Von Henriette von Ende an Caroline Richter. Landshut und München, 29. September und 5. Oktober 1818, Dienstag und Montag

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Landshut den 29. Sept. 1818.

Indem ich, verehrte Freundin, diesen Brief hier anfange, um ihn in München zu schließen, denke ich gar nicht weit an Sie, Ihren lieben Mann und lieben Kinder zurück, denn sehr lebendig vergegenwärtiget waren Sie alle mit mir auf der Reise, in fortwährender Entfaltung und Wiederholung der gar lieben Stunden die Sie uns schenkten und für welche mein Sohn und ich, Ihnen beyderseits den innigsten Dank sagen; oft fällt mir dies oder jenes ein, was ich Ihren lieben Mann noch hätte sagen oder anders sagen mögen und da denke ich mir, was er darauf wohl geantwortet hätte, nehmlich nach dem weiten und so schönen Felde seiner mir zu meiner großen Freude schon bekannten Denkungsart; freylich kann ich nur letztere mir selbst hervorrufen, sein unvergleichlicher Geist den kann man nicht vorgreifen; sehr freue ich mich, den 4.ten Band des Titan zu lesen, allein Jean Paul selbst lese ich doch unendlich lieber, so sehr ich auch den kürzern zu ziehen schien, als Ihr lieber Mann, mit angeborner Ueberlegenheit, meine Behauptung anfocht.Daß ich den lieben Max gesehen und auch nicht gesehen habe, thut mir unendlich leid, gesehen nehmlich höchst wahrscheinlich im schnellen vorbeyfahren, wo der Anblick von drey Jünglingen unter denen er seyn konnte, obgleich nach seinen letzten Nachrichten er noch in Regensburg |2 war, meine Blicke spähend richtete, jedoch ohne daß ich ihn darunter zu erkennen vermochte. In Regensburg schickte ich sogleich in die Lilie, erfuhr aber leider seine Abreise, sagen Sie ihm doch ja, wie leid es mir thut, ihn verfehlt zu haben.Hier schicke ich mit tausendfachen Dank, die mitgetheilten Briefe zurück, die mich unendlich intereßiert haben. Vossens Schilderungen sind einzig, es war mir, als sey ich bey Allem was er beschreibt gegenwärtig gewesen, auch seine Worte über die Schopenhauer, die ich kenne, sind ganz treffend und ich weiß ihm Dank, daß er meinem Gefühl über ihr, Worte gab durch den höchst paßenden Ausdruck "bis zur Verzertheit affectirt und das unter der Miene der Natürlichkeit" es ist mir wirklich lieb, in diesen Worten die Auflösung meines Gefühls über diese Frau gefunden zu haben, denn unausstehlich war mir ihre affectation und dann dachte ich wieder, sie ist ja auch natürlich und doch war mir ihre Natürlichkeit so reizlos.Auch der Brief der alten Voss hat mich gefreut, er hat viel Gemüthliches.In Regensburg, wo wir den gestrigen Tag zubrachten und am Ufer der Donau wohnten, gedachte ich recht viel zu schreiben, allein unser gemeinschaftliches Lieblings-Element, wie wir in Baireuth uns darüber besprachen, das Wohlwollen, kam und änderte meinen Plan; mein Sohn suchte Heidelberger Universitätsfreunde, die Söhne des Herrn v. Herfeld auf, von welchen aber nur einer gegenwärtig war, dieser, nachdem er uns im Dom und um die Stadt herumgeführt hatte und dann wieder meinen |3 Sohn abholte um ihn nach Stauffen zu führen, brachte mir die freundlichste Einladung seiner Mutter, (die mir ganz unbekannt war), mit ihr nach Prüflingen zu fahren und dann mit meinen Sohn in ihrem Hause Thé zu trinken und so verbrachten wir in einer zahlreichen, angenehmen Familie, deren existenz bis auf die beyden Söhne, uns zuvor unbekannt war, eine heitere Zeit und trennten uns wie alte Bekannte.In Schwandorf, wo wir vorgestern Pferde wechselten, hatte sich eben ein seltsames Unglück zugetragen, deßen Eindruck die Bewohner stark ergriffen hatte; in der Kirche auf den Berge war Wallfarth und ungeheure Volksmenge; eine alte Frau ängstigt sich in dem Gedränge und schreit Feuer, dieses Wort sogleich von unzähligen Zungen wiederholt, bringt die ganze Versammlung in namenlose Verwirrung, alles will zugleich fort, auf die zu Boden Stürzenden, treten die Fliehenden, natürlich erfolgen tödliche Beschädigungen; ein Paar Menschen kommen dem Rade nah, Aerme und Beine werden gebrochen, der Magd im Posthaus war auf das Herz getreten worden und sie war in einen sehr gefährlichen Zustand; nun hieß es, von Mund zu Mund, der böse Feind habe dies gemacht; der Prediger auf der Canzel hatte vergebens zur Ruhe vermahnt, draußen schlug das zur Feyer des Festes aufgestellte Bürger-Militär mit Stöcken in die tobende Menge und nun am Ende kamen Aerzte und ließen den Beschädigten zur Ader; der Spectakel soll der Beschreibung nach unbändig gewesen |4 seyn.

