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Coburg. d. 23ten Ocktobr. 1803.

Endlich, mein geliebter Mann, habe ich Deine Briefe erhalten. Denke Dir daß ich bis gestern (Sonnabends) darauf so schmerzlich habe warten müßen. Ach, Du glaubst nicht wie mir mein Herz so wehthat, für Sehnsucht u Besorniß. Dazu kam noch die Furcht daß der Koffer möchte verlorge verloren gegangen seyn! Jeden Tag schickte ich einige mal auf die Post, und jedesmal ließ man mir sagen die Post sey noch nicht da: Ich fand das unglaublich – und da der Koffer eimal in Saalfeld liegen geblieben war, so fürchtete ich das Schlimmste! Gestern Morgen war nun der lezte Termin! Aber es war der erste schöne Tag, den ich in Coburg erlebte – und wir giengen aus, um von den Bergen herab, die Gegend zu sehen, die noch jetzt in ihrem Herbst-Kleide recht sehr schön ist. Wie wir aber einmal auf der Straße waren, zog es auch in die Stadt hinein, statt heraus. Ich wollte selbst auf die Post gehen, und hören wie es stünde. Glücklicherweise war sie eben angekommen; der Koffer da, zwey Briefe da und alles schon in unser Haus gesandt, während unsre Abwesenheit. Vergeßen war nun der Spaziergang. Meine leichten Füße trugen mich in der eiligsten Schnelle zu Haus. Die arme Caroline konnte mir mit ihrer Bürde gar nicht folgen |2 Gott sey Dank daß ich alles hatte. Daß ich Dich wieder hatte auf dem Papier, Du gute treue einzige Seele. Die beyden kleinen Briefe verlaßen mich nun nicht, bis ein neuer ihre Stelle ersezt. Bis dahin lese ich sie immerfort, wenn ich zu Bette gehe, und wenn ich erwache, und an meinem Herzen ruhn sie fest. – Aber sehr gut hast Du mir doch nicht geschrieben, Du liebstes Herz! Ich Ein wenig verstimmt, und böse mit mir, scheinst Du mir doch noch zu seyn! – Aber ich danke doch Gott, daß Du mir geschrieben hast, und daß Du gesund bist, und daß Du doch nur darum verstimmt bist, weil Du mich liebst, weil Du meine einzige Seele bist, und ich Deine, bis in den Tod. Ich dachte das wohl wie, Du leiden würdest, wenn Du die ersten Zeilen von mir erst am Montag erhieltest. Und so wird es immer fortgegangen seyn – und die wahre Ruhe wird erst in deine Seele gekommen seyn, nachdem Du den ersten Brief von Coburg aus erhieltest – der nach meiner Rechnung erst am Freitag in deine Hande gekommen seyn wird. Dieser Brief ist nun der sechste den Du von mir haben must. Ich schreibe Dir das, damit Du wißen kannst, ob auch keiner verloren gegangen ist , und nicht dadurch eine Lücke |3 in der Geschichte meiner jezigen Lebens-Epoche entstanden ist. – Ich finde es recht natürlich, daß Du frägst ob Richters, Deine bedeutende Aufopferung, für sie und für mich, recht sehr zu schäzen wißen, und daß es Dich kränken würde, wenn sie das nicht thäten. – Ich bin zwar längst drüber hinaus daß ein Mensch in der Welt, selbst der nächste und liebste, uns die Kämpfe anrechnet und faßen und nachempfinden könnte, die wir in unserm Innren zu bestehen haben; aber eben dieses Bewußtseyn giebt eine himmlische Ruhe und eine unendliche Kraft. Darauf kannst du aber bauen, daß so sehr wie Menschen gegen Menschen danckbar seyn können, Richters beyde es sind. Thieriot ist längst von Coburg abgereißt – lange vor meiner Ankunft und ist jetzt bey Emanuel in Bayreuth ! Ich höre hier überall recht viel gutes von ihm, doch ist man auch gegen seine Fehler nicht blind. Man erkennt hier seine Eitelkeit – und seine zu jugendliche Nicht-Achtung des Geldes – die ihn schon ganz arm gemacht haben soll. Man schäzt seine Gutmüthigkeit – die zwischen ihn u Richter das Verhältniß eines Sohnes u eines Vaters hervorgebracht hat. So weiß der eine den andern zu |4 respektiren, und jener zu tadeln, zu lenken und zu ermahnen – oder wenn das nichts hilft zu spotten. Von Emanuel kamen schon seit ich hier bin Briefe an Richters, die weil er wußte daß ich jetzt bey ihnen bin, . Doch denkt er nicht daran herzukommen so wenig wie einer von uns. Richters danken nunmehr recht schön für alle Besuche, die viel kosten. Sie haben derer schon genug in diesem Jahre gehabt! Und man weiß hier so gut als in Leipzig, den Werth des Geldes zu schäzen, liebstes Männechen! Von der Geschichtes des gestrigen Tages mußt Du noch mehr hören. Er tritt aus der Gewöhnlichkeit der frühren hervor, von denen sich nichts sagen läßt, als daß wir still, vergnügt waren, mit einander arbeiteten, und an der holden Emma, uns erfreuten. Donnerstag schrieb ich Dir ja zulezt! – Freitag schließt sich ihm an! – Nun der Sonnabend war bunter u pikanter. Nach dem nun die Briefe von Dir gelesen waren, – wurde der Koffer hineingeschleppt mit ungeduldigem Eifer geöffnet, und alle schönen Sachen herausgepackt. Die Richters haben außerordentlichen Beifall gefunden, so etwas schönes kennt man kaum. – Zum erstenmal |5 konnte nun die Tine, die eitle Tine, sich puzen, das war doch auch eine Freude, du Kindechen! [...] D ann konnte sie auch ihre holde Stimme ertönen laßen – denn dazu fehlten bisher die Musikalien. Da waren dann die unschuldigen, und zu gütigen Zuhörer einigermaßen verwundert, und wollten finden, daß meine Stimme anders sey als vor drittehalb Jahren. Man nennt mich eine Sängerin und verlangt sogar, daß ich mich in einem Coburger Conzerte öffentlich hören laßen soll. Dann wurde beschloßen, daß Nachmittag eine Visite gemacht werden solle! Und da es meiner Wahl überlaßen bliebe sollte, so wählte ich Deine Bekannte, die Wangenheims . Man nahm uns an und nachdem der Koffer, die Tine, zu einer zweyten Toilette verholfen hatte, giengen wir um 6 Uhr hin. Ich hatte mein indigo seidnes Kleid mit den weißen Krepp-Ermaeln angezogen und fand mich selbst recht hübsch, Du Hänsechen. Wir kamen zu einem anfangs recht alltäglichen Thee, wie ich sie aber von Leipzig her genug kenne. Die Fr. v. Wangenheim misfällt Richter sehr – auf mich hat sie keinen unangenehmen Eindruk gemacht, weil ich sie in der Art ist, wie ich die Menschen um mich her, fast alle nicht anders kenne. Sie ist recht hübsch – und mag als Mädchen sogar schön |6 gewesen seyn. Sie hat einen leichten Ton recht viel Welt, und spricht recht gut! Ein wenig von der weiblichen coquettrie die die Männer, in der Regel nicht eimal entbehren mögen genug also um sich mit ihr zu amüsiren, seinem eigenen Wiz u seiner Laune einen neuen Schwung zu geben. Caroline aber verlangt weit mehr, und kann sich darum nicht mit ihr gefallen. Sie gilt in der Stadt fur b öse, fur falsch, fur geizig.

