Von Ernestine Mahlmann an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Leipzig, 24. Mai 1802, Montag

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Am 24.ten May 1802.

Mein theurer VaterVerzeihen Sie doch ja daß ich nicht früher Ihren lezten, durch Madame Sander erhaltnenBrief beantwortete. Beyde, den an mich sowohl, wieden für Caroline , habe ich nach Meiningen geschickt –und C. gebeten daß sie den Willen ihres Mannes recht bald, Ihnen bestimmt schreiben möchte . Dies bezieht sich nemlich auf d Ihren beyderseitigen Plan zur Reise nach Leipzig , und besonders darauf –daß Caroline mir kürzlich geschrieben hatte Ihrem Manne sey eigentlich jeder Termin zur Reise gleich. – wenigstens die Stelle in ihrem Briefe, welche dies ausdrückt, sage ich Ihnen wörtlich her. "Da unser Vater nun im Juny komt" (das hatte ich ihr nemlich geschrieben), "nachdem wir schon auf den August gefaßt waren, weil Thieriot von Spazier gehört hatte, daß der gute Vater erst dann käme, ist uns diese neue Ändrung sehr willkommen, und Du mußt um Dein selbst willen schon den Vater bitten die Zeit nicht mehr zu ändern, sonst |2 verschwindet für Deinen lieben Mann und Dir der schöne Sommer vergeblich."

Auf diese Äußrung schrieb ich Ihnen mein liebster Vater,meinen lezten Brief – worinn ich Sie um die genaue Bestimmung des Termins zur Reise bat – ohne zu ahnden daß Richters dennoch schon den August bestimmt hätten, und Sie sich auch nach Diesen richten wollten. –

Nachdem ich jetzt Ihre beyden Briefe bekam, konnte ich doch nichts andres thun als Ihren ihren an Richters die Briefe schicken. Denn ich war in der Meinung, Carolinens Außrung in meinem dem Briefe an mich sey die spätere und gleichsam das endliche Resultat des so oft geänderten Willens, und sey nun weiter nichts nöthig als daß sie Ihnen denn selbst, und nicht bloß durch mich bekannt machte. – Dagegen erhalte ich aberheut beikommenden Brief – der nun wieder für den August entscheidet. |3 Doch sagt Caroline im Briefe, sie wünsche zu wißen welche Zeit uns die liebste wäre und ich erklärte mich so unbestimmt darüber! Dieß ist aber nicht der Fall. Denn schon früher – in der Meinung daß Richters nun gar nicht können, weil dieß in der Meße nicht geschehen war – schrieb ich daß wir nun die Gewißheit hätten, daß Sie, liebster Vater, im Juny zu uns kämen – und daß hernach – wenn Sie uns wieder verlaßen hätten der übrige Theil der schönen Jahrszeit, von meinem Manne zu einer Reise nach Dresden und Freiberg bestimmt sey. Früher ist es auch nicht gut möglich, weil meines Mannes Schwester ihre Niederkunft nach Pfingsten erwartet. In den ersten 6 Wochen nach dieser Epoche würden auch die genügsamsten Gäste, der Wöchnerinn, welche noch dazu in einer beschränkten Lage ist nicht willkommen seyn. Und also war eigentlich der Zeitpunkt von Ende July und Monat August der Termin |4 unsrer Reise. Da Sie mein guter Vater, freywillig den Monat Juny wählten, so werden Sie selbst in der Bestimmung der beyden andren Monat nichts unnatürliches finden.

Ich gestehe, daß ich mich jetzt in einiger Verlegenheit befinde. Ich glaube daß es Ihnen, mein liebster Vater, nicht unangenehm seyn kann wenn ich Sie bäte, es beym Juny zu laßen, des da Sie sich eimal schon für diesen bestimmt hatten, und auch ohne Zweifel Ihre Einrichtungen dazu getroffen hatten. Was mache ich aber mit Richters? – Daß ich gern den Plan zu unsrer Reise ganz aufgäbe (wenigstens daß nicht Selbstsucht, die Ursach ist warum ich sie wünsche) werden Sie mir ohne Versichrung glauben. Aber für meinen guten Mann in einer ernstern Rücksicht, ist sie in der That nothwendig – und so kann ich es ja wohl hersagen, daß sie darum mir sehr am Herzen liegt. – Ich werde Ihren nächsten Antwort, meinen liebster Vater, mit großer Sehnsucht, entgegensehn, und auch nicht |5 ehr an Richters schreiben, wirklich, weil ich nicht weiß was ich schreiben soll. Denn Richter schreibt so bestimmt – und ich möchte ihn doch nicht gern kränken! um keinen Preis!

