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Meiningen den 31ten Dec
1811.

Lieber guter Emanuel!

Meine Ankunft in Meiningen verherrlichte Ihr Brief , tausend Dank dafür! als ich diese lieben werthen Zeilen beantworten wollte erhielt ich durch Schwester Henrietten die freundliche Hoffnung, Sie nächstens bey uns zu sehen und ich zog natürlich den mündlichen Dank jedem schriftlichen vor. Doch jetzt, wo sich die schöne Aussicht immer ferner zurückschiebt, kann ich nicht länger dem Drange wiederstehen Ihnen, Verehrtester! zu sagen, daß ich mich nach Ihrem Briefe schon in Schlesien oft recht schmerzlich sehnte und daß die Freude, einen Beweis Ihres Andenkens zu erhalten, durch die herzlichste Theilnahme erhöht ward, die der Vater meines Kindes Ihrer seltenen Theilnahme und Freundschaft bezeugte. Er trug mir auf, ihm und die Kinder Ihrer Liebe aufs herzlichste zu empfehlen. Fischer blieb 14 Tage mit uns in Meiningen; O wären Sie in dieser Zeit bey uns gewesen!! – – – dann ließ er mir das von sechs einzig übrig gebliebene Pfand seiner Friedericke, die liebliche kleine Caroline zurück und kehrte in seine Einsamkeit nach Breslau zurück weil er glaubt, daß meine Gesundheit einen Winterauffenthalt in Meiningen bedürfe |2 Und nun ist das theure kleine Wesen seit 14 Tagen überaus leidendt an einer Drüsenschärfe die sich überall namentlich sehr schmerzhaft am Mündchen als Ausschlag äussert, da liegt nun die Sorge für dieß geliebte Leben gar schwer auf mir und der Muth will mir manchmal entsinken. Dazu kömmt daß unser vielgeliebter Freund Ernst Wagner seit 4 Wochen an einem fakligem Nerfenfieber hart danieder liegt, es hat sich zwar seit dem 21Tage das Fieber zur Besserung entschieden, allein es liegt in dem epidemischen Gang der Krankheit, ein bis zum Brande auf[...]tendes, Aufliegen, welches so schmerzhaft ist, daß es noch zweifelhaft ist, ob er diesen Leiden wiedersteht. Wagner ist von einer so frommen Ergebung und Fassung bey diesen namenlosen Leiden, daß seine Stube mir immer wie ein GeduldsHeiligthum erscheint. Seine Kinder pflegen ihn wie die Engel ganz vorzüglich, aber die Tochter Louise dieß Mädchen leistet unbegreiflich viel , und zwar mit so zartem Gefühl, so viel Kraft |3 und Freudigkeit, daß es recht wohlthuend ist, neben diesem Engel zu stehen

Heute ist ein vorzüglich schmerzreicher Tag für den armen Kranken gewesen! auch war mein kleines Liebchen so weinerlich, daß ich recht von Herzen mitgeweint haben.

Nun schlafen die lieben Kranken, es schlägt Mitternacht und ich rufe den ersten Gruß in diesem neuen Jahr Ihnen, lieber Emanuel! zu: bleiben Sie allen den Ihren Freund und beglücken Sie sich selbst ferner durch die Ueberzeugung des Werthes den Ihre Freundschaft hat. Gott schütze Sie und Ihr Leben durch seine freundlichsten Engel gebe Ihnen die Erfüllung Ihrer liebsten Wünsche und segne dadurch

Ihre

treue Freundin
Antonie

N Im Hause meiner lieben Geschwister ist alles wohl, sie empfehlen sich mit mir Ihnen und unsern herrlichen Freunden Richters. Heims sind allerseits wohl. Ich bin sehr müde vom Sorgen und Weinen und doch kann ich nur schreiben wenn mein Kind schläft.

NS. Ehe ich den Brief abschicke kann ich Ihnen lieber Emanuel noch die freundliche Versicherung geben, daß Wagner eine sehr ruhige Nacht hatte und daß die Aertzte auchwegen den Schmerzen des Aufliegens keine weitere Störung der Genesung befürchten. Auch macht mein Linchen heute ziemlich gut.

Zitierhinweis

Von Antonie von Mützschefahl an Emanuel. Meinigen, 31. Dezember 1811 bis 1. Januar 1812, Dienstag bis Mittwoch. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0354


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Textgrundlage

H: Slg. Apelt
1 Dbl., 3⅓ S. Brief- bzw. Blattnummerierung vfrH.


Korrespondenz

Präsentat: am 9ten Apr. 12 | beantw. (Antwort nicht überliefert.)