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Meiningen den 26ten August 1811

Was werden Sie wohl, mein theurer Freund! von Ihrer stummen aber ewigen Freundinn Henriette gedacht haben und noch denken! —

Zu meiner Entschuldigung über mein verstoktes Schweigen – so sieht es aus – kann ich wenig anführen. Brief Schulden sind eigentlich die ärgsten andre habe ich nie gehabt, aber jene haben mich seit einiger Zeit so gezüchtigt, daß ich als reuige Sünderin hoffentlich nie wieder in dieses Unwesen gerathen werde. Und bey meiner Sehnsucht nach meinen Bayreuther Freunden, bey meiner Liebe für Sie, Emanuel, bey dem Wunsche Nachricht von Ihrem Ergehen zu haben, ja sogar bey einem langen fertig geschriebnen Brief – das Tagebuch meiner vorjährigen Reise enthaltend –, warum ich endlich letzteren nicht abgehen ließ, mit einem Worte, ich kann mir meine Nachläßigkeit nicht erklären. Ich glaube daß Sie weit eher für mich eine Entschuldigung haben werden, als ich selbst. In meinem Tagebuch werden Sie manches finden was mich entschuldigen könnte, ich bin seit meiner Reise sehr still und verschloßen, der unendliche Verlust von meiner Schwester Friederike , die Trennung von Antonie alles dieses macht mich immer stiller. Im Frühjahr dämmerte mir die Hoffnung Euch zu sehen, vor wenig Tagen glaubte ich gar mit Demoiselle Romberg nach Bayreuth reisen zu können, es kann aber jetzt nicht seyn, kurz manche Hinderniße könnte ich herrechnen, die mir Zeit kosteten mein Kinder Völkchen nicht zu vergeßen, Nichts kann mich jedoch genügend entschuldigen und darum Verzeihung! und daß ich sie habe, bitte ich Sie, mir recht bald zu sagen. Auch daß Sie mich noch lieb haben und mein warmer Freund sind, |2 Beydes bin ich werth und Schwendler sagt, ich dürfte hinzusetzen seit meiner Prüfungs Reise noch werther – – – – –

Caroline wird Ihnen von meiner verklärten Schwester die schriftlichen Vermächtniße mittheilen , welches sie ihrem Gatten und Antonie hinter ließ. Beyde sind ein Heiligthum unsrer Familie, sie jedoch an solche bewährte Freunde mitzutheilen wie Sie und Richters uns sind, hat mir Antonie und mein Schwager erlaubt. O Gott Emanuel, welch ein Weib war meine Schwester, wie hoch und dem Himmel nah verwandt, stand sie über der Erde, einer weiblichen Feder ist wohl nie etwas hehreres entfloßen als der Inhalt dieser Vermächtniße. Schöner hat sich ein weiblichen Carakter nie beurkundet und ein stilles Abkommen haben wir Geschwister alle getroffen, jeder unserer Töchter eine Abschrift davon als Aussteuer einst mitzugeben, daß sie auch nach solcher Tugend streben, und sie im Herzen heilig halten.

Antonie ist in ihrem Verhältniße als Pflege Mutter der Mutterlosen Weysen vollkommen an ihrer Stelle. Nur sonderbar ist es daß ich, die Lebhaftere, meine A. zur Ruhe dabey anmahnen muß. Wir beyde machen in Hausmütterlichen Angelegenheiten eine ganz eigne Erscheinung, ich bin bey allen dahinein greifenden Vorfällen fortgesetzt ruhig und gleichmüthig, Antonie hingegen so rastlos so ergreifend thätig, daß ihre Gesundheit häufig leidet. Bey jeder Gemüths Angelegenheit die mich hingegen zermalmet, bis im Innern erschüttert, bleibt A. gelaßen und heiter. Gewiß gehört zu letzteren mehr Seelen Stärke, ich bemühe mich – zwar häufig fruchtlos aber doch ernstlich, auch diese mir anzueignen. Antonie hat mir Hoffnung gemacht im Spätherbst uns mit dem Schwager und den |3 Kindern zu besuchen. Ich würde mich besonders freuen meinen Schwager wiederzusehen, diesen seltnen herrlichen Menschen, den das Schiksahl so hart oftmals beugte und der mit dem tiefsten Gefühl, so edel duldet. Uebrigens meine A. in ihrem rechten Geschäfts und Pflichts Kreis zu sehen, wobey ich mir zugestehen darf, wenn nicht mittelbar doch unmittelbar mitgewirkt zu haben, unbeschreiblich würde meine Freude sein, nur mag ich mich ihr noch nicht unbedingt hingeben.

