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Würzburg am 8ten Februar
1810

Wie lange meine verehrungswürdige habe ich meine Freude und meinen Dank über ihren Brief und die Sehnsucht auch mit Ihnen Beste zu unterhalten verschwiegen, aber ich fühlte mich zeither nicht würdig mit Ihnen mich zu unterhalten.

Die Zerstreuung in der wir hier zu leben gezwungen sind, und der Mangel an bestimmter Beschäftigung denn man an einem fremden Orte hat, bringen mir eine Stimmung auf in der ich mir selbst fremd bin. Ich fühle es immer mehr daß ich nicht für die sogenannte große Welt tauge, alle die rauschenden Freuden erfreuen mich nie wahrhaft, im Gegentheil sie machen mich unzufrieden mit mir selbst und öfters auch mit dieser großen Welt, die ich viel lieber die kleine Welt nennen möchte.

Meiner guten Mutter Geduld ist auch sehr erschöpft und ich suche mich so viel möglich vergnügt zu stellen um ihr keinen Kummer zu machen, überhaupt ist auch Würzburg nicht der Ort wo wir zu leben wünschten.

|2 Die Menschen sind im Durchschnitte so engherzig, Bildung ist in ihren Augen Gelehrsamkeit und Höhere Gefühle Schwärmerey; ob die jezige Verfaßung zu ihrer Erhebung beytragen wird weiß ich nicht – und die Zahl der Einzelnen die den Mangel fühlen ist zu gering um der Oberhand zu erlangen.

Der trefflichen Bayreuther gütiges Andenken und besonders das Ihrige was uns so theuer ist, machte uns wahrhafte Freude, eben so auch die Geneßung unsers lieben Richters – dieses unsers müßen sie uns schon lassen, denn es würde Ihnen schwer so gelingen es uns abzugewöhnen weil es so aus dem Herzen kömmt.

Die Dämmerungen hat sich die Mutter schon vor Ihren lezten Brief an mich zum Geburtstag geschenkt.

|4 Sie freuen sich gewiß mit mir wenn ich Ihnen sage daß ich Antonia 1 die hier durchreißte einen ganzen Abend lang sah, wie sehr leid thut es mir daß Sie Beßte diese reine Freude entbehren mußten, doch würde die Freude Sie zu sehen etwas durch den Anblick ihrer körperlichen Leiden getrübt, ich hoffe recht viel von der Vaterlandischen Luft für Sie, mit dem herzlichen Gruß den Sie mir an Sie Beste auftrug werde ich wohl zu spät kommen, denn gewiß haben sie schon Nachricht von ihr selbst.

Wohl haben sie Ursache Edles und Großes von ihren herrlichen Kindern zu erwarten, wie könnte aber auch unter solcher Pflege etwas gewöhnliches entstehn – und wenn denn noch dazu (wie da) die Natur schon so viel gethan hat da muß sich ja Großes und Edles entwickeln.

Sie können nicht glauben was besonders Ottilie für einen tiefen wohlthätigen Eindruck auf mich machte, ihr unbeschreiblich zartes Weßen, |4 wodurch schon so viel (sonst an Kindern nie sichtbare) Größe schimmert erfüllt mit Bewundrung ohne die sanften Empfindungen zu verscheuchen die ihre Zartheit einflößt. Ich habe oft bedauert daß unser Heyland in so alltäglichen nichtssagenden Kindergestalten dargestellt wird, das der Mahler seinem Bilde nicht mehr Erhabenheit und Größe einzuprägen sucht, aber in Ottilien fand ich gerade diesen Ausdruck den ich immer auf den Bildern unsers Jesu Kindes suchte und nie fand. Aber der Abgang der Post zwingt mich zu schließen, leben Sie recht wohl und denken sie zuweilen wie sie liebt und verehrt

Ihre Lukretia

N.S.
Meine Mutter empfiehlt sich Ihnen recht herzlich und mit mir Richtern Dobernecks Schuckmann u den lieben Emanuel wie überhaupt allen denjenigen die sich unser gütig erinnern.

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1v. Mützschefahl[]
Zitierhinweis

Von Lukrezia von Lochner an Caroline Richter. Würzburg, 8. Februar 1810, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0232


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S.