München den 5.ten October. Bis heute verspätete sich die Vollendung dieses Briefes; dadurch kann ich noch um so mehr hinzufügen und auch von der Gelegenheit profitiren welche Fr. v. Lochner durch die zurückreisenden Baireuther Damen, zu Abschickung dieses Briefes, mir bekannt gemacht hat.Vor allen Dingen nun, den Ausdruck meines herzlichen Dankes für alle frohe Stunden die ich und mein Sohn Ihrem und Ihres lieben Mannes Wohlwollen gegen uns zu verdanken haben und wodurch Fr. v. Lochner und ihre Töchter und ihr Schwiegersohn uns mit außerordentlicher Güte empfingen und jede Gelegenheit ergriffen unsern Aufenthalt angenehm zu machen; ihnen verdanken wir die heitersten Augenblicke die wir hier verlebten und dieser Genuß wurde erhöht durch die Freude daß Sie Beyderseits die Urheber davon waren. Ihren lieben Mann habe ich auch noch besonders, außer seinen Geiste, hier begegnet, nehmlich seine Büste in den Zimmern der Königin und darüber nebst meinem Sohn große Freude gehabt.In Freysingen haben wir Fr. v. Schubert besucht, sie freute sich sehr Nachricht von Ihnen zu bekommen.In Landshut hat Ihrem gütigen Rath zu Folge, mein Sohn, den D. Walter wegen seiner Augen befragt, er verordnete ein Waßer und Verhaltungsregeln und bey Schonung der Augen, diesen Winter hindurch gab er gute Hoffnung zur gänzlichen Heilung; er erklärte das Mittel des Alauns mit Eyweiß für nachtheilig, so wie auch die Schirme über das Licht, statt ihrer solle man einen Schirm über die Augen befestigen; ich setze dieses hier hinzu, da es in Ihrem lieben Hause, oder sonst von Nutzen seyn könnteFr. v. Lochner hat ein wahrhaft verklärtes Gemüth ihre Töchter hier viel Liebenswürdigkeit u. ihr Schwiegersohn eine sehr angenehme Lebendigkeit des Geistes, so erschienen mir diese sehr intereßanten Personen. Daß wir

hier emsig Sehenswürdigkeiten besuchten, sage ich Ihnen nicht ausführlich.Morgen gedenken wir, so Gott will, nach abzureisen, dann nach und . Nochmals tausend herzliche Empfelungen von meinem Sohn an Sie, theure Freundin, und von uns beyden an Ihren von uns so innig verehrten lieben Mann.Tausend Schönes an Ihre lieben Kinder. Erhalten Sie mir Ihre Liebe und Freundschaft. So Gott will, schreibe ich Ihnen wieder. Ganz die

Zitierhinweis

Von Henriette von Ende an Caroline Richter. Landshut und München, 29. September und 5. Oktober 1818, Dienstag und Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0272


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H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 4°, 4 S.