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Liebe Tante!

Noch nie ist wohl etwas irgend einem Menschen schneller entrissen worden, als es neulich dem Königlichen sächsischen wohlsbetallten Briefträger auf dem General-Postamte zu Leipzig erging, als er mit seinem dicken, lieben Pakete in meine Stube trat; ja – den Tag hatte ich mich nach der Ankunft des Baireuther Postwagens erkundigt, und dennoch überraschte mich der Gelbjäckige so, daß ich beinah einen schönen Pfeifenkopf eingebüßt hätte. – Wenn ich auf alle Briefe, die ich irgend schriebe , immer solche Antworten bekäme: – ich glaube, ich thäte Jahr ums Jahr nie nichts anders als eben schreiben. Da dies aber leider nun einmal nicht geht, so habe ich mir so viel Zwang angethan, bis jetzt die große Schreiblust, die mir sonst eben nicht zum Vorwurfe gemacht wird, zu unterdrücken, theils um nicht beschwerlich zu fallen, theils um bei Ihnen nicht den Verdacht zu erwecken, als betriebe ich nicht mit Ernst und Ausdauer genug meine Arbeiten.

Ich habe Ihnen so unendlich viel zu sagen, daß ich nun da ich’s thun soll, gar nicht weiß, wo ich anfangen soll und ich sehe schon, daß ich vor lauter Begierde Ihnen viel zu sagen, am Ende gar nichts sagen werde: – Über Ihre Briefe habe ich noch immer die größte Freude; – wie viel mal lese ich sie nicht jeden Tag! Wie doch Alles, was aus einen Orte kommt, den man liebt, einen eigenen Reiz hat! So befühle ich immer noch des Onkels schöne glänzende Dinte in den Briefen, ob sie vielleicht noch abfärbt. – vielleicht kommt bald wieder frischere und löst dann die alte ab! –

Hier in Leipzig habe ich mich nun schon längst wieder eingerichtet und empfinde in dem nun noch bestimmter gewordnen Streben nach einem festen Ziele einen schönen Genuß;– mein ganzes Wesen, mein Wollen u Wünschen hat nach dem für mich so einflußreichen Aufenthalte in Baireuth eine ganz andre, ich möchte sagen, ernstere Richtung genommen, und richte ich jetzt mein gan- |2 zes Augenmerk nur auf eben jene Theile des Wissens, die für jenen Endzweck passen; – ich beschäftige mich ausschließend jetzt nur mit der Jurisprudenz in ihrer höchsten und edelsten Bedeutung, und bin im Montesquieu schon beinah bis ans Ende, ihn sehr genau excerpierend, vorgerückt. – Eben dieses Wirken und Streben für etwas Bestimmtes, nach einem festen Mittelpunkt hin, giebt meinem Gemüthe einen eignen Frohsinn, da ich bisher nur höchst schwankend meinen augenblicklichen Neigungen gefolgt bin.– Ein großer Sporn hierbei ist freilich für mich der Wunsch, die so große Güte und Liebe, mit der Sie mich überhäuften nach und nach verdienen zu lernen. – So muß ich Ihnen jetzt wieder meinen innigen Dank sagen für den liebevollen Brief , den Sie über mich an die Mutter geschrieben haben müssen; ich habe aus dritter Hand vernommen, daß er ihr sehr große Freude gemacht hat, ja daß sie eine ordentliche Sehnsucht nach mir hegt.– So scheinen Sie immer fort wie ein freundlich wärmendes Gestirn in mein Leben hinein und entfernen alle Wolken, die seinen Horizont trübten. Möchte doch die große unendliche Centralsonne droben, von der ja Alles Licht und Wärme empfängt, auf das so freundliche Gestirn besonders gnädig blicken; – was kann die armselige Erde der Sonne geben?– nur Dank – und Liebe. –

Ich weiß freilich nicht, ob Herrn Abeken aus Dresden , durch den Sie, liebe Tante, einen Brief von der Mutter erhalten haben, das Glück so günstig gewesen ist, daß er von Ihnen gesehen worden ist. – Haben Sie ihn gesehen, so bin ich sehr neugierig Ihr Urtheil über ihn zu hören; – er liebt die Minona und der Entschluß sie zu heirathen, ist bei ihm nun ganz fest; – er hat mich hier bei seiner Anwesenheit zum Vertrauten darüber gemacht, wiewohl es zu öffentlichen Erklärungen noch nicht gekommen zu |3 sein scheint;– daß Minona ihn gern hat, weiß ich schon lange; – sein moralischer Charakter ist unschätzbar; der ganze Mann ist so kindlicher Natur und seine Bildung für den Stand eines Kaufmanns so ansehnlich, daß ich wirklich für die Minona kein größeres Glück wüßte, zumal da sein Vermögen zu recht anständigem Auskommen vollkommen hinreicht .– ich bitte Sie aber, liebe Tante, der Mutter hievon nichts zu schreiben, indem ich nicht weiß wie sie darüber denkt, auch der Minona der Brief leicht in die Hände fallen könnte. –

Daß ich die Abhängigkeit von Mahlmann nun ganz aufgehoben, hat die Mutter vollkommen gebilligt; – ich kann es ihr auch nicht verdenken, daß sie gern lauter solche Briefe über mich erhalten möchte, als den, welchen Ihre Güte Ihnen diktirt hat; – und daß Mahlmann’s Hiobsposten dadurch ihr noch verhaßter geworden sind; – so kann ich auch von dieser Seite dem Winter froh entgegensehn, von dem ich die ersprießlichsten Früchte für mich hoffe. –

Mit der freudigen Erwartung baldiger Nachricht von Ihnen und dem lieben Baireuth , sowie mit den innigsten u herzlichsten Grüßen an den Onkel

bleibe ich

Ihr dankbar Sie verehrender
Neffe
Richard Spazier.

Leipzig den 17ten Novbr 1823
[...]
Zitierhinweis

Von Richard Otto Spazier an Caroline Richter. Leipzig, 17. November 1823, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0373


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H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 4°, 2¾ S.