Meine Kinder die Sie, guter Emanuel, lieb haben, gedeihen fröhlig und zu meiner Zufriedenheit. Amanda, an deren Carakter – bey viel Wahrheit und Herzens Güte – vielerley Eken waren, diese schleifen sich allmählig ab, sie wird weiblicher, ihre Lebhaftigkeit wird besonnener und ich kann in der That von ihr jetzt sagen, sie ist eine brave Tochter. Die Erfahrungen der vorjährigen Reise , so theuer ich sie erkaufte, waren für A. ein wirklicher Läuterungs Proceß, ich würde diese fatale Reise fast segnen, aber den Sohn habe ich doch verloren, o Gott, er läßt nichts von sich hören, er schreibt weder an mich, noch seiner Schwester. Pauline ist und bleibt ein vorzügliches Kind, ihr tiefes Gemüth, ihr stiller weiblicher Sinn, macht sie mir schon jetzt zu einer sinnigen Gesellschafterin, sie pflegt ihre kleinen Geschwister so gut, sie ist so besonnen, nur zu gleichgültig für das Äußere welches sie an sich selbst sehr vernachläßigt. Fast möchte ich ihr ein wenig Eitelkeit anwünschen. Reinhold der liebliche Knabe, des Vaters reinste Freude und sein treues Ebenbild, ist ein gar wunderbares Kind. Oft traue ich mir bey meinen vielen |4 Erfahrungen nicht zu, ihn so zu behandeln als es seine Vielseitigkeit fodert. Eine hohe Aufgabe ist es besonders, seine unendliche Empfänglichkeit zu mildern, seiner Lebhaftigkeit Einhalt zu thun damit sie seinen zarten Körper nicht aufreibt, und endlich seine schnelle geistige Entwiklung zu mäßigen. Ein Himlischer Knabe ist er! oft ist mein Auge eben so sehr mit Freudenthränen erfüllt als auch mit Schmerzensthränen wenn ich ihn opfern müßte den Liebling meines Herzens. Antonie mein jüngstes Kind, 13 monat alt, ist fromm und gesund, weiter kann ich von ihr nichts sagen. Und so wüßten Sie denn alles, Freund meiner Seele, was mich freuet, was mich kümmert. Von mir selbst muß ich noch hinzufügen, daß mich der heiße Sommer sehr angegriffen hat, und daß meine Gesundheit jetzt nicht fest ist. Um mein selbst und um meines treflichen Schwendlers willen muß ich wünschen, daß meine vorige Gesundheit wieder kehrt, weil der Hausfrau und Gattin Kräfte zu Gebot stehen müßen um ihre Pflichten erfüllen zu können.

Wann Emanuel, werden wir uns einmahl wiedersehen? Läge es doch in ihrem Willen und einigten sich die Umstände dazu, daß Sie uns besuchten!

Schwendler grüßt mit alter Liebe und Treue, die Kinder grüßen und die Freundin drükt Sie ans warme Herz.

Henriette.

Mein Tagebuch bitte ich Sie an Richters und an Henriette Schukmann mitzutheilen

Zitierhinweis

Von Henriette Schwendler an Emanuel. Meiningen, 26. August 1811, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0222


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Textgrundlage

H: Slg. Apelt
1 Dbl., 4 S. Brief- bzw. Blattnummerierung vfrH.


Korrespondenz

A: Von Emanuel an Henriette Schwendler. Bayreuth, 4. September 1811
A: Von Emanuel an Henriette Schwendler. Bayreuth, 10. Oktober 1811

Präsentat aolR: 4 Sept. beantw.; unter dem Datum: Auch 10 Oct. beantw.