern erhielt ich schon wieder einen Brief von Dir. Habe tausend Dank für Dein oftes Schreiben. Du bist so gut und denkst mitten in Deinen Arbeiten so oft an mich, Du gutes liebes Mütterchen! Wenn ich nur wüßte, mit was ich Dich erfreuen könnte. Aus dem Brief der Tante, sehe ich wie froh und heiter der gute Vater und Alle Dresdener sind. Ich hatte immer die Angst, es würde dem Vater auch diese Reise kein Vergnügen machen da er zu Hause an nichts mehr Freude zu haben schien. Gott sey Dank dafür. Ich bin jetzt so froh daß es Euch Allen so gut geht.

Vor einigen Tagen bin ich mit Falks , Auguste und allen übrigen Mädchen auf dem Wasser nach Heidingsfeld gefahren. Es war ein wunderschöner Tag und die Gegend am Main |2 ist so reizend, daß ich mir vorstellte, wir führen in Heidelberg auf dem Nekar . Wir Mädchen setzten uns vorn auf das Schiffchen und sangen den ganzen Weg durch. Heute geht auch wieder ein Mädchen von hier fort die wir einige Stunden weit begleiten. Es ist jetzt so leer an Mädchen; denn außer Jettchen und Rosalie Falk, sind keine da, mit denen man umgehen könnte. Ich werde jetzt von zwei Männern manipulirt und habe eine doppelte Presse. Da es Jettchen auch so hat, so kann ich es eher aushalten. Wir singen, lesen, arbeiten, lachen und sprechen immer zusammen in unsern Betten. Es ist so heimlich und schön in unsern Zimmerchen. Daß wir uns ein Klavier gemiethet, habe ich, glaube ich, Dir schon geschrieben. Es ist zwar nicht sonderlich, doch dient es uns zur Freude und zum Nutzen. |3 Das schöne Wetter hier hört garnicht auf. Wir haben schon ein paarmal Abends im Garten gegessen. Mein Frühstück besteht schon lange nicht mehr aus Warmbier, da es mir immer Kopfweh verursachte. Wir frühstücken mit Auguste recht guten Kaffee. Es geht jetzt viel frugaler zu wie sonst mit dem Essen. Außer der Zeit essen wir nichts als um 6 Uhr Abends. Ich sehne mich oft recht nach einem Baireuter Stük Kuchen, denn hier giebt es außer Mehlspeisen nichts Kuchenartiges.

Wie schrecklich ist es daß, Emilie Kapp gestorben ist; ich traute kaum meinen Augen als ich die schreckliche Nachricht las. Die arme Mutter ist nun ganz ohne Kind! So viele sind seit meines Hierseins in Baireut gestorben, daß es ein recht trauriger Frühling ist. Wie geht es denn Fischers? Kommen sie jetzt öfter zur Emma? Grüße sie recht sehr von mir. |4 An Ottos und Emanuels tausend Grüße. Wie werden dem guten Emanuel seine Kinderchen gewachsen sein! Ich werde sie kaum mehr erkennen können, wenn ich wieder zurück komme. Meiner guten Züpfe werde recht bald wieder schreiben. Diesmal muß ich meine Schulden Leztern abtragen. Wenn ich nur Eins von Euch hier hätte! Dies wird aber nicht sein können; denn der Vater wird bei seiner Zurückkunft nicht an eine zweite Würzburger Reise denken. Daß ich garnichts bei Euch mit helfen konnte, ist mir recht leid. Ich möchte gar zu gerne einmal wieder recht herumwirthschaften. Wenn ich zurückkomme, so werde ich aber meine jetzige Ruhe, zu Hause, durch rechtes Arbeiten, ersetzen. An Züpfe [...] schicke ich einen Kuß und ich werde bald mit einem Brief und noch etwas erscheinen. Lebe recht wohl, gute liebe Mutter, und habe rechten Dank für Deine Liebe.

Deine treue
Odilie.

Grüßt Ottos, was ich kenne.

Zitierhinweis

Von Odilie Richter an Caroline Richter. Würzburg, 23. Mai 1822, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0207


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