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Dresden den 17. Jul.
1820.

Theure Freundin

Wenn ich mich freute, Ihnen den Dr. C. der Ihnen einen grünen Brief von mir, nebst einer Inlage an Fr. v. Lochner zu überbringen bekam und dann seinen Aufenthalt noch verlängerte nur in einem guten Licht zu nennen hatte, so erfordert die Gewißenhaftigkeit, welche noch obendrein belebt wird, durch den Eifer und die Sorge der Freundschaft, daß ich eine, jenem Lichte folgende dunkle Stelle, Ihnen nicht unbekannt laße, indem dieselbe zur Bestimmung der Grenze gehört, welche s S ie und Ihr lieber Mann im Fall C. in Bayreuth sich aufhalten sollte, wo er gewiß das öftere Kommendürfen in Ihr Haus, sehr nachsuchen wird, dem Umgang mit ihm setzen werden. Er scheint wenigstens nicht die Meinung des mir im- |2 mer sehr treffenden vorkommenden französischen Sprichwort's zu haben: "celui qu’on plaisante, est le meilleur juge de la plaisanterie" wenn ich auch sein Betragen nicht noch einer außerordentlichen Unbescheidenheit Schuld geben mag. Mein Sohn, aus sehr nöthiger Vorsicht, nach einigen Fällen wo Fußgänger in der Nähe der Stadt Abends angefallen wurden, trägt des Abend's beym späten Nachhausekommen aus der Stadt, da unser Garten-Haus in den Feldern liegt, einen Dolch bey sich, diesen sieht C. neulich bey meinem Sohn auf dem Tisch liegen, er gefällt ihn, er bemächtigt sich deßelben und erklärt, daß er ihn behalten würde indem er ihn auf seiner Reise noch nöthiger brauchen könnte als mein Sohn, dieser protestirt zwar dagegen, hält es aber doch nur für Spaß und, als er C. nachdem er ihn bis an's äußere Thor begleitet, verläßt, bittet er ihn nun ernstlich um Zurück- |3 gabe des Dolches, welche jener aber verweigert; er kömmt darauf wieder einmal zu meinem Sohn, der den Dolch wieder abfordert, jedoch zur Antwort erhält, er habe ihn nicht bey sich; mein Sohn ließ nun auf das bisherige cordiale Betragen, kalte Höflichkeit eintreten und der Dolch kam doch nicht zurück, wenn gleich C. am Ende sagte, vor seiner Abreise wolle er ihn wieder geben ob dieses nun noch einst geschehen wird ist ungewiß, aber auf alle Fälle das vorangegangene Betragen unrecht; in diesem Benehmen scheint mir eine wiederliche Rohheit zu liegen, im starken Gegensatz gegen das übrigens abgemeßene Betragen um so mehr, da C. so wie alle Bekannte meines Sohnes, auf's freundlichste von ihm aufgenommen wurde, so oft er zu ihm kam und auch von mir, als er meine Bekanntschaft machte, um sich eines schriftlichen Auftrages |4 aus Heidelberg zu entledigen.

Wenn gleich die Sache an sich nicht bedeutend ist, so hielt ich es jedoch für wichtig, die sich geoffenbarte Fähigkeit dieses Mannes, einem seiner Freunde ohne gereitzt worden zu seyn, so unangenehme Empfindungen zu machen Ihnen kund zu thun; früher wäre mein Sohn die größte Wette eingegangen, daß C. eines solchen Betragens gewiß unfähig wäre. Diesen Abend erwarte ich zum Thé die hierdurchreisende Fr. v. Krüdener welche in Heidelberg durch den Magnetismus curirt wurde und die Ihr lieber Mann auch kennt.Dieser Brief ist übrigens eine Art von Wiederruf, denn sogar einen Titel habe ich zu wiederrufen, Herr v. Herder ist nehmlich nicht Ober-Berghauptmann sondern Vice-Berghauptmann, jedoch dabey alles in Allem in diesen Departement. Ich muß schließen, aber nur erst nach den herzlichsten Empfelungen meines Sohnes an Sie, meine gute liebe Freundin und von uns beyden an Ihren lieben Mann und lieben Kinder. Ewig die Ihrige

H.E.

Zitierhinweis

Von Henriette von Ende an Caroline Richter. Dresden, 17. Juli 1820, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0323


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S.