Von Anna Henriette „Nanette“ Gentz an Caroline Richter. Berlin, 29. Oktober 1807, Donnerstag

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Berlin den 29ten October

Theuerste Liebste Caroline!

Was wirst Du von mir denken daß ich Deinen mir so lieben erfreulichen Brief erst nach drey Jahren beantworte,? es ist doch warlich nicht daß er mir Dein Andenken gleichgültig geworden ist ich habe vielmehr vor Freuden geweint zu sehn daß Du noch ganz die Alte in Deinen Gesinnungen für mich bist.

Wenn ich den Überbringer Deines Briefes nicht so empfieng, wie ich es in jedem andern Augenblick gethan haben würde, so war dies sehr natürlich, weil ich so eben aus dem Hause meiner Schwiegermutter zurück kam, die im Sterben lag und auch wirklich einige Stunden nach Empfang Deines Briefes starb , aus diesem Grunde haben wir den jungen Emanuel auch gar nicht einmal zu uns eingeladen, ja ich hatte sogar in der Angst der verwachten und verweinten Nacht nicht einmal nach seiner Wohnung gefragt.

Gott meine gute herrliche Seele was hat sich in diesen drey Jahren alles zugetragen, wie hast Du den Verlust unsres verklärten Engels, meiner mir ewig unvergeßlichen Ernestine ertragen? Mein Herz blutet wenn ich daran denke wie dieses schöne schwesterliche Band so grausam zerrißen worden ist, und der einzige Gedanke daß sie nicht |2 so glücklich war, wie sie es verdiente, kann mir einigen Trost über ihren Verlust gewähren – Ihr Tod war auch mit ein Grund meines Stilschweigens ich konnte ohnmöglich diese Seite berühren ohne Dein verwundetes Herz aufs neue zu zerreißen; mit bangem Schmerz dachte ich an den Augenblick als Du diese schreckliche Nachricht warscheinlich unvorbereitet erhielst, wer wie Du, meine tieffühlende herliche Seele, nichts halb liebt, der kann auch nicht halb unglücklich sein. –

Auch ich kann mit Warheit sagen daß ich nicht wieder solche Freunde wie Ihr gefunden, ja auch nicht einmal gesucht habe weil ich zu gewiß war sie nie wieder anzutreffen. Werde ich denn diese Glückseligkeit nie erleben Dich einmal wieder an mein Herz (das noch so ganz das alte für Dich ist), zu drücken? Diesen Augenblick den ich mir so manchmal erträume würde zu den seeligsten meines Lebens gehören, o meine Caroline, warum hat uns das Schicksal so weit von einander entfernt! –––

Du wünschest zu wißen wie viel Kinder ich habe, mein Reichthum besteht in einen Knaben und einem Mädchen und ich bin zufrieden mit diesem Pärchen; Du wünschest ferner daß ich Dir etwas von meiner Kinder ihrem Character schriebe. Carl ein 6 Jähriger Knabe hat ohne grade hübsch zu seyn ein sehr ehrliches offenes Gesicht |3 und sein freundliches blaues Auge ist der Spiegel seines wohlwollenden Herzens, er ist vielleicht zu weich und sanft für einen Knaben und seine Nachgiebigkeit könnte ihm in der Folge vielleicht schaden.

Marie ein Mädchen von 4 1/2 Jahrn ist ebenfalls nicht grade hübsch zu nennen doch hat ihr dunkelbraunes Auge sehr viel Lebhaftigkeit und Character, eine zu große Beharrlichkeit in ihren Willen ist der Hauptzug und Hauptfehler ihres Characters wir sind täglich bemüht, diesen Fehler so viel möglich bey ihr zu mildern, die Vernunft an der es ihr keinesweges fehlt, wird hoffentlich in der Folge das beste dabey thun, doch wird sie bestimt einen sehr festen Charackter bekommen, ihr Herz ist sehr gut und sie hängt an uns beyden mit herzlicher Liebe – diese beyde Kinder machen meine ganze Freude und mein ganzes Glück aus und ich habe keine andre Vergnügungen als die sie theilen können, nur äußerst selten gehn wir ohne sie aus, unsre Spatziergänge richten sich ganz nach ihren Kräften, bis jetzt haben wir alle Sommer auf dem Lande gewohnt der Krieg hat uns aber leider dieses Jahr davon abgehalten. Genz ist der beste und zärtlichste Vater er weiß den Kindern so manichfache Unterhaltung zu verschaffen und versäumt keine Gelegenheit ihnen Freude zu machen, Du kannst denken wie viel Erleichterung er mir ver dadurch verschaft und wie die Kinder an ihren Vater hängen.

|4 Nun glaube ich Deinen Wunsch über das was meine Kinder betrift so ziemlich befriedigt zu haben, thue Du meine Gute nun aber auch ein Gleiches, und schreibe mir ganz genau, alles, alles, was die Deinigen betrift denn daran ist mir äußerst viel gelegen, vor allen Dingen aber vergelte nicht Böses mit Bösem und laß um des Himmels Willen nicht abermals 3 Jahre verstreichen ehe Du meinen Brief beantwortest , schreibe mir so oft es Dir möglich ist warte dazu keine Gelegenheit ab sondern schreibe mit der Post, diese Güte von Deiner Seite würde am Kräftigsten meine Faulheit im Schreiben entgegen arbeiten; ich kann mir wohl leicht denken daß Deine viele Beschäftigungen Dir nicht viel Zeit zum Schreiben übrig laßen, wären es aber auch nur alle 2 – oder 3 Monath einige flüchtige Zeilen so würde es mich schon unendlich glücklich machen.

Meine gute Mutter, nach der Du Dich so angelegentlich erkundigst, ist gottlob trotz aller Angst und Kummer den die jetzigen traurigen Zeiten mit sich bringen recht wohl sie grüßet Dich herzlich, auch Manon trägt mir auf ein Gleiches zu thun, sie hat ein einziges Kind, ein kleines Mädchen; das arme Geschöpf scheint mir aber einmal nicht zum Glück bestimmt statt daß ich, das Glück habe meine Kinder beständig gesund zu erhalten kränkelt ihre Kleine immerfort und macht ihr dadurch die größte Noth und Mühe so daß ihre Gesundheit die wie Du weißt überdies nicht die Stärkste ist sehr dadurch angegriffen wird.

Hainchelin hat 2 allerliebste gesunde kleine Mädchen die den Eltern große Freude machen. Wenn Dein lieber Mann sich meiner noch erinnert so empfiel mich ihm bestens und behalte lieb

Deine ewig treue Nannette

Zitierhinweis

Von Anna Henriette „Nanette“ Gentz an Caroline Richter. Berlin, 29. Oktober 1807, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0223


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S. Unter dem Datum vfrH: 1807?


Korrespondenz

Das Abfassungsjahr ergibt sich aus der im Brief enthaltenen Information über den vor drei Jahren eingetretenen Tod von Nanette Gentz' Schwiegermutter Elisabeth Gentz, geb. Ancillon, die 1804 starb.