Vielleicht mein guter Vater, können Sie das entscheidende Wort aussprechen! –

Noch einiges, als Commentar über einige Stellen in C. Brief, welche Ihnen unverständlich seyn werden, will ich hinzufügen.

Die Sander hatte uns gesagt in Berlin sey allgemein das Gerücht verbreitet, Caroline habe schon einmalfausse-couche gemacht. Die Nachricht war mir zu wichtig, und, daß sie mir nur allein bis dahin Geheim h n iß geblieben war, zu befremdend, als daß ich nicht gleich Caroline hätte darum befragen müßen. Dieß der Sinn des ersten Absagens im Briefe! –

Auf dem Lande wohnen wir nicht. – Mein Mann hat zwar ein [...] kleines Stübchen gemiethet wo in welchem wir zwar nicht wohnen doch zuweilen schlafen, und die Sonne aufgehen |6 sehen könntenwollten – weil eine doppelte Ökonomie zu kostbar ist. Wir konnten siees aber noch immer nicht benuzen, weil während der Meße doch immer auf einige Tage auswärtige Verwandte meines Mannes bey uns logiren. Ich habe selbst jetzt ein kleines Mädchen von 9 Jahren eine Nièce meines Mannes bey mir, deren Gesellschaft mir recht angenehm ist, da ich sonst gewöhnlich den ganzen Tag, so lange meines Mannes Geschäfte dauern, allein bin. –

Gestern genoß ich den schönsten Tag; wenigstens gab er mir alles was der volle Genuß der schönen Natur uns geben kann! – Ich reißte mit meinem Mann und noch einigen Freunden 3 Meilen von hier nach einem Städtchen Grimma genannt – welches in einer Paradisischen Gegend liegt. Zum erstenmal in meinem Leben sah ich eine eigentlich schöne Gegend. Hohe Felsen auf denen ich herumgeklettert bin wie eine Gemse. Das Städtchen liegt an der Mulde; und es vereinigt sich al le so alles dazu um ein höchst romantisches Ganze |7 zu bilden. Sie können es sich denken wie ich entzückt war; mein liebster Vater! – Wir fuhren am Sonnabend Abend von hier weg, sodaß wir um 9 Uhr dort ankamen, die Nacht im Wirthshause zubrachten und den andern Morgen von 5 Uhr an bis zum Abend um 5 Uhr herumstreiften auf den Bergen und auf dem Waßer, und einen durchaus seeligen Tag genoßen. Schade, Schade, daß wir wieder zurückmußten nach Leipzig – denn man hatte weiter keinen Wunsch übrig als daß man nur ewig dableiben zu können. Mir war der Ort noch darum merckwürdig weil er10 Jahre, auf der dortigen Fürstenschule, der Aufenthalt meines Mannes war – nemlich von seinen 8ten bis zum 18ten Jahre! –

Ich habe Ihnen, noch so viel vorgeschwazt, mein theurer Vater, daß Sie sich nach den Schluß meines Briefes sehnen werden. Mehr noch habe ich aber zu fürchten daß der Inhalt meines Briefes Ihnen vielleicht hin und wieder nicht ganz angenehm seyn könnte! Aber doch gebe ich mich Ihrem Vaterherzen hin, und hoffe auf Nachsicht und Vergebung und auch auf Ihre Liebe! Schreiben Sie mir doch recht bald, wenn Sie mich glücklich machen wollen!

Ihre treue Tochter
E': M:

Mein Mann weiß zwar nicht daß ich an Sie schreibe. Ich aber weiß daß er sich Ihrer immer mit kindlicher Liebe erinnert, darum nehmen Sie auch von ihm einen herzlichen Gruß! –

Zitierhinweis

Von Ernestine Mahlmann an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Leipzig, 24. Mai 1802, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0364


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
2 Dbl. 8°, 7 S.