Von Henriette von Ende an Caroline Richter. Dresden, 19. Oktober 1820, Donnerstag

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Dresden den 19.ten Oct.
1820.

Recht lange ist es, meine theure Freundin, daß ich auf die Freude Sie zu sehen, statt schriftlich Ihnen für Ihren letzten lieben Brief zu danken, Verzicht leisten mußte, aber lange sahe ich dem Augenblick des Wiedersehn's entgegen, ehe die jetzigen Verhältniße in Italien entscheidend genug sprachen, um den Vorsatz im Herbst wieder nach Neapel zu reisen zu vertreiben. Baireuth war mir auch dieses Mal mehr als Vorhof von Italien und ich freute mich so herzlich auf den Tag den wir dort zubringen würden; mit Ihnen, Ihrem lieben Mann und Ihren lieben Kindern, ist man in Baireuth schon in Italien, Wärme, Licht, Nahrung für Geist und Herz, ist in dem Cirkel einheimisch; ich ergötzte mich schon im Voraus auf die schönen Stunden, die wir da wieder verleben konnten, allein es gestaltete sich anders und nun bleiben wir, so Gott will, für den ganzen Winter hier in Dresden, der Sommer verging, Gott Lob! sehr angenehm und ich halte einen großen Theil der Anmuth deßelben |2 fest, indem ich nicht in die Stadt ziehen sondern in meinem lieben Landhaus bleiben will, nur eine Viertel-Stunde ist es (für Fußgänger) von der Stadt entfernt und noch habe ich auf dem halben Weg ein Absteige Quartier, wenn beym Nachhausekommen das Wetter zu unfreundlich wäre; ich genieße die herrliche Luft die hier ist, die auch im Winter schöne Natur, die Ruhe und die Entfernung vom theilnahmlosen Zusammenkommen, dem man in der Stadt ohnmöglich so entgehen kann wie auf meinen ländlichen Wohnsitz, der für diejenigen welche Wohlwollen leitet, nicht zu [...] entfernt ist, was mir, zu wahrer Freude für mein Herz gereichent, über 500. Besuche von 145. Personen bewiesen haben wie mir die halbjährige Liste, die ich in der Aussicht der Reise wo ich ein Paar Jahre keines von allen diesen oder doch nur wenige gesehen haben würde aufzählt; ich blieb dabey, nicht der Langenweile der großen Gesellschaften zu fröhnen und köstlich ist es mir auch für die Erinnerung, daß ich in großer Verschiedenheit der Personen, immer in gleichen Ton bleiben zu k ö o nn en te , da die gute Absicht, welche mir die Besuche brachte, sich im Accord des häuslichen Circels behaglich fand, welcher recht oft |3 Gemüthlichkeit eintreten ließ unter denen die sich sonst nur mit Kälte begegneten; dies war immer eine rechte Freude für mein Herz.Nun wird der liebe Max wohl in Heidelberg seyn ; Gott laße diesen Aufenthalt für ihn gesegnet seyn, ich fühle, was ihr mütterliches Herz dabey empfindet; vielleicht haben ihn beyde liebe Eltern begleitet; ich denke wie gern er überall gesehen seyn wird und fühle, mit welcher Freude ich ihn in Ihrem Geiste, in Ihrer Seele recht oft bey mir gesehen hätte, wenn ich noch in Heidelberg wohnte; ich hätte ihn mit wahrer Herzlichkeit bemuttern wollen.

Die Gräfin Vitzthum will nun, nach einem mehrwöchentlichen Aufenthalt in Dresden, wo sie vergebens hoffte, ihren Mann zu beßern Gesinnungen gegen sie zurückkehren zu sehen , nach Leipzig gehen, wo ein äußerst geschickter Sachwalter, ihre Rechte geltend macht. Der innige Dank, von welchem sie für Ihre Güte und Liebe durchdrungen ist , stimmt in dem meinigen ein daß Sie meine Bitte mit so vieler Freundschaft erfüllten ehe noch diese unglückliche Frau ihre guten Eigenschaften vor Ihnen entfalten konnte, längst schon wollte sie Ihnen ein Wort |4 des Dankes und der Liebe schreiben, aber ihre Feder ist saumselig, während ihr Herz und ihr Mund immer erneuerten dankbarer Erinnerungen voll sind; wir sehen uns oft, aber ich glaube nicht ein Mal, wo Ssie nicht Ihrer erwähnte, auch der lieben Emma mitspazierengehn, wie schön Sie vorgelesen, auch des Pelzes wird mit Wärme gedacht und so vieler Augenblicke und Stunden Ihrer Güte gegen sie. Ihre Abreise thut mir für mich leid; so klar läßt es sich in den Spiegel ihrer Seele lesen, ihr kindliches Gemüth, ihr so feines Gefühl für alles was wahr ist, ihre Religiosität, die Elasticität ihrer Munterkeit, alles dies macht mir das so vieljährig unter uns bestehende Freundschaftsverhältnis, recht reizvoll.

Neulich wurden wir, mein Sohn und ich, recht angenehm überrascht, durch den Besuch des Geh. Hofr. Zachariä aus Heidelberg; ganz Heidelberg war mit, durch seine Gegenwart, nur daß die andern Unsichtbaren, nicht antworten konnten, sondern er allein.Mein Sohn empfielt sich Ihnen, so wie wir uns beyde dem lieben Mann und Ihren lieben Kindern, aufs Herzlichste. Nun leben Sie wohl, recht wohl und erfreuen Sie bald mit einen Brief Ihre Sie herzlich liebende

HenriettevEnde.

Zitierhinweis

Von Henriette von Ende an Caroline Richter. Dresden, 19. Oktober 1820, Donnerstag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0321


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S.