Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Meiningen, zwischen 12. und 20. Juli 1802

Darstellung und Funktionen des "Kritischen und kommentierten Textes" sind für Medium- und Large-Screen-Endgeräte optimiert. Auf Small-Screen-Devices (z.B. Smartphones) empfehlen wir auf den "Lesetext" umzuschalten.



|1

Mein theurer geliebter Vater

Ihren Brief und die einliegenden meiner Schwestern habe ich in Weimar gefunden und mich nach dem langen Entbehren Ihrer Mittheilung unaussprechlich gefreut. Auf der Stelle hätte ich ihn beantwortet, wenn ich meinem Briefe diese kleine Arbeit nicht hätte beifügen wollen, womit ich Sie an Ihrem Geburtstag anbinden möchte. – –

Vergeben Sie die Unbedeutenheit dieser Gabe – meine Wünsche und Gebete, und meine Gedanken an Sie sind tief und lebendig, und nur eine neue wichtige Aenderung meiner Lage konnte mich abhalten, mich länger für Sie zu beschäftigen. Wenn mein Glük Ihnen lieb ist, muß die Nachricht, daß ich Mutter seyn werde , an Ihrem Geburtstag ein willkomnes Angebinde seyn, und darum schob ich sie bis dahin auf. Für Ihr väterliches Herz muß es eine große Freude seyn, daß Ihre Tochter nun die höchsten Güter des Lebens besizt. Ach, wenn auch Ihnen das Schiksal, den Kummer und die Aufopferungen Ihres ganzen Lebens belohnte! geliebter Vater! Wenn Sie doch von jezt an in eine neue sorgenfreie Periode Ihres Lebens träten! Dis ist es allein, was ich noch zu wünschen habe! – –

|2 Wie unaussprechlich froh hätten wir Ihren Geburtstag mit Ihnen feiern können – doch der Himmel hat es nicht so gewolt , aber die Anklage über unseremeine Täuschung kam ja nicht aus einem erbitterten Herzen, sondern aus innigem Schmerz über eine fehlgeschlagne Hofnung an der meine H Seele wie ich schon gesagt, einen halben Winter hindurch mit Entzücken hing. Darum vergeben Sie mir den vielleicht nicht genug verhülten Mismuth in meinem lezten Briefe , deßen Quelle Sie misverstanden haben

Noch ist niemand von meinen Schwestern von meinem Glück unterrichtet, weil Sie mein Vater das Recht auf mein erstes Vertrauen haben. , Seit der Mitte des Winters war ich in einem zweifelhaften Zustand, allein ich wagte nicht mir diese Seeligkeit zu gestehen, und deutete alle Zeichen auf eine vorübergehende Kränklichkeit.

Seit drei Wochen vielleicht, bin ich von der Gewisheit meiner Lage volkommen überzeugt, und nun muß ich glauben daß ich im Monat October den entscheidenden Augenblik erleben werde. Jezt habe ich nichts dringenderes zu thun, als die Vorbereitungen zum Empfang des neuen Wesens einzurichten – und dabei die Sorge für meine Gesundheit nicht zu vernachläßigen, von der die seinige abhängt.

|3 Ein neues Leben scheint mir aufgegangen zu seyn! Das war es, wonach ich mich unaufhörlich sehnte, was mir selbst und meinem Leben eine Würde geben wird – woran ich die Liebe vergelten kann, die Sie mein Vater und meine Mutter an mir bewiesen haben! Und mein geliebter Mann, durfte dis Glük wofür seine ganze Seele geschaffen ist, nicht entbehren. Wie oft hat es mein Innerstes zerrißen, wenn er Kinder und Thiere liebkosete, gleichsam als Ableiter des Reichthums von Liebe, den er in sich hat. Die gute Tine hat mir vor einigen Tagen aus Freiberg geschrieben, aber keine Darstellung Ihres Beisammenseyns in Dresden gegeben. Wenn ich etwas schmerzhaft finde so ist es der armen Minna ihre Täuschung die nach einer so langen Trennung noch eher als ich verdiente an Ihrem Herzen zu liegen. Woher kömmt es aber, daß auch diese entbehren muste? Es ist mir als wenn die Ähnlichkeit unsere Schiksals in dieser Hinsicht uns wieder näher zusammen führte, und ich werde ihr schreiben – aber Gott weiß, wie treu schwesterlich ich gegen sie gesint bin, und wie oft ich schmerzlich um sie besorgt war. Unser jeziges Schweigen gegeneinander habe ich nicht verschuldet denn ich schrieb an Minna zulezt.

|4 Unsre Reise nach Weimar hat einen Zeitraum von 14 Tagen eingenommen. Wir hielten uns in Gotha einen Tag auf, wo ich viel intereßante Bekantschaften machte. In Weimar fand ich alles unverändert, und man war sehr glüklich meinen Mann wiederzusehen. Vor allen die Herzogin, die sich zu unserer Gevatterin angeboten hat. In Jena war ich auf einige Stunden als Begleiterin der Frau v. Kalb die dort eine Freundin besuchte. Ich fand den Profeßor Genz mit seiner Frau [...] in Weimar wieder, und ich hörte viel von unseren Freunden, und von Hainchelins.

Ihr Tagebuch welches ich Ihnen mit dem innigsten Dank wieder zurükgebe hat mich bis zu Thränen gerührt. Dieser schnelle Wechsel von Lebensszenen durch die Sie hindurch flogen, die kleinen Wiederwärtigkeiten auf der Reise, und Ihre verlorne Brieftasche am meisten! Viele Dinge sind mir unbegreiflich, und ich mus Ernestine noch bitten, mir einen Kommentar dazu zu machen.

Gott segne Sie mein ewiggeliebter Vater mit der Erfüllung Ihrer Wünsche, und Ihre Kinder mit Ihrer Erhaltung – Er gebe uns nur noch lange Ihr Leben – und Ihre Liebe wollen wir verdienen. Mein guter Mann bittet mit mir für Sie um beßere Tage, und ich bitte für mich allein um Ihren Seegen und Ihre Liebe, ohne die kein Glück für mich auf der Erde ist.

Ihre ewig treue Caroline

Zitierhinweis

Von Caroline Richter an Johann Siegfried Wilhelm Mayer. Meiningen, zwischen 12. und 20. Juli 1802. In: Digitale Edition der Briefe aus Jean Pauls Umfeld, bearbeitet von Selma Jahnke und Michael Rölcke (2020–). In: Jean Paul - Sämtliche Briefe digital. Herausgegeben im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften von Markus Bernauer, Norbert Miller und Frederike Neuber (2018–). URL: http://jeanpaul-edition.de/umfeldbriefbrief.html?num=JP-UB0447


Informationen zum Korpus | Erfassungsrichtlinien

XML/TEI-Dokument | XML-Schema

Textgrundlage

H: BJK, Berlin A
1 Dbl. 8°, 4 S. Auf S. 1 Datum vfrH ergänzt: Meiningen 1802 Juli.


Korrespondenz

Zur Datierung: Der Brief wurde nach der Rückkehr von Jean Paul und Caroline Richter aus Weimar am 12. Juli 1802 und vor dem Geburtstag von Johann Siegfried Wilhelm Mayer am 20. Juli 1802 abgefasst.