Von Ernestine Mahlmann an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Leipzig, 11. Juli 1801, Sonnabend

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Leipzig den 11ten July 1801.

ich ergreife einen freien Moment, mein liebster Vater, um Ihnen für Ihren lieben Brief , so herzlich zu danken! – Wieder Willen habe ich einen Posttag überschlagen müßen, an welchem ich mir vorgenommen Ihnen zu schreiben. Aber es war der Tag der Ankunft meiner Schwägerinn, welche wohl 14 Tage bei uns zubringen wird. – Ich lebe daher jetzt unruhiger als bisher, doch ist es eine angenehme Unruhe. – Ich habe ein schönes Band angeknüpft. – Die Schwester meines Mannes, war mir schon lieb, eh ich sie sah. Jetzt kenne ich sie ganz und gäbe recht viel darum wenn sie in Leipzig wohnte! – Es wird mir schwer Ihnen, liebster Vater, diese höchst intereßante Frau zu schildern, eben weil sich so viel über sie sagen läßt. Sie ist Original, wie ihr Bruder, und hat bey vieler Weiblichkeit, doch ganz den männlichen Geist, die höchste Ähnlichkeit mit ihm in denen Eigenschaften, die ihn als Mann charackterisiren. Den selben festen Sinn, den selben kräftigen Willen, vielleicht zu viel Heftigkeit für ein Weib – aber einen hohen Enthusiasmuß, für alles Große und Schöne und Gute. –

|2 Als Mädchen gehörte sie zu den schönen Geistern ihrer Zeit. Sie laß viel, vielleicht zu viel. Jetzt ist sie, eine ehrwürdige Hausfrau und Gattinn und Mutter. Sie [...] lebte den schönern Theil ihres Alters in der unabhängigsten Freiheit. War an Befriedigung aller entbehrlichen Bedürfniße gewöhnt. Aber Original in jeder Rücksicht – heirathete sie auch auf eine oiriginelle Weise, und erträcht jetzt die beschränkteste Lage mit einem Muth, einer Hoheit der Seele, welche bald Bewundrung bald Rührung in mir erregt. Ihr Mann steht weit unter ihr, aber sie spricht mir mit der höchsten Achtung von ihm. Sie hat oft gelitten unter Mangel und Noth aber sie klagt nie auch ihrem Bruder nicht. Sie thut alles für ihre Kinder , sie sorgt für die Ausbildung ihres Körpers, wie für die ihres Geistes; sie ist empfänglich für Rath und Belehrung in diesem Punkt. Aber von gewißen sich selbst gemachten Maximen, weiche sie nicht ab – selbst wenn sie falsch wären. Dabey ist sie fest und ewig die Freundinn Ihrer Freunde. Sie kann das Vorurtheil der Menge übersehen, und dann Unglückliche Unterdrückte, emporziehen und durch den innigsten Umgang mit Ihnen sie wieder zu heben suchen. –

|3 Verzeihen Sie mir liebster Vater, wenn ich diesen Gegenstand beinah erschöpfe. – Sie wißen wie stark und lebendig eine neue und edle Erscheinung immer auf ihre Kinder würkte. – Ich muß es noch einmal wiederholen daß es mich sehr glücklich machen würde, wenn ich eine solche Freundinn hier in der Nähe hätte – da ich so glücklich bin mir ihr Herz erworben zu haben. Erst wenn mann sie entbehren muß, fühlt man das Schöne von Familien Verhältnißen. – Ach, wie oft, wie unendlich oft mein geliebter Vater, denke ich an sie, und wünsche Sie hier in unsre Nähe oder mich zurück nach Berlin!

Wie bringen Sie denn Ihre Sonntage zu? Das waren ja immer festliche ausgezeichnete Tage, und müßen es auch beiben. – Die meinigen waren bis jetzt immer recht angenehm. Wir brachten sie jedesmal auf dem Ludwigschen Gute zu, das wirklich eine höchst reizende Lage hat. Am letzen Tage gieng ich mit meinem Manne schon ganz früh Morgens heraus. Das war ein herrlicher Tag! Ich fange an in der Familie einheimischer zu werden, weil ich fühle daß sie mir wohl wollen. |4 ich kann mir selbst aber auch das Zeugniß geben daß ich sie durch nichts zu stören suche. Ich bin durchaus anspruchlos und hingebend und ich freue mich solcher kleinen Übungen im Selbstverläugnen.

Zweymal war ich schon im hiesigen Schauspiel, das durch die jetzt sich hier aufhaltende Truppe gar nicht unbedeutend ist. Ich sah die Hagestolzen worinn eine Mll: Hartwig mit himmlischer Naiwität als Margarethe auftritt, und wirklich uns durch ihr Äußre das nicht schön ist, neben der Unzelmann verlieren kann. Gestern sah ich die Räuber. Können Sie sich vorstellen daß man hier die Kühnheit hat sich so weit zu wagen im Gebiete der Kunst. Aber Franz Moor wurde so gespielt, wie ihn nur Minnas Herr Iffland darstellen kann. Der berühmte Ochsenheimer welcher in Mainz Profeßor war und wegen Jakobinismus, seines Amts entlaßen wurde ist jetzt Schauspieler und spielt den Franz Moor, zum Erschrekken – schön. – Noch ein andrer Schauspieler Namens Christ gehört zu den Vollendeten – und man will ihn hier einem Fleck zur Seite stellen. – – – –

|5 Sie sagen mir daß Gustchen sich wohl befindet, und das freut mich sehr. Halten Sie sie doch an daß sie mir fleißig schreibt – damit ich mir wenigstens zuweilen einbilden kann; ich lebte noch unter Ihnen. Haben Sie noch keine Nachricht von Caroline aus Meiningen? Ich bin so sehr begierig darauf! Von der Schlabrendorf habe ich noch so vieles gehört – und ich könnte ein Buch damit anfüllen. – Wenn Caroline schreibt, theilen Sie mir doch ja mit was irgend mittheilbar ist.

Wie leben Sie denn in Ihrem Hause ? Sehen Sie viel Menschen? Haben Sie nichts von der Himly gesehen? – Ach verzeihen Sie alle die ungestümen Fragen mein liebster Vater! ich muß jetzt schließen.

Leben Sie wohl mein einziger liebster Vater, erhalten Sie mir Ihre Liebe, mir und auch meinem Manne, und zweifeln Sie nie an dem Herzen Ihrer ewig treuen

Tochter Ernestine.

Mein Mann trägt mir tausend Empfelungen an Sie auf. Das klingt so todt so leer. Aber Ihr Andenken lebt in seinem Herzen so wie in dem meinigen; er achtet und liebt sie wie seinen eignen Vater – Ach, lieben Sie ihn doch immer wie Ihren Sohn, denn er verdient es ja! Leben Sie noch einmal recht wohl!

Zitierhinweis

Von Ernestine Mahlmann an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Leipzig, 11. Juli 1801, Sonnabend. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0408


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
2 Dbl. 8°, 5 S. Auf S. 7 Adresse und Postzeichen: Sr. Hochwohlgeboren | des Herrn Geheimen Ober-Tribunals-Rath | Mayer. | in | Berlin. | Leipzigerstraße | N: 77. Postzeichen: N76 und Fr. Siegel.