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Meiningen den 30sten Mai
1808

Die Freunde schweigen! Dazu müßten sie Ursachen haben, die wir nicht in ihrem Gefühl gegen uns, wohl aber in den Verhältnissen vermutheten. So dachten wir bisher, mein theurer Freund, über Ihr Stillschweigen, ich war dabey ein wenig betrübt, um desto erfreuender war mir Ihr Gruß den uns gestern Wagner aus den von Ihnen erhaltnen Briefe mittheilte. Herzlichen Dank dafür; und zugleich für den seelenvollen Genuß den uns Ihr Urtheil und Ihre gemüthvolle Ansicht der Heimaths Reise gab. Insbesondere war es für mich höchst angenehm eine frühere Ahndung durch Ihren Brief bestätigt zu finden. Ich durfte hoffen, daß sich Ihre, meine und Schwendlers Empfindungen über jenes herrliche Buch begegnen würden, deshalb sagte ich an Wagner, daß Freund Müller nach seiner ganz eignen Gabe und mit der AllgeWalt seines Ausdrucks ihm einst sagen würde was wir vereint empfunden hätten.

Die freundliche Aussicht Sie und Ihre liebenswürdige Gattin nebst dem lieben Adelbert bald zu sehen und einige Zeit in unsrer Nähe zu wißen |2 ist sehr wohlthuend für uns, hoffentlich stöhren keine neuen Ereigniße – wie schon einmahl – diese angenehme Hoffnung. Wir sahen Sie lange nicht! – Herzlich sehnen wir uns nach der Rückkehr der schönen Zeit welche die Freunde zusammenführte. Daß die Gesundheit meiner Freundin nicht so ist, wie ich es für sie wünsche bekümmert mich . Auch ich litt den ganzen Winter und noch trotz des herrlichen Frühlings kämpfe ich mit mancherley Uebeln, namentlich mit einer Nervenschwäche wobey mein armer Kopf am meisten leidet. Von der fortgesetzten schönen Witterung denke ich sollen wir beyde Genesung erwarten. Ihr beyderseitiger Auffenthalt in Liebenstein ist eine beynahe unwiederstehlige Lenkung für uns ebenfalls einige Zeit dort zu verleben, demohngeachtet werden wir uns nur auf einige Tage beschränken müßen, aber wir sehen die geliebten Freunde auch sie, so wünschen, hoffen und erwarten wir. –

Himmlischen, einzigen Genüßen sehen ich diesen Sommer entgegen!! Hören Sie nur, lieber Freund, wie sie einander folgen werden. Mein Arzt foderte für meine Erholung durchaus einige |3 Zerstreuung und eine Ort-Veränderung. Vor etlichen Wochen hatte ich zwischen einer kleinen Reise oder einem Bade Aufenthalt in Liebenstein zu wählen. In diese Entscheidung trat eine Einladung nach Bayreuth von meinen lieben Richters, und Sie errathen wofür ich mich entschied. In einigen Tagen reise ich mit meiner Schwester Antonie, Amanda und Paulinen dahin ab. Mein Vollgenuß bleibt freylich gestört, indem mein liebster Begleiter, mein S. mir fehlt dem schlechterdings seine Geschäfte die Mitreise nicht gestatten. Alle Grüße die ich im vorigen Jahr für Richtern in Weimar sammelte bringe ich ihn warm und treu. Den Ihrigen und einen Dank für seine Junius Nacht die beyde Ihr Genius mir zuflüsterte, werde ich beyde mit besonderer Liebe abgeben, denn unmittelbarer Weise verdanke ich Richtern doch am meisten Ihre nähere Bekanntschaft .

Obwohl mein Herz gar nicht eng ist, so begreife ich kaum, wie ich sie alle faßen werde, die unendlichen süßen, zarten Eindrücke die meiner warten. Noch vor einigen Tagen fürchtete ich, mitten in der Freude den Schmerz der Trennung von Richters, seit gestern schließt sich Liebenstein so |4 fest und anziehend an Bayreuth, daß es ja nur einen Wechsel der Freuden für mich giebt.

Schwendler grüßt herzlich, alles übrige verspahret er aufs Wiedersehen! Will Wieland sich der köstlichen Stunde erinnern, die er mir während unseres Durchflugs in Weimar schenkte, oh dann bitte ich Sie, ihm meinen Dank und meinen Gruß tiefer liebender Verehrung zu bringen. Sein Bild steht so verklärt in meiner Seele mit aller seiner ewigen Tugend.

Gruß und Liebe von uns Allen für Sie, den Geliebten, und dem holden Kleinen.
Leben Sie wohl!

Henriette Schwendler

Zitierhinweis

Von Henriette Schwendler an Friedrich von Müller. Meiningen, 30. Mai 1808, Montag. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0419


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Textgrundlage

H: GSA, 68/540, Bl 1-2
1 Dbl. 8°, 3⅔ S.