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Tausend Dank für die Freude ihrer Brieflein , dergleichen meines gar nicht verdient, den Gemahl aber walken, gerben und scheeren Sie nur, so lange bis er Ja und Amen zu Ihrer Reise sagt, dann holen wir Sie von Gefrees ab, o bitte, kommen Sie, es ist gar schön bei uns; grüne, glänzende Wiesen, weiße schimmernde Bäume, Thäler, Berge, Häuser, Menschen, alles ist freundlich und schön. Vergangenen Freitag waren wir in Fantaisie und glückselig! Wie wünschte ich Sie da zu uns, und freute mich auf den Augenblick, wo ich Ihnen alle Lieblichkeiten der Natur zeigen könnte; sehnen Sie sich nicht auch nach einem Frühling, der nicht nur am Himmel, der auch auf der Erde blüht?

Gute Mama, wie weh muß es Ihnen gethan haben, Ihr Kind so weit in die Fremde zu schicken, das liebe Engelsgesicht, das mir immer Sie darstellt; denn in der Zeichnung sieht Thekla Ihnen sehr ähnlich, mit Mund und Augen, den Herolden der Seele; ich kann es mir denken, wie Sie jetzt schmerzlich an die leere Wand sehen, von der sonst das freundliche Gesicht auf Sie blickte.

Soll denn das Bild nicht mehr in die Kapelle oder in die Kirche kommen, ich denke, Sie wollen es vielleicht nur in einer Größe haben, die auch für eine Zimmerwand paßt, damit Sie es mitnehmen, wenn Sie einmal Konradsreuth verlassen. Förster glaubte, es gehöre blos für die Stube, das denke ich aber nicht; ich hoffe, daß er bis in den Juni hinein hier bleiben kann, was sich erst noch entscheiden wird; er ist fast den ganzen Tag bei uns, die vordere Stube gab ihm die Mutter zum arbeiten, und da kommt er frühmorgens, oft ungesehen, und zeichnet, bis der Mittag ihn zum Essen herüberführt, dann bleibt er noch zum Kaffee und zeichnet später wieder, der Abend aber vereinigt uns endlich alle bis 10 Uhr, unsere Schlafzeit, und er spaziert nach Hause.

Den ersten Tag von Försters Ankunft war ich nur froh, den zweiten aber schlich sich die Angst ein, dumm und langweilig vor ihm zu erscheinen, und schloß mir den Mund. Nun aber bin ich wieder unbefangen und sehr ruhig, und so wird es bleiben, das bin ich überzeugt, so wie ich fest glaube, daß ich ihm ganz gleichgültig bin. Was Phantasie uns ganz bescheert, gibt Wirklichkeit zerstückt, aber es ist ein herrlicher Mensch und er entwickelt immer mehr Schönes, und wie oft gesagt und gedacht, ich wollte er wäre mein Bruder.

Gestern las ich die wenigen Briefe, die ich von meinem Vater habe, durch, und sehnte mich von neuem nach ihm, es war ein herrlicher, köstlicher Mensch, wie viel ist mit ihm meinem Leben genommen! Wie schön war allein unsere beider- und gegenseitige Achtung! Einen solchen Freund brauche ich noch auf der Erde, einem bei dem ich meine Liebe voraussetzen darf; dem ich, ohne Mißtrauen in mich, mich geben kann. Dieses Allvertrauen allein erhebt die Freundschaft so hoch, macht sie allein nur aus; es muß ein Mensch sein, zu dem ich hinaufblicke, ohne gleichwohl mich selbst tief unter ihm zu sehen. Die Freundschaft darf nicht das Demüthigende eines Geschenks sein, sie muß Gegengabe sein. Ohne dieselbe würde sie eine gewisse Schüchternheit nicht überwinden können, ich müßte sie mir immer als Richterin denken, die mich betrachtet und jedes Gefühl erst untersucht, ob es auch das rechte ist; solches Denken an ihre Ermahnungen würde mich sehr hemmen. Leben Sie recht wohl, theure Frau, Gott gebe Ihnen wieder Freude.

Ihre Emma

Zitierhinweis

Von Emma Richter an Fanny von Reitzenstein. Bayreuth, 15. Mai 1826, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0381


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Textgrundlage

D: Ernst Förster, Aus der Jugendzeit, Berlin und Stuttgart 1887, S. 360-362.


Korrespondenz

Zur Datierung vgl. den Druck, S. 260, wo das Abfassungsdatum genannt ist.