Herr von Wangenheim ist ein sehr liebenwürdiger Mann, doch gefiel er mir diesmal nicht so sehr als [...] da ich ihn zuerst sah. Er ist auch wohl schön, aber Du bist es doch weit mehr. Auch hat er, ob er gleich Dichter ist, doch wohl nicht die hohe u tiefe Bildung, die mich an einem Mann befriedigen kann. Seine Urtheile – über die Braut von Meßina z. B. waren recht seichte u alltägliche. Keine Spur von einer hohen Kunst-Ansicht – und von der Bestimtheit u Klarheit der Ideen, wie ich sie an Dir kenne. Ein sehr rechtschaffner Mann soll er seyn, doch sagt Richter auch, der ihn recht liebt, daß keine Tiefe in ihm ist.

Mit Gewalt sollte ich singen, aber ich hatte die Musikalien versteckt die Richter mitnehmen |7 wollte, und konnte also nicht , wenn ich auch gewollt hätte, Wangenheim sang. Er hatte eine sehr schöne Stimme, das ist nicht zu läugnen.

MeinenHerrn Reise Gefahrten habe ich seitdem ich in Coburg bin, nur eimal gesehen. Er machte eine Visite beyRichters . Aber wir wollen ihn nicht einladen weil er doch ein gemeiner Mensch ist. Brav handelt er indeßen – oder wie mans nehmen will. Meinen Ruhm posaunte er in der ganzen Stadt aus. Zur Ministerin hat er [...] – ich würdehätte ihm die erste hohe Idee von den deutschen Weibern gegeben. Nun glaube er daran, daß französischer Wiz mit deutscher Tugend vereinigt seyn könne. Eben so hat er mit Begeistrung gegen H. v. Wangenheim, gegen Richter, gegen den Minister von mir gesprochen. Schade, daß man sich auf eine solche Erobrung noch weniger als nichts einbilden kann. Denn wie kann der Beifall eines verderbten Menschen schmeicheln? Er – der bis dahin nur in inden niedrigsten Genüßen geschwelgt hatte, der die Weiber sich erkaufte, und wieder absezte wie eine verbrauchte Waare, ein so gemeiner |8 Mensch besiegelt nur seinhe eigne vollendete Schlechtheit, in der höchsten Entzückung, über ein braves Weib!

Bey der Ministerin bin ich noch nicht gewesen. Vor drey Tagen schickte sie ein Billet an Caroline. Wir hielten es für eine Einladung und freuten uns schon, aber nachdem es gelesen war, war der Irrtum sehr grell. Nichts von alledem, sondern eine sehr lakonische Anfrage, ob die Goldschmidt, welche die M. bey mir gesehen hatte, sich wohl zu einer Gouvernante bey ihren Kindern schicken u verstehen würde. Caroline beantwortete ihr diese Frage in einer Visite mündlich und sie war schnell dabey entschieden, daß man ihr sagte, sie sey eine Jüdin u ein Schwein! – Von mir hatte die Ministerin sehr vortheilhaft gesprochen. – Mein kleiner Groll gegen sie ist ziemlich verschwunden, seitdem es mir durch alles, was ich von ihr höre, klar geworden ist, daß sie wohl ein wenig bornirt, doch zu zu unbedeutend im Ganzen ist als daß man irgend etwas bestimmt von ihr sagen könnte. Darum ist sie nicht weder anspruchlos noch stolz, weder dumm noch klug – aber von allem, hat sie dem wenig hat sie abwechselnd einen Anstrich! In acht Tagen komt der Minister zurück, und daß wir dann nicht |9 eingeladen werden sollten, dafür ist mir nicht bange. Er sagte zwar in Saalfeld, er sey in Coburg ein andrer Mensch als hier dort. Auch glaube ich daß er sich mit der Frau genirt. Denn er war wieder in Saalfeld ein ganz ander Mensch als in Leipzig. Wirklich recht liebenswürdig und voller Energie u Verstand! –

Jezt, meine geliebte Seele, wirst Du w d och wohl bey Minna, gewesen seyn! – Gehe doch ja hin, sie hat ja sonst gar nichts, und da das meine Brief historische meiner Briefe auch für sie geschrieben ist, so theile es Dir doch ja mit. Ich fürchte so daß sie auf mich zürnt daß ich ihr noch nicht ein paar Zeilen besonders geschrieben haben. Aber wenn Du ihr nur alles Das mittheilst was ich, mit mit für sie schreibe ist es doch im Grunde eben so gut! Sage mir doch ja wie es mit ihrer Gesundheit steht, vielleicht ist sie schon jetzt ihrer Bürde entledigt . Schreib mir doch wie es mit ihren Kindern ist. Ob Julius noch so hustet, welcher Aufsicht er übergeben seyn wird, während der Wochen, und was die andern beyden Kinder machen. Schreib mir das ja ordentlich und grüße doch Minna recht herzlich von mir und auch von Caroline! Marie soll mir doch schreiben. Was machen Ludwigs ? Grüße die auch!

|10 Nun, meine einzige Seele, lebe recht recht phein wohl. Gott weiß, wann ehe ich wieder einen Brief von Dir bekomme. Wirst Du denn nicht grosmüthig gegen mich seyn, und mir mehr schreiben als bis jetzt, recht viel! Du alter guter Hans, Du Hänsechen, [...] ? Na du altes Hänsechen wie bist da denn? Ich bin recht gesund! – Recht sehr! [...] Bist Du auch gesund! Wenn du was hübsches gedichtet hat! Schick es mir doch, du Kindechen! Den Anfang von der Maske hast du mir ohnehin versprochen! Ein Mann! ein Wort! weißt Du?

Lebe wohl Du Seele! Ich drücke Dich fest an mein Herz! Lebe recht wohl und behalte mich hübsch ordentlich lieb! Und schreibe recht sehr viel an Deine alte Tinen[...]

Adieu

Madame Mahlmann
Mayer.
Höchstgeboren.

Sage mir doch, wie ich es machen soll. Wagner , will die Reisekosten nicht bezahlt nehmen. Mehrmals habe ich ihn ernstlich um die Bestimmung des auf mich kommenden Theils gebeten. Soll ich es dabey bewenden laßen? Oder ihn nocheinmal schriftlich darum ersuchen?

Antworte mir!

Zitierhinweis

Von Ernestine Mahlmann an Siegfried August Mahlmann. Coburg, 23. Oktober 1803, Sonntag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0418


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Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
3 Dbl. 8°, 10 S. Auf S. 10 Durchstreichungen vfrH. Auf S. 1 aloR vfrH: Ernestine Mahlmann